Das sind Hannovers kleine Theaterbühnen
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Von links nach rechts: Joachim Hieke und Wilhelm Zappe vom Leibniz Theater, Ulrich Reutlinger und Hubert Korén vom uhu-Theater.
© Quelle: Ditfurth
Hannover. Schmal, versteckt, Kopfsteinpflaster, gemischte Bauweise. Das ist die Kommandanturstraße in Hannover, es dürfte Eingeborene geben, die sie nie zuvor gesehen haben. Die Hausnummer sieben trägt ein Altbau. Seine untere Etage gehört einem kleinen Theater, und betritt man den Raum, fällt an einer Wand ein meterhohes Portrait auf. Perückenkopf Leibniz, Hannovers Gelehrter in allerlei Fächern, blickt herunter auf Bühne, gepolsterte Stühle, Oberrang und die Treppe runter ins Kellerlokal. Der Raum hat eigentlich drei Etagen, ist trotzdem puschelig gemütlich, so eng wie eben draußen die Kommandanturstraße. Hier, in der Calenberger Neustadt, lebt das „Leibniz Theater“ ohne Bindestrich.
Bei jeder Gelegenheit wird dem Universalgelehrten gehuldigt, aber kein Theater war bisher nach ihm benannt. „Das hat mich überrascht“, sagt Inhaber Joachim Hieke, 49, Bart und Zopfträger, beim Kaffee. Er griff also zu und sicherte sich die Rechte, als er, im Leibniz-Jahr 2016, nach einem Namen suchte für das kleine Schauspielhaus, das er gerade übernommen hatte. Früher war hier die Werkstattgalerie Calenberg untergebracht, aber dieser Name ließ Unwissende eher an ein Programm für arbeitslose Jugendliche denken denn an eine Kulturadresse.
Theaterliebe war der Einstieg
Hieke ist gelernter Industriekaufmann, „ich komm vom Marketing, vom Theater hab ich eigentlich keine Ahnung“, doch als er einstieg in die Werkstattgalerie war ihm klar, dass die Zukunft einen schickeren Namen brauchte und bessere Ideen dazu. Er war bis zur Insolvenz bei Jet-Computer, vermarktet Bürogolf, war als Reiseleiter unterwegs und früh mit einer Vorliebe zur aktiven Schauspielerei versehen. Hieke ist eher der Typ, der sich nicht darum sorgt, wo der Euro für morgen herkommt, was seinen Willen zum Durchhalten enorm bestärkt, er schätzt sich als risikobereit ein.
Die Theaterliebe trieb ihn dazu, bei der Ex-Werkstattgalerie einzusteigen. Doch statt mit Künstlern Comedy, Kabarett und Konzerte zu planen geriet er zügig in eine Krise. Und damit ist die Geschichte des „Leibniz Theater“ auch eine vom Willen zu überleben und dass es sich lohnen kann, nicht aufzugeben, wenn man nur an seine Idee glaubt.
Businesspläne für Banken
„Im März war ich eigentlich tot“, erzählt Hieke, womit er den März vergangenen Jahres meint. Theater gehörte ihm erst ein paar Monate, da stieg sein Partner aus. Neues Geld musste her. Er schrieb 40 Seiten umfassende Businesspläne, „aber manche Banken haben sich das nicht einmal angesehen, die lasen nur: Kultur“, und das war es dann. Am Tag, als die Bauleute für den großen Umbau kommen sollten, kamen sie nicht. Warum nicht? „Weil die nicht kamen.“
Spenden sammeln klappte nicht, zwischendurch wurde noch eingebrochen und Technik geklaut. Joachim Hieke erzählt vom Kampf um sein Projekt wie vom Ritt gegen alle Windmühlen, die Hannover auftreiben konnte. Er rang dann wochenlang mit sich, ob er weitermachen oder hinwerfen sollte, Geld vom Wintergeschäft war noch da. Freunde rieten: „Zieh die Reißleine!“ Dann entschied er: „Jetzt hau ich richtig rein.“
Leibniz Theater feiert Einjähriges
Er lieh sich Geld, Bekannte halfen beim Komplettumbau der angeschlagenen Werkstattgalerie und allmählich lief es. Das Leibniz Theater sprach sich herum, Leute brachten neue Leute mit. Im Keller gibt es Flammkuchen, Käseplatte und Wein, oben spielen vor höchstens 80 Zuschauern Künstler aus allen Stilrichtungen. Wer in der letzten Reihe sitzt, ist geschätzte vier Meter von der Bühne entfernt.
