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Einblicke in die Tierärztliche Hochschule

Mit Max am Kran

v.li Joachim König, Anna Rötting, Christof Reichert, Nadja Firmenich

v.li Joachim König, Anna Rötting, Christof Reichert, Nadja Firmenich

Kirchrode. Max ist 14 Jahre alt und hat bei einer Größe von etwa 1,40 Meter ein Gewicht von 427 Kilogramm. Das sagt die Waage in der neuen Pferdeklinik der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) - und was die sagt, ist nicht ganz unwichtig: Max soll heute eine Vollnarkose bekommen, und die Medikamente werden auch nach seinem Gewicht berechnet. Das Pony lahmt seit Anfang November. Der heimische Tierarzt in Göttingen war ratlos, was er noch mit Max anstellen sollte.Also kam der kleine Braune in die TiHo. Dort kniet jetzt Tierärztin Anna Rötting neben seinem linken Hinterbein und fährt mit dem Kopf des Ultraschallgerätes über die Fessel.

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Max nimmt die Prozedur gelassen hin

„Hier, das sieht aus wie eine Verkalkung, und da könnte ein kleines Stückchen Knochen raus sein“, sagt sie mit Blick auf den Monitor des Gerätes, das man seiner Ausstattung nach durchaus auch in einer Humanpraxis finden könnte. An ihrer Seite sind Tierarzt Christof Reichert, Spezialist in Sachen Chirurgie, der mit ihr später im Operationssaal zusammenarbeiten wird, Assistenzarzt Moritz Gaus, Fachmann für Orthopädie, Anästhesist Klaus Hopster sowie einige Studenten. Max steht ruhig in dem großen Raum. Er nimmt die ganze Prozedur gelassen hin. Wie auch bei menschlichen Patienten üblich hat er bereits morgens etwas zur Beruhigung bekommen.

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Im Vorraum zur OP steht schon alles bereit. Aber wozu braucht man einen Staubsauger? Das wird sich später aufklären.

Erstmal wird Max hinter eine bewegliche Wand auf einer Seite des Raumes geführt. Der Anästhesist leitet die Narkose ein, und während das Pony zusammensackt senkt sich die Wand langsam in die Waagerechte ab. So fallen Max‘ 427 Kilo nicht auf den Boden, sondern kommen auf der gepolsterten Wandseite zum Liegen.

Während das OP-Team Max einen dicken Beatmungsschlauch durch die Zähne einführt, wird schon der Kran herangefahren. Schlaufen werden über die Hufen des Ponys gezogen. Der OP-Tisch wird hereingefahren. Langsam hebt der Kran das schlafende Pony an und senkt es ein Stück weiter über dem OP-Tisch ab. Jetzt klärt sich auch auf, warum eine Art Industriestaubsauger in der Ecke steht. Mit ihm wird nach und nach die Matte unter dem Körper des Ponys aufgeblasen. So wird dieser zum einen stabilisiert, zum anderen bekommt er keine Druckstellen. Das Bein, um das es geht, wird hochgelagert und fixiert. Dann wird es nochmals rasiert. Kein Härchen darf nachher die Chirurgen behindern.

In diesem Krankenhaus riecht es nicht nach Krankenhaus. Es riecht nach Pferd.

Auch die Haare der OP-Mannschaft müssen komplett unter Hauben verschwinden. Nadja Firmenich zwirbelt ihre Haare zusammen und steckt sie unter das Netz. Die Studentin und darf heute bei der Operation dabei sein. In grüner OP-Kleidung und weißen Plastikclogs geht es durch die Schleuse in den OP. Dort ist der Tierkörper inzwischen mit grünen Tüchern abgedeckt. Anna Brunetto schmiert dem Patienten ein wenig Creme in die Augen. Auch wenn das Tier narkotisiert ist, heißt das nicht, dass es auch automatisch die Augen geschlossen hat. Es wird zudem nicht blinzeln. Daher ist es wichtig, die Augen feucht zu halten.

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Max ist nicht ganz leicht – also wird der kleine Braune mit einem Kran auf den OP-Tisch gehievt. Foto: Nico Herzog

In diesem Krankenhaus riecht es nicht nach Krankenhaus. Es riecht nach Pferd. Max‘ Körper hebt und senkt sich regelmäßig die Beatmung funktioniert. Auf dem Monitor ist sein Herzschlag zu sehen.

