Der Kampf für Gender-Sprache hat sie die Karriere gekostet
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Von Büchern umgeben: Die hannoversche Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch.
© Quelle: Katrin Kutter
Hannover. Das Rebellische scheint in der Familie zu liegen. Es klingt jedenfalls sofort an, wenn die feministische Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch in ihrer Altbauwohnung in Hannover-List von ihrer Mutter erzählt. Als „aufsässig“ habe der Vater die Mutter empfunden. Der schlichte Grund: Sie wollte ihm nicht die Schuhe putzen. „Deshalb hat er sie als Sufragette beschimpft“, berichtet die heute 75-Jährige. Puschs Mutter lässt sich deshalb nach fünf Jahren Ehe scheiden und zieht ihre drei Kinder als alleinerziehende Krankenschwester und Stenotypistin groß.
Sprachwissenschaftlicher Rat ist noch heute gefragt
Einen gewissen Grad an Aufsässigkeit kann man vermutlich auch der Tochter bescheinigen. Vor allem manche Männer, denen Luise Pusch im Laufe ihres Lebens begegnete, würden ihr vermutlich Missionarseifer (der Großvater arbeitet viele Jahre als Missionar auf der Insel Nias), oder gar Starrsinn unterstellen. Man kann die Frau, die seit mittlerweile 35 Jahren in Hannover lebt und regelmäßig zwischen Hannover und Boston pendelt, ohne Übertreibung als eine der großen Rebellinnen in der Linguistik des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Sie hat Ende der Siebzigerjahre die sogenannte feministische Linguistik mitbegründet – und trotz erheblichen Widerstands aus der Sprachwissenschaft und bitteren Konsequenzen für die eigene Wissenschaftskarriere immer daran festgehalten. Wie gefragt ihr Rat in Sachen Gender heute ist, konnte man unlängst bei der Einführung der geschlechtergerechten Verwaltungssprache in Hannover sehen. Plötzlich war Puschs Expertise in aller Munde. Gegen die viel kritisierten neuen Partizipkonstruktionen, die männliche Begriffe ersetzen sollen (der Lehrer – der Lehrende), sei nichts einzuwenden. Schließlich hätten sich Worte wie "der Vorsitzende" oder der "Handlungsreisende" wie in Arthur Millers berühmtem "Tod eines Handlungsreisenden" längst etabliert. Pusch erläutert Sachverhalte wie diesen mit leiser, aber bestimmter Stimme in ihrem von Bücherregalen gesäumten Arbeitszimmer. Wie sehr Bücher das Leben der hannoverschen Feministin prägen, kann man am eindrucksvollsten in ihrer großen Wohnküche sehen. Selbst dort ist neben Esstisch, Herd und Geschirrspüler eine ganze Wand mit Büchern vollgestellt: Knaurs Kulturführer steht neben dem Report der feministischen Sexualwissenschaftlerin Shere Hite "Frauen und Liebe".
„Genderstern zerreißt Worte auf unschöne Weise“
Pusch lässt sich lieber im Arbeitszimmer interviewen, zeigt am Computerbildschirm mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit im Umgang mit Digitalem, was sie für eine Alternative zum in Hannover etablierten Genderstern hält: ein Ausrufezeichen wie es Popsängerin P!nk verwendet, quasi ein auf dem Kopf stehendes i. Das könne man als umgekehrtes Binnen-I benutzen, sagt die 75-Jährige, und es freut sie ganz offensichtlich, dass diese Alternative aus dem feministisch eher unverdächtigen Genre der Popmusik stammt. Der Genderstern zerreiße doch jedes Wort auf unschöne Weise. Pusch selbst favorisiert das generische Femininum. Ginge es nach ihr, müsste es künftig "Fragen Sie Ihre Ärztin oder Apothekerin" heißen. Männer seien dann "herzlich mitgemeint".
