„Das alles geht schon ganz lange“
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Spezialisten der Polizei bei der Suche nach Spuren im Garten der Pension im sächsischen Reichenau. Hier sind die sterblichen Überreste von Wojciech S. vergraben.
© Quelle: dpa
Hannover/Dresden . Der Unternehmer Michael L. muss eine Vorahnung vom Schicksal seines hannoverschen Geschäftspartners Wojciech S. haben, als er am Nachmittag des 11. November bei der Polizei erscheint, um eine Vermisstenanzeige für seinen Kompagnon aufzugeben. Denn obwohl es dem in Warschau geborenen S. offenbar gelungen ist, sein Verlangen, sich töten und verspeisen zu lassen, nach außen hin gut zu verbergen, war er bei der Onlinesuche nach der Befriedigung seines Triebs eher leichtfertig. „Das alles geht schon ganz lange. Wir haben seine Computerprotokolle, kennen seine Chateinträge“, sagt Michael L. zur HAZ.
Das deckt sich auch mit den bisherigen Ermittlungen der Polizei. Nach der Auswertung des Computers, den Kripobeamte drei Tage nach der Vermisstenanzeige in der Wohnung des 59-Jährigen in der Wedelstraße in Vahrenwald sichergestellt hatten, kamen die Beamten zu dem Schluss, dass Wojciech S. bereits seit frühester Jugend von dem Gedanken getrieben war, sich umbringen und von seinem Mörder verzehren zu lassen. Am 4. November setzt er seinen langgehegten Plan in die Tat um. Mit dem Fernbus reist er über Berlin zum Hauptbahnhof in Dresden. Dort holt ihn der 55-jährige Kriminalhauptkommissar Detlev G. ab. Gemeinsam fahren die beiden Männer in die Pension „Glimmlitztal“, die G. gemeinsam mit seinem Ehemann Bernd G. betreibt. Das Gebäude wird derzeit renoviert, beherbergt deshalb keine Gäste. Dort angekommen sticht der Polizist seinem Besucher im Keller des Hauses ein Messer in den Hals, lässt ihn langsam verbluten und zerteilt die Leiche anschließend. Noch ist unklar, ob der Beamte dem Mann aus Hannover tatsächlich seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt und einen Teil der Leiche verspeist. G., der in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet dies. Die Polizei ist noch damit beschäftigt, sämtliche Teile des Leichnams von Wojciech S. zu finden.
In Hannover ahnt bis dahin niemand, welche Abgründe sich in der Seele des Geschäftsmannes auftaten. Dem polnischstämmigen Mann war es offenbar gelungen, sein Innerstes nach Außen abzuschirmen, seinen Mitmenschen das Leben eines anderen vorzugaukeln. Wojciech S. studierte an der Universität in Danzig, kam nach Hannover, heiratete, zog in die List, wurde Vater einer Tocher, die heute im Teenageralter ist. Zuletzt wohnte er aber von Frau und Tochter getrennt. Mit seinem Geschäftspartner Michael L. gründete er ein Unternehmen, dass unter anderem Fernfahrer an Speditionen vermittelt. Er trat in die CDU ein, engagierte sich kommunalpolitisch, kandidierte im Jahr 2011 sogar für einen Platz in der Regionsversammlung. Er mochte die Fernsehsendungen des Historikers Guido Knopp und hörte gerne Musik der Mittelalter-Rockband „In Extremo“.
Seine andere Seite lebte er im Internet aus, besuchte regelmäßig eine Plattform, auf der Gleichgesinnte ihre kannibalischen Vorlieben miteinander teilten und sich an ihnen ergötzten. „Manchmal ist die Fantasie im Internet nur die heruntergestufte Version von etwas, hinter dem ein wirklicher Wunsch steckt. Solange der sich nicht in die Tat umsetzen lässt, geben sich manche damit zufrieden, ihre Träume im Netz auszuleben“, sagt der Kriminalbiologe Mark Benecke. Er hat sich im Lauf seiner Karriere mit vielen Fällen von Kannibalismus befasst – unter anderem mit Armin Meiwes, dem sogenannten Kannibalen von Rotenburg.
Die Menschen, mit denen der 59-Jährige Wojciech S. in Hannover zu tun hatte, möchten sich zu dem Fall nicht öffentlich äußern. Man sei geschockt, habe S. so etwas nie zugetraut, er sei doch immer so hilfsbereit gewesen – solche und ähnliche Sätze formulieren die Betroffenen. Anders als bei anderen Gewaltverbrechen gibt es in der Stadt keinen Ort, an dem Menschen Blumen niederlegen oder Kerzen im Andenken an das Opfer aufstellen. Auch die Gemeindemitglieder der polnischen katholischen Mission, die regelmäßig in der Kirche Maria Frieden in Groß-Buchholz zusammenkommen, kennen ihren Landsmann nicht, doch die Nachricht vom gewaltsamen Tod eines polnischen Geschäftsmannes haben sie vernommen. "Er war nicht Mitglied unserer Gemeinde, aber ich werde dennoch für ihn beten", sagt Pfarrer Tadeusz Kluba.
Wann die 45-köpfige Ermittlungsgruppe "Pension" der Dresdener Polizei ihre Arbeit zum Abschluss bringen kann, ist noch offen. Vorerst haben die Beamten ein halbes Jahr Zeit, um die noch fehlenden Puzzlestücke dieses bizarren Falls zusammenzutragen. Dann muss, so steht es im Gesetz, Anklage gegen den verdächtigen Polizisten erhoben werden.
HAZ