Unistart: Wie geht eigentlich „Limmern“? Die hannoversche Kiosk-Kultur im Szene-Stadtteil Linden
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6NDXEPAK5QORU3HDFTB5DRIG5I.jpg)
Ein echtes Muss in Hannover: geselliges Biertrinken an der Limmerstraße, das sogenannte „Limmern“.
© Quelle: Irving Villegas
Hannover. „Limmern.“ Das ist die Antwort auf die Frage, was man als frisch Zugezogene oder Zugezogener unbedingt in Hannover gemacht haben muss. Gemeint ist der gemeinschaftliche Zug von Kiosk zu Kiosk über die Limmerstraße in Linden. Große Gruppen treffen sich hier in den frühen Abendstunden, um in die Partynacht zu starten. Besonders im Sommer ist der Andrang hoch, Limmern ist aber traditionell auch Teil des Programms, mit dem „Erstis“ im Wintersemester in ihrer neuen Studienstadt willkommen geheißen werden.
Gerade in Pandemiezeiten war das Feiern in der Öffentlichkeit beliebt. Dabei eskalierte im vergangenen Jahr die Situation an der "Limmer" – wie sie bei Liebhabern verkürzt genannt wird. Vermehrt kam es zu Konflikten zwischen Anwohnern und den oft alkoholisierten Szenegängern. Immer wieder mussten Polizei und Ordnungsamt eingreifen, die Stadt reagierte mit einem Programm zur Entspannung der Lage. Hier eine kleine Orientierungshilfe und Tipps, was dabei hilft.
Namensgeberin und Ort des Geschehens: Die Limmerstraße
Vom Küchengartenplatz geht die Limmerstraße nach Linden-Nord ab. Sie ist die Hauptachse des Stadtteils. Das bunte Treiben spielt sich besonders in dem Abschnitt bis zum Edeka an der Ecke Köthnerholzweg ab. Auf der „Limmer“ empfangen dicht aneinandergereiht Kioske, Dönerläden und Restaurants ihre gesellige Kundschaft. In der Umgebung liegen zahlreiche Kneipen, Bars und das Kulturzentrum Faust, das Béi Chéz Heinz ist auch nicht weit.
Lesen Sie auch
- Bier aus Hannover: Welches ist das beste?
- Limmern in Hannover-Linden: Wie das "Kollektiv 17" Anwohnern hilft
- La Muro-Döner an der Limmerstraße: Inhaber erklärt den Hype in Linden
Kaum ein Stadtteil Hannovers ist so von der Industrialisierung geprägt wie Linden. Alte Industrieanlagen und die roten Klinker erzählen aus der Zeit. Heute ist Linden ein angesagter Szene-Stadtteil (wobei die Mieten schon ordentlich steigen). Junge, hippe Menschen zieht es hier her, Kunst- und Kulturveranstaltungen haben hier und in Limmer ihren Ort gefunden. Gleichzeitig ist es die Heimat vieler Menschen, die in den eng bebauten Quartieren wohnen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/MK3NGFW7QQ5ERARCYFMXFH25RY.jpg)
Menschentrauben vorm Kiosk: Die Limmerstraße ist ein beliebter Treffpunkt.
© Quelle: Irving Villegas
Die Kiosk-Kultur in Linden
Die Kioskdichte auf der „Limmer“ ist enorm hoch: Auf dem 700 Meter langen verkehrsberuhigten Abschnitt befinden sich sieben Kioske, die ihre Kundschaft mit günstigen Getränken versorgen. Die ursprüngliche Idee des „Limmerns“ ist, von Kiosk zu Kiosk zu bummeln, andere Gruppierungen lassen sich auch direkt vor ihrer Lieblingstrinkhalle nieder. Knurrt der Magen, kriegt man nebenan Essen „auf die Hand“ – damit ist die Abendgestaltung komplett. Je später der Abend, desto größer sind die Gruppen und desto ausgelassener ist die Stimmung.
Bier aus Hannover gehört zu Limmern
Die Kühlschränke der Kioske sind prall gefüllt, es gibt eine große Auswahl an Getränken mit und ohne Alkohol. Gilde, Herrenhäuser, Lindener Spezial – herbe Pils – sind die Biermarken, die mit einem Anflug von Lokalpatriotismus bevorzugt getrunken werden. Zwar dürfen Kioske bereits seit zwei Jahren nach 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen (während das im Supermarkt bis Mitternacht erlaubt ist). Aber es gibt ja noch die Bier-im-Rucksack-Mentalität ...
