Autoarme City?

HAZ-Forum: Eine attraktivere Innenstadt – ein Ziel, aber viele Meinungen

Wie verbindet man Klimaschutz und moderne Verkehrskonzepte Moderator Heiko Randermann diskutiert mit Oberbürgermeister Belit Onay (links) und ADAC-Präsident Christian Reinicke.

Wie verbindet man Klimaschutz und moderne Verkehrskonzepte Moderator Heiko Randermann diskutiert mit Oberbürgermeister Belit Onay (links) und ADAC-Präsident Christian Reinicke.

Hannover. An den Juli denkt Birgit Schmalstieg-Möbus äußert ungern zurück. Die Auswirkungen des Lockdowns waren gerade einigermaßen überstanden, da hatte die Besitzerin der Boutique „Marie Jo“ in der Altstadt das nächste Problem: Die Schmiedestraße war gesperrt. Viele ihrer Kunden, die sonst mit dem Auto kommen, seien weggeblieben, berichtet sie. Auch fast fünf Monate später ist sie noch erbost über die von der Stadt angeordnete Blockade. „Ich habe nichts gegen eine autofreie Innenstadt, aber es kann nicht sein, dass harakirimäßig etwas beschlossen wird, und alle müssen sich da durchkämpfen.“

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Kritik an „Experimentierräumen“

Die Geschäftsfrau übte beim HAZ-Forum zur Verkehrspolitik am Mittwochabend deutliche Kritik an den „Experimentierträumen“, mit denen die Stadtverwaltung mitten in der City im Sommer Verweilzonen geschaffen und den Durchgangsverkehr unterbunden hatte. Sind solche Aktionen der richtige Weg, um eine Verkehrswende zu erreichen? Wie viele Autos verträgt Hannovers Innenstadt? Und was muss getan werden, damit diese ein Ort bleibt, wo die Menschen gern einkaufen und der zugleich attraktive Treffpunkte bietet?

Birgit Schmalstieg-Möbus

Birgit Schmalstieg-Möbus

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Viele Fragen. Über die richtigen Antworten stritten Schmalstieg-Möbus und der Bundespräsident des ADAC, Christian Reinicke, mit Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Zu den Podiumsgästen gehörte auch Dirk Hillbrecht vom Radfahrerverein ADFC. In der Diskussion wurde schnell klar, dass sich alle Beteiligten eine attraktive Innenstadt wünschen. Wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist, darüber gingen die Meinungen allerdings auseinander.

Sehen Sie hier die Debatte in voller Länge:

Das von HAZ-Reporterchef Heiko Randermann moderierte Forum wurde aus dem ehemaligen SFU-Gebäude an der Schmiedestraße live übertragen. Ein passender Ort: Entgegen der Proteste von Einzelhändlern hat die Stadt die Straße zurzeit erneut gesperrt – um Buden für den Weihnachtsmarkt aufzustellen. „Es ist traurig, dass sie aus Fehlern nicht gelernt hat“, meinte Veikko Harder vom „Picaldi Store“, der sich aus dem Publikum zu Wort meldete. Für ihn ist die Verkehrsplanung rund um die Schmiedestraße „eine Katastrophe“. Peter Lohmann, Anwohner vom Marstall, klagte über „permanente Staus und einen Verkehrsinfarkt“ vor seiner Haustür, auch ohne die Sperrungen.

Belit Onay

Belit Onay

Onay verteidigte das Vorgehen der Verwaltung. Man wolle die Autos „nicht aus der City verbannen“, sagte er. Der OB bekräftigte gleichwohl sein Wahlversprechen, die Innenstadt bis 2030 autofrei zu machen und nur bestimmte Ausnahmen, etwa für den Lieferverkehr, zuzulassen. Statistisch gesehen habe jeder zweite Mensch in der Region Hannover ein Auto, das sei zu viel. Auch im Sinne des Klimaschutzes müssten die Verkehrsräume neu verteilt werden. Ein erster Weg dazu seien die sommerlichen „Experimentierräume“ gewesen, die aus Onays Sicht ein Erfolg waren. Es gehe darum, eine lebendige, gut frequentierte Innenstadt mit viel Aufenthaltsqualität und ausreichend Platz für Handel, Dienstleistungen, Gastronomie sowie Wohnen zu schaffen.

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Christian Reinicke.

Christian Reinicke.

Die Stadt bleibe Antworten schuldig, wie das funktionieren soll, kritisierte ADAC-Präsident Reinicke. Für die Zukunft brauche es ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Verkehr in der Innenstadt, forderte der Verbandsvertreter, der in der Region Hannover wohnt. Eine autofreie Innenstadt sei für ihn kein „Horrorszenario“, sagte er. Doch: „Nur den Autos den Platz wegzunehmen, ist nicht die Lösung.“ Es müsse zugleich an sinnvolle Alternativen für den Rad- und Fußverkehr sowie den ÖPNV gedacht werden.

Dirk Hillbrecht.

Dirk Hillbrecht.

