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Größte FKK-Sammlung in Europa

Nackig im Archiv

20.000 Titel von FKK bis Arbeitersport: Prof. Bernd Wedemeyer-Kolwe und seine Kollegen vom NISH beherbergen manchen Schatz.

20.000 Titel von FKK bis Arbeitersport: Prof. Bernd Wedemeyer-Kolwe und seine Kollegen vom NISH beherbergen manchen Schatz.

Hannover. Nein, es ging nicht um Sex. Jedenfalls nicht so sehr, wie es scheinen mag. Wenn jemand um 1900 das „Lichtkleid anzog“, bedeutete das zwar, dass er sich auszog. Aber die Pioniere der Freikörperkultur wollten damals vor allem Freiheit, Sonne und zurück zur Natur: „FKK entstand als Gegenströmung zur Industrialisierung“, sag Prof. Bernd Wedemeyer-Kolwe und wirft einen streng wissenschaftlichen Blick auf eine vergilbte Illustrierte mit fröhlichen Nacktsportlern auf dem Cover.

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Der Professor leitet das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte (NISH). In dessen gut ausgestatteter Bibliothek finden sich allein 2000 Titel zur Historie der Nudistenbewegung: Zeitschriften, Campingführer, Fachbücher. Es ist Europas größte Sammlung zur Geschichte der Freikörperkultur. „Niedersachsen war eine Hochburg der Bewegung“, sagt Wedemeyer-Kolwe. In den zwanziger Jahren etwa betrieb der Pädagoge Walter Fränzel im Dorf Glüsingen das „Lichtschulheim Lüneburger Land“, eine reformpädagogische „höhere Schule für Knaben und Mädchen“. Diese wurden nackt und teils auf Bäumen sitzend unterrichtet. Nach dem Krieg entstand dort eine FKK-Ferienanlage. „Auch die Sängerin Marianne Faithfull, deren Vater einst in Glüsingen als Lehrer gearbeitet hatte, war dort zu Gast“, sagt Wedemeyer-Kolwe.

Das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte zog vor gut zwei Jahren aus Hoya nach Hannover, auf das Gelände des Landessportbundes am Ferdinand-Wilhelm-Fricke-Weg. Ob FKK oder ostfriesisches Klootschießen, ob Catchen, Schach oder Kraftsport im Dritten Reich - die Bibliothek des Vereins mit ihren 20.000 Titeln ist eine Fundgrube für Sportwissenschaftler. Seit 1981 dokumentiert und erforscht das Institut Niedersachsens Sporthistorie. Es hütet auch Raritäten wie einen der berühmten hellblauen Hostessenanzüge von den Olympischen Spielen 1972 oder Hanteln, die vor 100 Jahren der Leibesertüchtigung dienten.

„Vor allem aber sehen wir uns als Dienstleister für die mehr als 10 000 Sportvereine in Niedersachsen“, sagt Geschäftsführer Wedemeyer-Kolwe. Die drei Mitarbeiter der Einrichtung - etwas Vergleichbares gibt es sonst nur in Baden-Württemberg - helfen diesen, Brücken in die Vergangenheit zu bauen: Wenn ein Verein etwa sein 100-jähriges Bestehen feiert, wollen Mitglieder oft eine Chronik verfassen, eine Ausstellung auf die Beine stellen oder ein eigenes Archiv anlegen. „Sie wissen aber häufig nicht, wie sie dabei vorgehen sollen“, sagt der Historiker. Die NISH-Mitarbeiter geben dann Tipps, in welchen Archiven sich noch alte Unterlagen finden könnten. Sie helfen beim Entziffern der Sütterlin-Schrift in verstaubten Vereinsbüchern oder beim Besorgen von Fachliteratur. Der Bedarf ist groß: Seit Jahresbeginn hatte das Institut schon mehr als 100 Anfragen von Sammlern, Hobbyhistorikern oder Vereinen.

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Zum Fundus des Instituts gehören allein 5000 Vereinsfestschriften - es ist die größte Sammlung dieser Art in Niedersachsen. Das NISH vergibt auch alle zwei Jahre Preise für die besten Festschriften. Und gelegentlich legen Sammler ihre Schätze in die Hände der Wissenschaftler. „Diese Akte hier hat ein ehemaliger Sportler abgegeben“, sagt Wedemeyer-Kolwe und zeigt auf ein dickes Bündel mit Dokumenten. In der alten Akte des „Turnklubs Wennigsen“ findet sich auch eine Mitgliederliste von 1933. „Das ist sehr selten, da Unterlagen von Arbeitervereinen in der NS-Zeit oft vernichtet wurden“, sagt er.

So erzählen viele Sportgeschichten nicht nur vom Sport, sondern von ihrer ganzen Epoche - das ist beim FKK in Glüsingen nicht anders als beim Arbeitersport in Wennigsen.

HAZ

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