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/AZ3NJDKZR5OA7XZPPOYNURC5VU.jpg)
Diese Mülltonnen wurden von lokalen Künstlern gestaltet. Sie sollen der Verschmutzung durch junge Menschen, Nachtschwärmer und Partygänger entgegenkommen.
© Quelle: Christian Behrens
Reste in den Mülleimer, Pfandflaschen daneben
Vermüllte Gehwege und Grünflächen, Glasscherben und Kippenstummel zeugen von dem nächtlichen Andrang. Die Stadt hat reagiert und hat mehr Mülleimer aufgestellt. Ergänzend hält das „LimmerLabor“, ein Arbeitsgruppe zur Konfliktlösung an der Limmerstraße, Kehrbleche für Scherben bereit. Feiernde sind aufgefordert diese zu nutzen. Das erleichtert die Arbeit einer Berufsgruppe besonders: Reinigungskräfte sind wegen des Drecks auf der Limmerstraße auch am Wochenende unterwegs und räumen hinter dem Partyvolk auf.
Auf die eigene Lautstärke achten
Die richtige Playlist setzt die Stimmung. Doch laute Musik, die aus den mitgebrachten Bluetooth-Boxen hallt, hält auch die Nachbarschaft wach. Spätestens ab 24 Uhr müssen die Boxen ausgeschaltet bleiben, sonst werden die Lautsprecher eingesackt und ein Bußgeld (in der Regel 100 Euro) verhängt. Die Box gibt es gegen später gegen weitere 50 Euro wieder zurück. Der Ordnungsdienst ermahnt ab 22 Uhr, wenn die Musik zu laute ist. „Im Vordergrund stehen die Ansprache und Sensibilisierung der Personen durch Awareness-Teams“, sagt Stadtsprecher Dennis Dix, „das funktioniert auch sehr gut.“
Gegröle und lautstarke Auseinandersetzungen stören den Schlaf der Anwohnenden ebenso. Dabei lässt sich die Ruhestörung verhindern. Nach ein paar Bier wird es Zeit, weiterzuziehen: Die Faust direkt um die Ecke hat eh die bessere Musikanlage.
Kein Urinieren in der Öffentlichkeit
Wenn das Bier auf die Blase drückt, nutzen viele die umliegenden Grünstreifen, Bauminseln und Straßen, um sich zu erleichtern. Deshalb stinkt es im Stadtteil zuweilen deutlich nach Urin. Die öffentlichen Toiletten am Küchengarten sind oft wegen Vandalismus geschlossen, Gastronomen sind mit dem Andrang auf ihre Örtlichkeiten überfordert. Das Angebot ist unzureichend, statt "Wildpinkeln" empfiehlt Lindens Bezirksbürgermeister Rainer-Jörg Grube (Grüne), auf andere Orte mit Toilette auszuweichen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/FJ5ANAT74EVAH4QEA6XU77O3YM.jpg)
Eine Folge der Exzesse vergangener Feiernächte: Mehr Streifgänge und Kontrollen durch Polizei und Ordnungshütende.
© Quelle: Samantha Franson
Bei Konflikten Schlichterinnen und Schlichter dazuholen
Messerstechereien und Gewaltausbrüche seien ein relativ neues Phänomen, sagte Bürgermeister Grube vor einem Jahr. Auch Konflikte mit Anwohnenden spitzten sich derart zu, dass die Polizei vermitteln muss. Gerade unter Alkoholeinfluss ist ein achtsamer Umgang gefragt, sodass möglichst keiner aneinandergerät. Deshalb sind Awareness-Teams unter dem Namen "LimmernLichter" des "LimmernLabors" auf der Straße unterwegs, um aktives Konfliktmanagement zu leisten und sprechen Unruhestiftende an.
Der öffentliche Raum ist für alle da, die sich benehmen können
Niemand möchte die heiteren Abende gänzlich verbieten. Rücksichtsloses Fehlverhalten und Exzesse früheren Generationen von Nachtschwärmern und -schwärmerinnen haben jedoch derart Unmut provoziert, dass die Straße jetzt mehr kontrolliert wird. Der Großteil der Besucherinnen und Besucher auf der „Limmer“ pflegen ein friedliches und freundliches Miteinander. Mit dieser Einstellung und ein wenig Rücksicht auf die Mitmenschen geht alles besser.