Neue Erkenntnisse zu tödlicher Spritzenattacke
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Der unbekannte Täter benutzte eine organische Quecksilberverbindung. Wie er an den hochgiftigen Stoff gelangt, ist unklar.
© Quelle: picture alliance / dpa
Hannover. Das teilte die Staatsanwaltschaft Hannover am Montag auf Anfrage der HAZ mit. „Der Täter hat eine organische Quecksilberverbindung benutzt“, sagte Oberstaatsanwältin Irene Silinger. Das habe ein Gutachten ergeben, das seit Kurzem vorliege.
Diese Erkenntnis stellt die Ermittler vor neue Fragen. Sie müssen nun herausfinden, wie es dem Täter möglich war, an einen solch hochgiftigen Stoff zu gelangen. Bisher waren Polizei und Staatsanwaltschaft davon ausgegangen, dass der Täter eine Quecksilber-Thallium-Verbindung benutzte. Die wurden früher unter anderem als Temperaturanzeiger in Fieberthermometern verwendet – und sind somit vergleichsweise leicht zu beschaffen. Wer ein altes Thermometer besitzt, kann die Chemikalie aus dem Glasrohr ziehen. Das ist zwar nicht ungefährlich, die Ermittler hielten es aber für machbar.
Die Spritzenattacke auf den Mitarbeiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) wird selbst von erfahrenen Kriminalpolizisten als ausgesprochen rätselhafter Fall eingestuft. Der 40-jährige Familienvater war am 15. Juli 2011 in der Fischerstraße in der Calenberger Neustadt mit einer Spritze attackiert worden. Der Täter hatte die Nadel an der Spitze eines Regenschirms befestigt und sie seinem Opfer ins Gesäß gestochen. Der Fremde konnte flüchten; dem Opfer gelang es aber, ihm die Spritze zu entreißen. Erst einige Wochen nach der Tat verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Mannes. Schließlich ging es ihm so schlecht, dass die Ärzte entschieden, ihn in ein künstliches Koma zu versetzen.
Erst ein halbes Jahr nach der Tat konnten Kriminaltechniker feststellen, welcher Stoff sich in der Spritze befand: Der Täter hatte seinem Opfer Quecksilber verabreicht. Diese späte Erkenntnis konnte dem IT-Fachmann nicht mehr helfen. Nachdem er monatelang schweres körperliches Leid hatte ertragen müssen, starb der Mann im Mai 2012 an den Folgen einer Quecksilbervergiftung.
Die Ermittlungsbehörden gehen weiterhin davon aus, dass der Täter den 40-Jährigen nicht gezielt, sondern aus reiner Willkür angriff. Im Umfeld des Opfers hat die Polizei keinerlei Hinweise darauf gefunden, dass jemand Anlass gehabt hätte, dem Mann zu schaden oder ihn zu töten.
Überprüfen müssen die Ermittler allerdings ihre anfängliche Annahme, bei dem Täter habe es sich vermutlich um eine drogenabhängige und verwirrte Person gehandelt. Das Bild, das sich mehr als 15 Monate nach der Tat ergibt, deutet darauf hin, dass der Täter sehr gut wusste, was er tat, als er seinem Opfer den Nadelstich versetzte, der letztlich tödliche Wirkung zeigen sollte. Die Chancen, den Verantwortlichen noch zu überführen, sind gering. Die Polizei hat keine einzige Spur. „Wir geben nicht auf“, sagte gestern Oberstaatsanwältin Irene Silinger.
Vivien-Marie Drews und Tobias Morchner
HAZ