Die "Einraumwohnungen" der LKW-Fahrer
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Artur Mytskan aus der Ukraine brät sich zum Frühstück Mettbällchen und Nudeln – in der Fahrerkabine.
© Quelle: Michael Wallmueller
Hannover. Weil sonntags zwischen 0 und 22 Uhr ein Fahrverbot für schwere Lkw besteht und weil die Trucker an Wochenenden bis zu 45 Stunden Ruhezeit einhalten müssen, verwandeln sich Hunderte von rollenden Güterzügen in kleine Einraumwohnungen mit angeschlossenem Lagerraum. Die weitaus meisten Fahrer stammen aus dem Ostblock - für sie ist ein Leben an lärmenden Trassen Alltag.
Parkplatz Vahrenheide, A 2, Sonntagmorgen um halb zehn. Von den 23 abgestellten Lastwagen stammen 13 aus Polen, der Rest aus dem europäischen Ausland. Ein Truck mit deutschem Kennzeichen ist nicht dabei. Artur Mytskan bereitet sich sein Frühstück zu. Auf einem Gaskocher, in der Fahrerkabine, schmurgeln Mettbällchen und Nudeln. Draußen weht ein böiger Wind, es ist nasskalt, also ist Indoor-Cooking Trumpf.
Der Ukrainer fährt für eine polnische Spedition, erst seit einem Jahr. Zuvor hatte er in Russland auf dem Bau gearbeitet, aber die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine haben ihn ins Speditionsgewerbe verschlagen. Nun müssen sich seine Frau und die beiden kleinen Töchter damit abfinden, Mytskan nur noch alle vier bis sechs Wochen zu sehen. Sieben Tage daheim, dann geht’s wieder on the Road. Vor wenigen Tagen noch schwitzte der 27-Jährige in Neapel, jetzt hat er Second-Hand-Kleidung aus Dünkirchen an Bord, ist unterwegs nach Polen. Und wie schmeckt ihm das Truckerleben? „Es ist ein Job, der gut bezahlt wird, mehr nicht“, sagt der Fernfahrer. 1500 Euro verdient er im Monat.
Die Ehefrau kommt mit auf Tour
Attila Sinkó tourt seit 15 Jahren durch Europa. Der 50-jährige Ungar ist auf dem Weg nach Györ, jetzt parkt sein Lkw zwischen A 2-Magistrale und Vahrenwalder Heide. Auch Sinkó sitzt gewöhnlich drei Wochen „auf dem Bock“, ruht anschließend eine Woche aus. Die Kinder sind schon groß, und so begleitet ihn Ehefrau Ildikó so oft wie möglich auf Wochenendtouren. „Sonst sehen wir uns so selten“, sagt der 50-Jährige.
Fernfahrer und Familienleben vertragen sich nicht, heißt es gemeinhin. Manche Trucker wollen das nicht akzeptieren, holen sich - wie Attila Sinkó - ein Stück Familienleben in die Fahrerkabine. Ein paar Meter weiter überprüfen Zbigniew (55) und David Kedzierski (30) gerade den Luftdruck ihres Sattelschleppers: Vater und Sohn. Die beiden Polen sind auf dem Weg von Belgien nach Leipzig, und sie haben schon viel Zeit miteinander verbracht: Kedzierski senior rollt seit 37 Jahren durch Europa, der Junior steht ihm seit neun Jahren zur Seite. Auch zwei Brummi-Brüder verbringen ein Wochenende im Randbereich der Stadt - von den Schönheiten Hannovers bekommen sie nichts zu sehen.
Das Blechschild mit Namen wird zum Klingelschild
Raststätte Lehrte-Nord, A 2, Sonntagmorgen um 11. Stolze 230 Lastwagen stehen Spalier. Nahezu alle Fahrerkabinen sind mit Vorhängen abgeschottet, das Blechschild hinter der Scheibe ersetzt das Klingelschild. An diesem Wochenende wohnen hier, beispielsweise, Józek, Slawek und Sebek. Der Namenszug „Frank und Tina“ hat Seltenheitswert. Die an die Kette der deutschen Straßenverkehrsordnung gelegten Brummis sind auch hier zur Hälfte in Polen gemeldet, vielachsig vertreten sind ebenso Russland und Rumänien, Slowakei und Slowenien, Estland, Lettland, Litauen. An etliche Cockpits haben die Fahrer Satellitenschüsseln montiert, Wasserkanister und Flüssigseife stehen am Kühlergrill, und ein junger Mann werkelt in den Tiefen seines Motorblocks - Sonntagsidyll an einer der gefährlichsten Autobahnen der Republik. Schwere Unfälle haben alle Trucker schon beobachtet, das Wrack eines Kollegen hinter Absperrungen erspäht. Doch Angst vor der Gefahr am Arbeitsplatz? Hat niemand, so der allgemeine Tenor.
Nicht mehr so richtig glücklich mit seinem Beruf ist Klaus Niestroy. Er ist 65 Jahre alt, kutschiert seit seinem 21. Lebensjahr durch Europa. An diesem Vormittag ist er einer der wenigen einheimischen Kraftfahrer in Lehrte-Nord. „Früher war der Zusammenhalt unter den deutschen Fahrern viel größer, da hat man am Rastplatz auch mal gegrillt, ein Bierchen getrunken und stundenlang geklönt“, erzählt der Dortmunder. Doch das stark gestiegene Verkehrsaufkommen, der erhöhte Termindruck und der Schwund von Truckern mit deutschem Pass ließen solche Treffs kaum noch zu. Für die Löhne, die Spediteure den Fahrern aus dem Ostblock zahlen, setze sich kein Deutscher mehr hinters Lenkrad. Sagt Niestroy. Und wie viel verdient er selbst? „Mehr als 2400 Euro, so ungefähr“, lässt sich das Kraftfahrer-Urgestein entlocken.
Neun bis zehn Stunden Fahrtzeit sind erlaubt
Deutsche Fernfahrer haben oft andere Arbeitszeiten als ihre ausländischen Kollegen. Wenn es der Tourenplan zulässt, verbringen sie ihre Wochenenden daheim; dafür kommen sie seltener in den Genuss kompakter Ausgleichs-Wochen. An den bundesweit vorgeschriebenen Arbeitsrhythmus müssen sich aber alle halten: Nur neun bis zehn Stunden pro Tag dürfen sie Gas geben, unterbrochen von mindestens 45 Minuten Pause.
Zwei Jahre will Klaus Niestroy seinen 440-PS-Zug noch durch die Lande steuern, „dann ist das Häuschen fertig renoviert“. Jetzt schon in den Ruhestand zu gehen, könne er sich nicht leisten: „1000 Euro Rente sind einfach zu wenig.“ Und so wird der Vater von drei Kindern seine Schnitzel noch eine Weile neben Zwillingsreifen grillen, wird seine Morgentoilette in mehr oder weniger sauberen Sanitärräumen zwischen Schweden und Spanien verrichten, wird noch viele einsame Stunden Shows und Spielfilme im Cockpit gucken. Aber in zwei Jahren, darauf freut sich der 65-Jährige schon jetzt, wird er endlich mehr Zeit haben - Zeit für Frau und Enkelkinder.