Hieke sagt, er sei „dem Trend zum Kleinen, Regionalen, Süßen, dem Nahesein gefolgt, deshalb auch mit Leibniz der hannoversche Name“. Und weil er im März vor einem Jahr beinahe davor stand, für immer die Tür abzuschließen, feiert er jetzt sein einjähriges Jubiläum. Mehr als 240 Veranstaltungen im Jahr, darunter Literaturfrühstücke und Haarmann-Dinner, bald sollen Seminare dazu kommen und Theatergolf, Schulen und Kindergärten sollen im Theater etwas über Leibniz erfahren. Bald wird ein Verein wird gegründet, um an Zuschüsse zu kommen. Der neue Partner Wilhelm Zappe, 54, hilft beim Marketing. „Jetzt kommt langsam der Sog“, sagt Joachim Hieke und weil der Kaufmann weiß, dass Kultur Geld braucht, kann er feststellen: „Finanziell bin ich durch.“
uhu-Theater in der Südstadt
Was das Leibniz Theater hat, davon träumt auch Hubert Korén. Eine feste Spielstätte und gelegentlich auch einmal Geld, das überbleibt, um etwas anschaffen zu können. Aber mit seinem uhu-Theater in der Südstadt ist es so: Wenn die Miete für Räume in der Athanasius-Kirche bezahlt ist, Gage, Gemagebühren, Künstlersozialkasse und die Freunde von der Licht- und Tontechnik abgerechnet haben und diesem roten Bereich Einnahmen aus Kartenverkauf und Gastronomie gegenüberstehen, „dann gehen wir mit plusminusnull raus“.
Seit 15 Jahren geht diese Rechnung auf. Solange betreiben und lieben Korén und sein Lebens- und Theaterpartner Ulrich Reutlinger das uhu. 180 Plätze Zuschauer finden an langen Tischen Platz, an denen sie während der Vorstellung Essen und Trinken können und das in einen Saal, den der 71-jährige Rentner schonungslos als „pottenhässlich“ sehr zutreffend beschreibt.
Professionalität und Niveau
Die Kunst ist, diese triste Wirklichkeit vergessen zu machen und eine Illusion zu schaffen. Theater fängt im uhu schon mit der Verwandlung des Saals an. „Wir zaubern da mit Licht und Stoffen“, sagt, nein, schwärmt der Schöngeist, Tanzlehrer und Textilkaufmann Korén . So inszenieren sie vor jeder Vorstellung in jeweils zweitägigem Aufbau eine Bühne für Kleinkunst und ein Foyer gleich mit. Rot gibt den Ton an, im Stil der 1960er-Jahre. Die Künstler für die Südstadt sehen sie sich zuvor selbst an, jedenfalls bei Neuverpflichtungen. Es gibt eine Kooperation mit der Berliner „Bar jeder Vernunft“ und Korén und Reutlinger, der an der Oper arbeitet, sind viel unterwegs, um sich Künstler anzusehen, die sie ins uhu holen. Natürlich soll nicht jeder auf die Bühne, sie legen Wert auf Professionalität und Niveau.
Nach der jüngsten Vorstellung standen die Menschen auf und applaudierten stehend den Konzertakrobaten „Gogol&Mäx“. Hinten saßen wie üblich am Katzentisch Korén& Reutlinger, sie sahen auf die Künstler und das Publikum und freuten sich enorm. „Mensch, guck dir das an, das ist unsere Arbeit. Da ist man stolz wie bolle.“ Dann kommt der Abbau. Wieder zwei Tage. Hubert Korén, der schon als kleiner Junge mit seinen Eltern ins Theater ging, will noch lange weitermachen.
Von Gunnar Menkens
HAZ