Wie kam es dazu, dass Pusch feministische Sprachkritik übte? Gekommen sei die Bewegung ursprünglich aus den USA, sagt Pusch, die seit vielen Jahren mit der amerikanischen Germanistin Joey Horsley zusammenlebt. Dass sie lesbisch ist – und dies heute offen lebt –, war der zweite große Kampf in ihrem Leben. Es habe Zeiten gegeben, da habe sie sich „völlig isoliert gefühlt“, sagt sie. Die Einsamkeit der jungen Frau schwingt heute noch mit, wenn die 75-Jährige davon spricht, dass sie es nicht wagte, „ihr Versteck“ zu verlassen und sich zu outen: „Ich war vollkommen allein damit.“ Sich von dieser Angst zu befreien, ist – so klingt es jedenfalls – wohl der größte Sieg im Leben dieser unangepassten Frau gewesen. In der Sprachwissenschaft ist es Kollegin Senta Trömel-Plötz, die 1978 einen Aufsatz veröffentlicht, in dem sie zum ersten Mal eine problematische Verquickung von grammatikalischem und biologischem Geschlecht thematisiert. Pusch hat sich damals gerade mit einer Arbeit über das italienische Gerundium an der Universität Konstanz habilitiert und erlebt, wie ein Sturm der Entrüstung vor allem vonseiten der Herren Professoren losbricht. Pusch empfindet ihn als so ungerecht, so vernichtend, dass sie eine wortgewaltige Replik schreibt. „Wenn man“ – Pusch stockt – „oder frau etwas für richtig erkannt hat, wird es verteidigt“, sagt sie: „Das ist wohl Familienerbe.“
Wissenschaftsbetrieb verwehrt akademische Karriere
Was folgt, sind viele Jahre, in denen der Wissenschaftsbetrieb der zuvor hoch dekorierten Forscherin eine akademische Karriere verwehrt. Alle Preise habe sie „abgeräumt“, eine von 150 Heisenberg-Stipendiatinnen sei sie gewesen, 149 bekamen eine Stelle: „Ich nicht.“ Vertretungsprofessuren sind das höchste der Gefühle, in Bewerbungsverfahren wird sie regelmäßig abgelehnt – teilweise trotz erbitterten Protestes von Studenten. „Schreib doch ein bisschen normale Linguistik, dann bekommst du schon deinen Lehrstuhl“, rät man ihr. „Ich hab nicht eingesehen, dass ich dem abschwören soll“, sagt Pusch und ihre Stimme klingt unverändert. Leise, aber bestimmt. Auch an die Universität Hannover, wo sie in den Achtzigerjahren zwei Lehrstuhlvertretungen innehat, hat sie schlechte Erinnerungen. „Die haben sich wirklich Mühe gegeben, mich loszuwerden“, erinnert sie sich.
Pusch verlegt sich aufs Bücherschreiben – insgesamt 50 sind es bis heute. Sie hält Vorträge. Langsam kommt eine paradoxe Spirale in Gang. Je mehr die Universitäten sie ausgrenzen, desto größer wird das öffentliche Interesse an der streitbaren Linguistin. Ihr Werk „Deutsch als Männersprache“ beispielsweise erlebt mit 140.000 verkauften Exemplaren eine erstaunlich hohe Auflage und ist bis heute erhältlich. Pusch kann nach Anfängen voller Existenzsorgen auch dank erfolgreicher Spekulationen an der Börse schon lange von ihrer Arbeit leben: „Ich habe trotz allem eine Karriere gemacht, wenn auch eine andere.“
Kampf hat sich gelohnt
Dennoch: Hat sich der jahrzehntelange Kampf für eine geschlechtergerechte Sprache gelohnt? Pusch findet: „Unbedingt.“ An der Uni Leipzig beispielsweise sei der Spieß umgedreht worden. Feminine Personenbezeichnungen wie „Professorin“ würden dort mittlerweile generell – auch für Männer – verwendet. Pusch erinnert sich auch noch, wie selbstverständlich es für sie als junge Frau war, in Briefen die Formulierung „Sehr geehrte Herren“ als im Grunde geschlechtsneutrale Anrede zu verwenden. Heute sei das undenkbar: „Das Maskulinum ist nicht mehr das, was es mal war.“
Von Jutta Rinas