Einser-Absolventin im Rollstuhl findet keinen Praktikumsplatz
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© Quelle: Saskia Döhner
Hannover/Rodenberg. Das Bachelorstudium Soziale Arbeit an der Hochschule Hannover hat sie mit 1,3 abgeschlossen, für ihren Professor Wolfram Stender gehört Gesa Götemann zu den leistungsstärksten ihres Jahrgangs. Trotzdem findet die 32-Jährige aus Rodenberg (Kreis Schaumburg) keinen Praktikumsplatz für das notwendige soziale Anerkennungsjahr. Das vergütete Berufspraktikum ist Voraussetzung zur staatlichen Anerkennung als Sozialarbeiterin. Eigentlich werden Sozialarbeiter derzeit überall gesucht – gerade in Schulen. Laut Stender finden seine Absolventen darum auch in der Regel innerhalb von drei Monaten eine adäquate Stellung.
Doch bei Gesa Götemann sieht das, trotz „Bestnoten und insbesondere überzeugender Leistungen im praxisorientierten Teil des Studiums“, wie der Wissenschaftler es ausdrückt, anders aus. Sie sucht bisher vergeblich nach einem Praktikumsplatz. „Ich kämpfe gegen die Barrieren im Kopf“, sagt sie. „Ich möchte einfach nur arbeiten.“
Kampf gegen die „Barrieren im Kopf“
Gesa Götemann sitzt im Rollstuhl. In den vergangenen acht Monaten hat sie nach eigener Auskunft 70 Bewerbungen geschrieben, im Schnitt zwei pro Woche. Sie habe diverse Vorstellungsgespräche gehabt – und doch immer wieder Absagen bekommen – obwohl ihr stets bestätigt worden sei, wie qualifiziert sie sei. Die junge Frau ist auf eine Assistentin angewiesen, die ihr als „verlängerter Arm oder als verlängertes Bein“ dient. Finanziert wird die Begleitung über ihr persönliches Budget, eine Eingliederungshilfe, auf die Behinderte seit 2008 einen Rechtsanspruch haben. Diese Begleitung sei für Arbeitgeber wohl die größte Hürde, meint die 32-Jährige. Dadurch sei eben immer noch eine weitere Person mit im Raum, aber eigentlich gehe es doch um sie.
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Das gute Zeugnis nützt Gesa Götemann wenig.
© Quelle: Saskia Döhner
Götemann musste sich ihre Jobs immer erkämpfen. Häufig wurde ihr in dem Moment gekündigt, wenn nach ein paar Monaten die staatliche Förderung ausgelaufen war. Nach dem Realschulabschluss in Großburgwedel hat Götemann zunächst zwei kaufmännische Ausbildungen absolviert. Danach hat sie immer wieder als Bürokraft gearbeitet und bei der Euroschule Hannover auf Minijob-Basis eine Bibliothek aufgebaut und geleitet. „Da habe ich gemerkt, dass ich mehr wollte“, erzählt sie, „Ich wollte mit Menschen arbeiten.“ Daraufhin entschloss sie sich zum Studium der Sozialen Arbeit.
An manchen Tagen der Verzweiflung nahe
Ihre Bachelorarbeit trägt den Titel „Zur Diskrepanz zwischen Menschenrechtsanspruch und tatsächlicher (Nicht)inklusion von Menschen mit Handicaps auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt: Wie kann soziale Arbeit als Türöffnerin fungieren?“ Götemann nimmt es mit Galgenhumor: „Ich bin mein eigenes Fallbeispiel.“ Sie ist eine Kämpfernatur.
Trotzdem gebt es Tage, sagt sie, da sei sie nahe an der Verzweiflung. Etwa wenn ein potenzieller Arbeitgeber zu ihr sagt, ihr Lebenslauf sei „brüchig“ oder so gut sei ihr Abschluss mit 1,3 nun auch nicht, er erwarte eine 1,0. Einmal habe man ihr geraten, es lieber doch in einer Behindertenwerkstatt zu versuchen, sagt die Akademikerin, den Tränen nah. „Das will ich auf keinen Fall.“ Ganz zu schweigen davon, dass ihr die feinmotorischen Fähigkeiten dafür fehlen.
Wontorra: Arbeitgeber können auf Behinderte nicht verzichten
Für die Landesbehindertenbeauftragte Petra Wontorra sind derartige Aussagen von Unternehmern ein Beleg dafür, dass „die Potentiale von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch immer nicht gesehen werden“. Sie sagt, gerade Menschen mit Behinderungen wiesen oft eine große Motivation im Berufsleben auf. „Im Hinblick auf den zunehmenden Fachkräftemangel kann es sich unsere Gesellschaft nicht leisten, auf die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben zu verzichten.“
„Diskriminierung ist ein unerträglicher Zustand“
Die Realität sehe leider anders aus, kritisiert Prof. Stender: „Nicht nur für die Menschen, die davon betroffen sind, ist dies ein unerträglicher Zustand, sondern für alle, die sich ein gleichberechtigtes und faires Miteinander in unserer Gesellschaft wünschen“, sagt Stender.
Am liebsten würde Götemann in einer Schule arbeiten, mit schwer erziehbaren Jugendlichen, Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen oder mit Drogenabhängigen. Aber letztlich ist sie für alle Themengebiete offen. Die Hoffnung, dass sich doch noch eine Praktikumsstelle in der Region Hannover, im Landkreis Schaumburg oder Hildesheim findet mit einem passenden Sozialarbeiter, der sie anleitet, hat sie noch nicht aufgegeben. „Ich bin hartnäckig“, sagt sie mit fester Stimme. „Wer Inklusion will, sucht Wege – wer sie nicht will, sucht Gründe.“
Von Saskia Döhner