Hannovers bekanntester Herrenausstatter ist tot
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Immer gut gekleidet: Georg Erdmann als 69-Jähriger zum 75-jährigen Bestehen des Geschäfts.
© Quelle: NP
Hannover. Man sah ihn immer aufrecht, ob stehend oder sitzend. Ein Gentleman. Gut gekleidet, aber nie affektiert. Georg Erdmann, Hannovers Herrenausstatter, hat über Jahrzehnte das Bild des Innenstadt-Handels geprägt wie wohl kaum ein anderer. Jetzt ist er kurz vor seinem 80. Geburtstag gestorben.
Was kaum einer weiß: Männermode mochte Erdmann eigentlich nie. Vor allem an sich selbst wollte er Modisch-Kurzlebiges nicht sehen. „Ich will nicht herumlaufen wie ein Boutiquebesitzer, ich bin ein Herrenausstatter“, hat er einmal im Vertrauen gesagt. Dass er überhaupt Herrenausstatter wurde, hatte er sich nicht ausgesucht. 1969 ist er in den elterlichen Betrieb eingestiegen und hat ihn zu einem Unternehmen mit Strahlkraft weit über die Region hinaus ausgebaut. Wäre es nach ihm gegangen, dann wäre er wohl eher Fotograf oder Marketingmann geworden. „Erdmann erkennt man“, so lautete der eingängige Werbeclaim seines Geschäfts.
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Hannover. Benefiz-Essen der Aidshilfe im Acanto. . Georg Erdmann und Ulrike Gizyn
© Quelle: HAZ NP
Als Person war Georg Erdmann beides: grundbodenständig und zugleich ein echter Lebemann. Er schätzte seine Dunhill-Zigaretten (nur die roten!), schnelle Autos (am liebsten fuhr er seinen Aston Martin, hatte zwischenzeitlich aber auch einen Porsche Speedster, ein jahrzehntealtes Mercedes-Cabrio und einen noch älteren MG in der Döhrener Garage), er liebte gute Kunst (vor allem die Kestnergesellschaft), gutes Essen - und Frauen. Mit drei Frauen ging er den Bund der Ehe ein und löste ihn jeweils wieder, zuletzt war er noch mit einer wesentlich jüngeren Lebensgefährtin liiert.
Im Erdgeschoss spielten die Scorpions
Im Geschäftsleben war er wesentlich beständiger. Konsequent baute er das nach seinem Vater Georg Erdmann benannte Geschäft aus, errichtete sich in der Großen Packhofstraße einen zeitgemäßen Neubau und steuerte in ökonomischen Hochzeiten acht Filialen im norddeutschen Raum. Gelernt hatte er sein Textilhandwerk von der Pieke auf bei Peek & Cloppenburg, kümmerte sich stets selbst um Kollektionen und Einkauf - und vor allem um die Werbung. Große Zeitungsseiten gestaltete er mit avantgardistischen, kreativen Motiven, gewann dafür bundesweit Preise.
Früher als andere erkannte er auch, dass der Handel sich inszenieren muss. Ein Zirkus gab spektakuläre Stunts am Heißluftballon vor dem Geschäft, Rennfahrer Jochen Mass signierte Autogrammkarten, und zur Eröffnung der Filiale in Peine lief Heinz Erhardt als Model über den Laufsteg. Bei der Eröffnung des ersten hannoverschen Herren-Trendshops im Untergeschoss des Erdmann-Hauses spielte eine damals noch unbekannte Rockband namens Scorpions. Es gab massive Nachbarschaftsbeschwerden wegen des Lärms, und am Ende blieben nur 4,50 Euro in der Kasse übrig.
Auf das Jubiläum folgt das Aus
Das Kerngeschäft lief deutlich besser - und bot Erdmann die Chance, sich auch um eine Herzensangelegenheit zu kümmern: die Überdachung der Großen Packhofstraße. Jahrelang verfolgte er das Projekt, den Einkaufsbereich zur Passage umzuwandeln, mit Inbrunst und langem Atem - doch immer wieder scheiterte der Plan an Formalitäten.
2006 feierte Erdmann das 75. Firmenjubiläum. Doch Anfang 2009 musste das Geschäft schließen, weil sich weder in der Familie noch außerhalb jemand fand, der es weiterführen wollte. 63 Mitarbeiter verloren damals ihren Job, und vielleicht ist deren Haltung bezeichnend für die Geisteshaltung von Georg Erdmann. Sie lobten trotzdem ihren Chef, weil er sich wie ein Ehrenmann verabschiedete und sein Geschäft schuldenfrei, also ohne Insolvenz, hinterließ, mit einem Sozialplan für alle Beschäftigten. Inzwischen steht auf der Ecke von Großer Packhof- und Heiligerstraße der Neubau der polnischen Modekette Reserved. Respektvoll hatte der Investor während der Bauphase stets vom "neuen Erdmann-Haus" gesprochen.
In den vergangenen Jahren hat man Erdmann immer seltener bei öffentlichen Anlässen gesehen. Mit seiner letzten Ehefrau Ulrike Gizyn, mit der er 14 Jahre verheiratet war und das Geschäft gemeinsam führte, ging er 2010 noch einmal zum „Dîner der feinen Künste“ in der Kestnergesellschaft. Gelegentlich sah man ihn in guten Restaurants. Ihn, den Perfektionisten, habe zunehmend genervt, dass der Körper altere, berichten Weggefährten. Im Oktober stürzte er schwer, kam ins Friederikenstift. Er erholte sich zwar zunächst wieder, wurde dann aber immer schwächer. Am 29. Dezember starb er im Krankenhaus.
Viele inhabergeführte Geschäfte verschwinden – aber viele bleiben
Hannover gilt bundesweit als eine Großstadt mit vielen inhabergeführten Geschäften – etwa 15 Prozent der Innenstadtgeschäfte werden von den Eigentümern selbst gemanagt. Trotzdem wird auch hier die Zahl alteingesessener Traditionsgeschäfte, wie Erdmann es war, geringer.
Das älteste Geschäft der Stadt schließt voraussichtlich zum Ende dieser Woche – es ist der Leder- und Hundewarenbedarf Rissmann in der Schmiedestraße. Das Geschäft ist seit 281 Jahren in Familienbesitz, Inhaber Jürgen Rissmann fand keinen Nachfolger.
Große Namen sind in den Vorjahren verschwunden. Etwa das Modegeschäft Otto Werner an der Ecke von Großer Packhof- und Osterstraße, Göbelhoff in der Nordmannpassage oder Heutelbeck neben dem Kröpcke-Center sind Geschichte.
Andere haben den Generationswechsel gerade eingeleitet. Bei der Parfümerie Liebe zum Beispiel, Geschäft mit 145-jähriger Tradition, ist die 41-jährige Inhabertochter Caroline Prenzler zum Jahresende in die Geschäftsführung mit eingestiegen.
Zu den echt-hannoverschen Innenstadtgeschäften gehören etwa auch I.G. von der Linde, Mäntelhaus Kaiser, Horstmann+Sander, Decius, Schuh Neumann, Becker & Flöge, Wormland, Haushaltswaren Weitz oder die Goldschmiede Stichnoth.
HAZ