Montane Spine Race

Hannoveraner rennt 426 Kilometer – und bricht kurz vorm Ziel zusammen

Jens Wackerhagen

Jens Wackerhagen

Hannover. “Ungemütlich“ ist so ein Wort, das Jens Wackerhagen in aller Ruhe benutzt, wenn er verschiedene Zustände von miesem Wetter beschreibt. Er meint damit kein nasskaltes Wohlfühl-Ambiente bei null Grad und einer sehr langen Laufstrecke voraus. Ungemütlich ist es, wenn ein Schneesturm tobt, und er steckt mittendrin. Starkregen, der niemals aufhört, aber an Unterschlupf nicht zu denken ist, weil er an einem Rennen teilnimmt. Orkane, die Menschen umwerfen können. Gewitter. Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Er hat all dies durchlitten.

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Doch als es richtig ungemütlich wurde, stand Wackerhagen in englischer Landschaft in einem Whiteout. Von allen Seiten hatte er nur Schnee im Blickfeld und kein Horizont war in Sicht, der Orientierung gab. „15 Kilometer weit nur eine weiße Wand, dazu minus 18 Grad, der Wind hatte 100 Stundenkilometer. Das ist kein Spaß, da kannst du auch kein Zelt aufschlagen und abwarten, da sieht man zu, dass man rauskommt aus der Scheiße.“ Er kam heraus aus der Blindheit, das GPS wies ihm den Weg. Und kurz vorm Ziel, als die Konkurrenten schon dachten, der Wackerhagen packt es, der kommt durch bis zum Ende, verlor er doch noch sein Maß und seine Mitte.

Jens Wackerhagen ist 40 Jahre alt, ein drahtiger Mann, ein Läufertyp und ein Optimist. Er arbeitet als OP-Fachkraft im Henriettenstift, doch einige Male im Jahr zieht es ihn raus zu den härtesten Rennen. In der vergangenen Woche lief er das Montane Spine Race, eine Strecke von 426 Kilometern von Edale nach Kirk Yetholman an der schottischen Grenze. Eine Woche Zeit haben Teilnehmer, um die Distanz zu bewältigen, deren Basis ein Fernwanderweg ist. Die Veranstalter werben damit, dass es sich um eines der härtesten Ausdauerrennen der Welt handele. Aber wenn er von den Strapazen erzählt, dann ist darin kein Triumph zu hören.

In den Monaten vorm Rennen lief Wackerhagen jedes Wochenende eine lange Stecke von fünf bis zehn Stunden am Stück, in der Woche weniger, dafür auch mit Stirnlampe im Dunkeln. Es gibt ja immer noch den Job und seinen sieben Jahre alten Sohn. Er berechnete, wie viel Kalorien er pro Tag beim Rennen braucht, damit sein Körper die Belastungen übersteht. Und die Ausrüstung musste stimmen: Schlafsack, Biwak, GPS, Kocher, Hosen, Jacken, Socken, Schuhe, Stöcke.

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Entlang der Strecke gibt es keine Hotels zum Übernachten, wobei die Idee einer Übernachtung für die 140 Teilnehmer sowieso eine verrückte Idee sein dürfte. Falls man überhaupt längere Zeit schlafen will, dann muss es man es in Hütten tun, die drinnen oft so kalt sind wie draußen die Nacht. Mehr als vier Stunden pro Tag billigte Wackenhagen sich ohnehin nicht zu. Der Hannoveraner kämpfte sich durch die Etappen, umweht von ungemütlichem Wetter, er lag gut in der Zeit.

Das Aus kam unerwartet. Am letzten Checkpoint wollte Wackerhagen eigentlich vier Stunden schlafen, aber es war eiskalt und an Erholung nicht zu denken. Er lief weiter. In einem Moorgebiet standen sie mal knietief, mal bis zur Hüfte drin, Schneeverwehungen verdeckten manche Löcher. „Und es war kalt, kalt, kalt“. Bald kam er nur noch einen Kilometer pro Stunde voran. Mitten in diesem Kampf begannen die Sorgen, dass er zuwenig Nahrung dabei haben könnte, um die Strapazen zu überstehen. Zu wenig Kekse, Marzipanbrot, Salami und Energiepulver. „Da war ich das erste Mal ein bisschen betrübt.“

Dann kam der Sturz. Das Schlimmste war, dass Jens Wackerhagen dabei seine Flasche mit Energiedrinks verlor. „1600 Kalorien waren weg, die sollten mich eigentlich ans Ziel bringen.“ 500 Meter vorm letzten Versorgungsposten brach er zusammen. Er halluzinierte, er war unterkühlt, im Wortsinn ging nichts mehr. Als Läufer vorbei kamen, boten sie ihm Riegel an, doch was für ein Unglück: Riegel mit Gluten, das Wackerhagen nicht verträgt. Bald darauf kam das Rettungsteam und brachte ihn in eine Hütte. Sein Zustand war so schlecht, dass die Offiziellen ihn aus dem Rennen nahmen.

Er war mehr als 139 Stunden unterwegs gewesen. Eine einzige Etappe hätte er noch vor sich gehabt bis ins Ziel. Zehn lächerliche Kilometer, für die er 28 Stunden Zeit gehabt hätte. Er war in diesem Januar einen ganzen Tag schneller als ein Jahr zuvor, doch es nützte nichts. Zusammen mit den Rettungsleuten ging er den Berg hinab. „Das hat mir das Herz zerrissen“, sagt Wackerhagen Tage später.

Er war wütend auf sich selbst. Es sollte eine Reise in der Natur werden, sagt Jens Wackerhagen, kein Wettbewerb. Eine Reise, die bei nasskaltem Wetter und angenehmen null Grad begonnen hatte. Dann wurde sein Ehrgeiz wach und übertönte die Stimme der Vernunft:  „Als ich gehört habe, dass ich plötzlich 13. in der Wertung war, habe ich mich zu sehr gepusht. Ich weiß nicht, warum ich plötzlich einen Wettbewerb daraus gemacht habe.“

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Am vergangenen Sonntagabend kam Wackenhagen wieder in Hannover an. Nachts holten ihn Albträume ein, seine Muskeln zuckten. Dienstagnachmittag trat er seine Spätschicht im Henriettenstift an. Nächstes Jahr will er zurück zum Montane Spine Race. Zur Überbrückung hat er sich für zwei Rennen über 175 Kilometer angemeldet.

Das Ziel sind 15.000 Euro

Jens Wackerhagen will mit seinen Läufen Geld sammeln, damit zwei Kinder aus  Angola operiert werden können. Joao und Laurindo leiden an der Klumpfußkrankheit, eine Operation kostet 15.000 Euro. Während seines 426 Kilometer langen Laufes kamen mehr als 5000 Euro zusammen. Die Diakovere unterstützt die seit 2015 laufende Kampagne von Wackenhagen.

Das Spendenkonto: 

IBAN DE78 5206 0410 0100 6022 48

BIC GENODEF1EK1

Stichwort „Jens rennt“ 

 Oder als Online-Spende unter www.diakovere.de/jensrennt

Von Gunnar Menkens

HAZ

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