Anna Rötting tastet das Gelenk des Ponys ab, das unter einer eng anliegenden Folie zu sehen ist. Sie wird eine kleine Kamera dort hineinfahren und sich auf diese Weise das Innere ansehen. Gelenkspiegelung oder Arthroskopie nennt man das minimalinvasive Verfahren. Dazu wird das Gelenk zunächst mit Flüssigkeit aufgefüllt. Dann erfolgt ein kleiner Schnitt. Blut läuft in einem kleinen Rinnsal heraus und wird sofort von der Ringer-Lösung, einer Art angereicherter Kochsalzlösung, weggespült. Drei Monitore sind eingeschaltet: Einer hängt an der Wand, einer dort, wo das Publikum hinter einer Glasscheibe die Operation mitverfolgen kann, und einer direkt am Gerät, das die Bilder der Gelenkspiegelung auswertet.

Den Defekt vermutet die Tierärztin in der Sehnenscheide

Langsam führt die Tierärztin zunächst eine große Hohlnadel in das Gelenk ein. Dort hindurch rutscht dann das Arthroskop, ein spezielles Endoskop, das bei einer Gelenkspiegelung eingesetzt wird. Es besteht aus einem optischen System von Stablinsen, einer Lichtquelle und meist einer Spül- und Absaugvorrichtung. Das Innere des Gelenks wird somit gleichzeitig gespült, damit die Kamera freie Sicht auf die Sehnen hat. Denn darum geht es bei dieser Operation: Die Sehnenscheide steht im Fokus der Tierärztin. Dort vermutet sie den Defekt, der Max Schmerzen bereitet.

Plötzlich tauchen Bilder auf dem Monitor auf. Die Kamera fährt wie durch eine weiße Hügellandschaft. Ab und zu flattern Faserstränge wie Lianen durchs Bild. Der Spülstrom mit der Ringer-Lösung setzt sie in Bewegung. Zwei Fünf-Liter-Beutel hängen an einem Gestell, sie dienen allein zum Spülen. Blutig ist das Ganze nicht. Das Pony selbst bekommt zur Kreislaufstabilisation ebenfalls Ringer-Lösung, die aus Drei-Liter-Beuteln in die Vene fließt. Alles ist etwas größer als in einer Human-OP. Aber Max ist ja auch ein klein wenig schwerer.

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Die TiHo gehört zu den ältesten Ausbildungsstätten für Veterinäre in Deutschland. Das Bild stammt vermutlich aus der Zeit um die Jahrhundertwende.

„Da ist definitiv etwas ausgerissen“, wendet sich Rötting an ihren Kollegen Reichert: „Das ist massiv gespalten. Machen wir davon bitte einmal ein Foto?“ Ein Knopfdruck am Monitor genügt dafür. Offenbar ist die Verletzung dramatischer als sie auf den ersten Blick aussah. Die Spitze der Kanüle, die Reichert durch den Fesselkopf gestochen hat, sieht auf dem Monitor wie ein riesiges hohles Abflussrohr aus. „Nicht zappeln, reinstechen“, fordert Rötting. Die Spitze der Kanüle zeigt ihr, wo sie mit dem Instrument gerade ist. Ansonsten ist eine solche Kamerafahrt reine Gefühlssache: „Ich sage mal so: Kinder, die viel mit dem Joystick gespielt haben, haben sicherlich eher ein gutes Gefühl dafür.“

Ruhig gleitet die Kamera durch die Sehnenlandschaft. Rötting verlangt nach dem Biopsiegerät. Das sieht aus wie eine dünner Stab mit einer Vorrichtung an der Spitze, die aussieht wie das Schnappmaul einer Schildkröte. Damit kann die Operateurin kleinste Fasern abtrennen, festhalten, herausziehen und bei ihrem Kollegen auf einem Mullstück abstreifen. Was auf dem Monitor wie die Arbeit eines Riesenbaggers aussieht, ist in Realität Millimetersache.

Zwischen roten Polstern kommt Max wieder zur Besinnung

Stück für Stück knipst Rötting die losen Faserenden ab, bis alles sauber aussieht. Mehr kann sie nicht tun. „Er wird jetzt Entzündungshemmer bekommen“, erklärt sie, und einen Spezialbeschlag, damit das Pony das Gelenk schont. In zwei Wochen wird geschaut, wie der Heilungsverlauf ist.

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Christof Reichert hat zu Nadel und Faden gegriffen. Mit kleinen Stichen näht er die Einstichstelle zu. Dann wird Max in die rot gepolsterte Aufwachbox geschoben. Von oben kann man das Pony dabei überwachen, wenn es zu sich kommt. Max hat die OP gut überstanden. Und während das Pony langsam zu sich kommt, wirft das Team die grünen OP-Kleidung in die Tonne für benutzte Kittel und Hosen, spült die Plastikschuhe komplett ab und zieht sich wieder Jeans und Sweatshirts über.

Lesen Sie hier die weiteren Teile aus der Serie "Einblicke"

HAZ

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