Warum dieses Bad ein deutschlandweites Vorbild ist
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Das Freibad in Hänigsen ist unter acht Teilnehmern zum schönsten Deutschlands gewählt worden.
© Quelle: Philipp von Ditfurth
Hänigsen. Die soziale Funktion eines Freibades besteht ja nicht zuletzt darin, auf grünen Liegewiesen ausgedehnt und in Ruhe knutschen zu können. Hormone pur. Pommes-Schranke futtern, so lange das Geld reicht. Angeben mit Arschbombe vom Zehner oder, vorsichtig, glatt im Damensprung eintauchen. Rainer Lindenberg, 64, guckt in die Runde. Ferien, die Sonne scheint, viel Platz auf Rasen und Schwimmbecken, manchmal biegt ungemütlicher Wind um die Ecke zu den Tischen im Bistro. Der Wirt bringt Latte Macchiato. „Im Freibad habe ich meine Jugend verbracht“, erzählt Lindenberg, „hier haben viele das erste Mal geknutscht.“ Er kennt fast alle, und er sagt es so, als gelte das womöglich für Hänigsen in seiner dörflichen Gesamtheit.
Lindenberg hat das Dorf seiner frühen Jahre, ein Ortsteil von Uetze im Osten Hannovers, vor ein paar Jahren erneut für sich entdeckt. Er kam aus Düsseldorf zurück, hatte im Management von Otto-Versand und Metro Karriere gemacht, um sich dann als Unternehmensberater selbstständig zu machen. Dem Freibad drohte gerade die Schließung, mal wieder, es war zu teuer. Kurz gesagt: Lindenberg und einige Mitstreiter übernahmen das Freibad, führten es als Genossenschaft weiter, entscheidend unterstützt von einem Förderverein und der DLRG, und bewahrten es vor dem Aus.
Für diese Leistung und die Art und Weise, das Freibad sozusagen als Zentrum sommerlicher Ortsgemeinschaft zu betreiben, haben sie in Hänigsen jetzt einen Preis bekommen. Die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen kürte die gemeinnützige Genossenschaft mit dem „Public Value Award für das öffentliche Bad 2016“. Damit wird nicht das schönste oder größte, das erfolgreichste oder wirtschaftlichste Bad der Republik gewürdigt. Der Lobbypreis ging nach Hänigsen wegen „der besonderen Stellung, die das Bad im gesellschaftlichen Leben einnimmt und somit das Gemeinwohl nachhaltig stärkt“, schrieb die Jury nach zweitägiger Beratung aus Essen.
Inzwischen ist Rainer Lindenberg Sprecher der Genossenschaft. Zum Preis sagt er: „Das ist ein Hammer.“ Die Konkurrenz war zwar überschaubar, sieben weitere deutsche Bäder hatten sich beworben, aber ausgezeichnet wurde ein Modell, das in Zeiten ewiger Sparzwänge auch andernorts geeignet sein könnte, kommunale Hallen- und Freibäder zu betreiben. Wenn die Idee über den Preisträger hinaus weist, ist es nicht so wichtig, wie viel Bewerber am Start waren.
Das Freibad Hänigsen liegt in ländlicher Umgebung am Rande von Höfen und Feldern. 1956 wurde es eröffnet, nachdem Bergarbeiter aus den nahen Gruben von Kali und Salz den Bau vorgeschlagen hatten. Wer unter Tage schuftet in engen und finsteren Tunneln, dem kann es vielleicht in seiner freien Zeit nicht genug sein an Licht und Luft unter einem weiten Himmel. Die Gemeinde war reich, das Freibad wurde auf die grüne Wiese gestellt. Schon damals gab es den mächtigen Sprungturm mit seiner 10-Meter-Plattform am Rand eines weit geschwungenen 50 Meter langen Beckens. Dazu kam eine eigene Nichtschwimmerzone und ein Becken für die Kleinsten, „Doofbecken“ nannten es manche, weil man darin nichts richtiges anstellen konnte außer, nass zu sein.
Rettung durch Freiwillige Helfer
Aber in der Geschichte des Freibads fand auch die Not ihren Platz. Als das Geld weniger wurde in Uetzes Kasse, geriet es auf die Liste gefährdeter Arten, Tradition spielte da keine Rolle. In finanziell klammen Zeiten streichen Gemeinden zuerst dort, wo sie zu Leistungen nicht verpflichtet sind und Bäder zu unterhalten zählt nicht dazu. Das war ungefähr der Moment, als Lindenberg und seine Mitstreiter der Kommune eine Vereinbarung vorschlugen: „Es muss möglich sein, dass wir mit dem halben Zuschuss auskommen. Diese Zusage haben wir eingehalten.“ Statt 320 000 Euro Zuschuss muss die Gemeinde jedes Jahr nur noch die Hälfe zuschießen. Es ist die Summe, die auch das Uetzer Bad erhält.
Die Genossenschaft sparte Personal, weil Freiwillige aus dem Ort helfen. An der Kasse sitzen keine städtischen Mitarbeiter, sondern 30 ehrenamtliche Frauen nach einem selbst erstellten Dienstplan. Um die Grünarbeiten kümmert sich ein Greenteam, der Bauhof muss nicht mehr kommen. Abrechnung, Marketing, Planung, um das alles kümmern sich Freiwillige. 1250 Mitglieder hat die Genossenschaft, und der Förderverein treibt jedes Jahr 10 000 Euro zusätzlich für Investitionen auf. Allerdings hat das alles seinen Preis. Wer im Vorstand der Genossenschaft aktiv ist, muss mit rund 20 Wochenstunden rechnen, die das Bad beansprucht. Lindenberg sagt, dass so etwas kaum leisten kann, wer voll im Berufsleben steht.
