Die „Barber Angels“ frisieren Obdachlose kostenlos
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Zufrieden: Carola Kherfani zeigt Tadeus seinen neuen Haarschnitt.
© Quelle: Villegas
Hannover. Wann ihm zuletzt die Haare geschnitten wurden? Tadeus schüttelt den Kopf. Er weiß es nicht mehr. Aber heute soll es sein, und es darf ruhig ordentlich was runter. Tadeus, der nicht so gut Deutsch spricht, deutet auf seinen Sitznachbarn –genauso kurz soll es werden. Und dann macht sich Frisörin Carola Kherfani auch schon daran, das lange, etwas wilde graue Haar ihres 65-jährigen Kunden zu stutzen.
Er braucht dafür nichts zu bezahlen. Denn Tadeus ist zu Gast bei Barber Angels Brotherhood. So nennt sich der bundesweit tätige Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, obdachlose Menschen zum Nulltarif zu frisieren. 152 Frisöre und Friseurinnen haben sich dem Ende 2016 in Biberach gegründeten Hilfsprojekt mittlerweile angeschlossen; mit ihren Frisierkoffern sind sie ehrenamtlich quer durch die Republik unterwegs. In Niedersachsen hat Ministerpräsident Stephan Weil die Schirmherrschaft übernommen.
Am Montag machen sechs Barber Angels auf dem Andreas-Hermes-Platz Station – und der Andrang beim kollektiven Freiluft-Frisieren ist enorm. Etwa 80 Männer und einige wenige Frauen stehen Schlange. Sie treffen sich ohnehin immer montags hinter dem Pavillon, weil dort die von hannoverschen Bürgern gegründete Hilfsaktion „Wir tun was“ Kleidung und warme Mahlzeiten verteilt.
„Das ist großartig hier“, freut sich Carola Kherfani, die in Ricklingen als Frisörin arbeitet. Sie ist pausenlos am Routieren, sprüht mit der Wasserflasche, schneidet, kämmt und stylt. Nur fönen ist bei dem sonnigen Wetter nicht nötig. „Jetzt habe ich mein Winterfell hier gelassen“, sagt Stefan und schaut auf den Boden. Dort liegen die Überbleibsel seines bisher schulterlangen Haares. Nun hat der 54-jährige einen modischen Kurzhaarschnitt. „Sieht doch super aus, oder?“ Barber Angel Melanie Bethke, die eigens aus Braunschweig angereist ist, hält ihm den Spiegel hin. Stefan lächelt erst, dann strahlt er. „Ich hab sonst immer meinen Elektroschneider von Rossmann genommen, 9,95 Euro hat der gekostet.“ Einen Frisörbesuch könne er sich nicht leisten, sagt der Mann, der sich als „einer der letzten Hausbesetzer Hannovers“ vorstellt.
Genau darum sind die Barber Angels aktiv geworden. „Wir wollen Menschen, denen es wirklich schlecht geht, eine kleine Freude machen“, sagt Carola Kherfani. „Das hier ist eine Sache mit Herz, das merkt man“, meint Erika, die sich für einen schulterlangen Haarschnitt entschieden hat. Nach schlechten Erfahrungen in einer Obdachlosenunterkunft lebt die 61-jährige wiede auf der Straße. Sie sagt über die Barber Angels: „Hier werden wir ernst genommen, von den Behörden nicht.“
Ein schöner Haarschnitt, ein gepflegtes Aussehen –„das hat auch etwas mit Würde zur tun“, betont auch Carola Kherfani. Die 38-Jährige trägt wie ihre Mitstreiter eine Lederkluft, die an einen Biker-Club erinnert. Das ist Absicht, so sollen mögliche Hemmschwellen bei den Wohnungslosen abgebaut werden. Carola Kherfani wünscht sich sehr, dass sich bald deutlich mehr Kollegen aus Hannover den Engeln mit den Frisierscheren anschließen: „Bisher bin ich das einzige offiziell registrierte hannoversche Mitglied.“
Sicher ist: Die Barber Angel kommen wieder. Alle acht Wochen wollen sie hier sein. Und bis dahin dürften auch so manche Haare wieder gewachsen sein.
Von Juliane Kaune
HAZ