Lob für die Velorouten

Das bekräftigte ADFC-Vertreter Hillbrecht. Doch die Konsequenz ist für ihn eine andere: „Der Platz für Autos muss zurückgeschraubt werden, damit genug Platz für andere Verkehrsteilnehmer da ist.“ Nach seinen Worten fährt schon jetzt nur „eine Minderheit“ mit dem Auto in die Innenstadt. Studien hätten ergeben, dass sich lediglich 20 bis 25 Prozent der Citybesucher hinters Steuer setzten. Darum müssten künftige Verkehrsplanungen stärker an den Bedürfnissen der Nichtautofahrer ausgerichtet werden. Die von der Stadt gestarteten Velorouten seien ein Anfang.

Prenzler: „Mammutaufgabe für die Stadt“

City-Gemeinschaft-Geschäftsführer Martin Prenzler, der im Publikum Platz genommen hatte, sieht eine „Mammutaufgabe“ auf die Stadt zukommen. Es gebe viel zu wenig Park-and-ride Plätze in Hannovers Randbezirken, bemängelte er. Und wenn diese vorhanden seien, seien die Entfernungen oft zu weit. „Von der Messe sind es 14 Haltestellen bis zum Kröpcke.“ Nur wenn es gelinge, „den ÖPNV komplett umzubauen“, könnten auch mehr Menschen zum Umsteigen bewogen werden. Problematisch sei, dass die Region Hannover die Planungshoheit für den Nahverkehr habe und nicht die Stadt. „Da sitzen wir zwischen Baum und Borke“, sagte Prenzler.

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Martin Prenzler.

Martin Prenzler.

Der Schützenplatz als Großparkplatz?

Eine Idee für einen innenstadtnahen Großparkplatz warf Zuhörer Manfred Gold in die Runde. „Wie wäre es, wenn vom Schützenplatz ein Shuttleverkehr eingerichtet wird?“, fragte er. Möglicherweise könne man dort später auch noch eine Tiefgarage bauen. Zuhörer Hainer Schewe brachte ein Beispiel aus der französischen Stadt Montpellier ins Spiel: „Die Stadt ist nur halb so groß wie Hannover, aber dort gibt es viele Parkplätze in der Peripherie.“ Mit Straßenbahnen führen die Leute von dort in die City, der Parkschein sei zugleich ein Ticket für den Nahverkehr.

Was wird aus den Parkhäusern?

Auch über die Zukunft der Parkhäuser in der Innenstadt wurde diskutiert. Sie blieben zugänglich, sagte Onay, sprach zugleich aber von „mittelfristigen Konzepten“. ADAC-Vertreter Reinicke war das zu schwammig. „Wenn die Innenstadt mittelfristig ohne Parkhäuser autofrei werden soll, muss man das ehrlich sagen“, stellte er klar. Er mahnte auch, an den Lieferverkehr zu denken – und an ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen, die zum Beispiel auf einen Arztbesuch in der Innenstadt angewiesen seien. „Unser Laborlieferant kann nun mal nicht mit dem Lastenrad kommen“, kommentierte das Michael Schroeder, Zahnarzt aus der Osterstraße, im Publikum. Der Mediziner warf Onay in scharfer Form vor, mit den Straßensperrungen zu weit gegangen zu sein. „Wenn ich so mit meinen Patienten experimentieren würde, wären sie schreiend davongelaufen oder tot.“

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Michael Schroeder

Michael Schroeder

OB: „Keine Denkverbote“

Der OB ließ sich nicht beirren. Es dürfe „keine Denkverbote“ geben, meinte er. So sei etwa der Ballhofplatz früher auch von Autos befahren worden – heute mache gerade die verkehrsfreie Zone seinen besonderen Charme aus. Zuhörerin Heidi Forneck plädierte für Besonnenheit. Veränderungen erzeugten häufig Widerstände und Ängste, sagte sie. Wichtig sei es, das zu reflektieren und sich Neuem nicht zu verschließen. In den Siebzigerjahren seien die Bahnhofstraße, die Georgstraße und die Karmarschstraße ganz oder teilweise zu Fußgängerzonen geworden, „und Hannover ist auch nicht untergegangen“, gab ADFC-Vertreter Hillbrecht zu bedenken.

Heidi Forneck

Heidi Forneck

Onay ließ sich nicht in die Karten gucken. Was genau die Stadt für die Verkehrswende plant, blieb offen. Im Laufe des kommenden Jahres werde man ein Verkehrskonzept für die Innenstadt vorlegen. Die Diskussion darüber habe mit den „Experimentierräumen“ begonnen. Sie werde nun im Zuge des Innenstadtdialogs in „Quartierswerkstätten“ mit einem 100-köpfigen Beirat und anderen Beteiligten aus vielen gesellschaftlichen Bereichen weitergeführt. Der OB forderte auch die Forumsteilnehmer auf: „Nehmen Sie den Ball auf, diskutieren Sie mit.“

Von Juliane Kaune

HAZ

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