Der Jury war besonders wichtig, dass das Freibad mit dem Dorf verbunden ist. Unter der mächtigen Buche gab es schon Gottesdienste, zusammen mit der Lebenshilfe. Grundschüler malten Bilder für die Umkleiden, Yogakurse unter Bäumen sind im Angebot, Kino im Freibad zählt dazu wie auch die Schools-out-Party, und der Marathonwettbewerb „Zehnertotal“, bei dem Sieger ist, wer über einen Zeitraum von zehn Stunden die meisten Sprünge schafft. „Das Bad von allen für alle“ haben sie in der Genossenschaft ihr Konzept listig genannt, und diese Botschaft auch vorm Eingang sichtbar für alle montiert.
Natürlich gibt es auch das Bäderprogramm wie Schwimmkurse, Fitness, Seniorensport oder Wassergewöhnung für Babys. Die Genossenschaft hat mit 600 000 Euro aus eigenen Mitteln aus dem „Doofbecken“ einen Plantschibereich mit Wasserdüsen und künstlicher Sandburg gemacht und das Nichtschwimmerbecken saniert. Dass so etwas gelingt, liegt auch an der für Bäder ungewöhnlichen Reklame: Manches örtliche Unternehmen hat hier Werbetafeln angeschlagen. Auf dem Grund des großen Beckens findet sich sogar die Internetadresse des Bades. Der Umsatz hat sich in den vergangenen Jahren um 50 Prozent gesteigert, die Besucherzahl liegt bei knapp 46 000 während einer Sommersaison.
Bei einem Rundgang blickt Lindenberg auf das Handballfeld hinter dem Bademeisterhaus, der örtliche Klub hatte nachgefragt, ob er nicht hier draußen statt in der Halle trainieren könne. Klar, sagte Lindenberg. Und da fällt ihm in knappen Wort die Idee ein, die im Freibad Hänigsen hinter allem steht. „Jeder Verein, der meint, er hätte etwas, das ihm und uns gut tut, ist willkommen. Wir binden Vereine, die bringen Besucher, die später Eintrittskarten kaufen, das ist das Prinzip.“
Aber Rainer Lindenberg hat längst noch nicht alles erzählt. Er ist der Typ, der eher einen Latte Macchiato kalt werden lässt, als eine Geschichte nicht zu berichten. Dass das Bad Energie kostenlos aus der Biogasanlage bezieht. Deshalb die Wassertemperatur extrem angenehm ist. Wie man die Leitungen finanzierte. Ein Detail bringt das nächste mit sich, wie soll man da an den Latte denken? Einmal hatte Lindenberg den Plan, die besten Turmspringer der Welt nach Hänigsen zu holen. „Da haben die Leute gedacht, jetzt ist der Lindenberg endgültig verrückt geworden“, sagt der Lindenberg. Bevor dann wirklich der Olympiateilnehmer Christian Picker in Salti und Schrauben vom Zehner ins Wasser sprang, zurrte Lindenberg ein großes Transparent am Sprungturm fest: „Die besten Turmspringer der Welt!“, stand drauf.
Die Botschaft aus Hänigsen bei Uetze im Osten Hannovers ist: Wenn Menschen sich zusammen tun, die wirklich an etwas hängen, dann ist vieles möglich. Es muss vorher nicht mal geknutscht worden sein.
„Mehr als ein Wasserloch“
Die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Essen. Ihm gehören Kommunen mit Bäderbetrieb an, Gewerbe- und Industrieunternehmen, Architekten und weitere Freiberufler, Vereine, die Bäder betreiben sowie Verbände wie etwa DLRG und der Bundesverband Deutscher Schwimmmeister. Der „Public Value Award“, den für 2016 das Freibad Hänigsen gewann, ist der Branchenpreis, um die Bedeutung öffentlicher Bäder für die Gesellschaft hervorzuheben. Er wurde bisher vier Mal vergeben. Der auslobenden Gesellschaft ist wichtig, dass bei Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung die Bedeutung von Bädern für das Gemeinwohl wahrgenommen wird. Dies sei „eine wichtige Voraussetzung für die Förderung der Institution öffentliches Bad“. Kritisiert wird der oft rein wirtschaftliche Blick in Kommunen, der die gesellschaftliche Funktion dieser Bäder mit ihren vielfältigen Aufgaben oft außer acht lasse. Hallen- wie Freibäder zählen nicht zur sogenannten kommunalen Daseinsvorsorge wie etwa der öffentliche Nahverkehr und die Müllabfuhr. Sie sind freiwillige Leistungen und stehen bei Sparplänen in Städten und Gemeinden oft in den Listen der Kämmerer. Bei der Preisvergabe im vergangenen Jahr sagte der Juryvorsitzende Timo Meynhardt von der Universität St. Gallen: „Ein öffentliches Bad ist mehr als ein künstlich angelegtes Wasserloch. Ein öffentliches Bad ist ein gesellschaftliches Ereignis mit einem ganz eigenen Beitrag zum Gemeinwohl, der durch das Betriebsergebnis nur ungenügend erfasst werden kann.“ Gunnar Menkens