Rund 3000 Pflegekräfte demonstrieren an der Oper
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Rund 3000 Pfleger demonstrieren auf dem Opernplatz in Hannover.
© Quelle: Moritz Frankenberg
Hannover. Rund 3000 Pflegekräfte aus Niedersachsen haben am Sonnabend drei Stunden lang auf dem Opernplatz demonstriert. Der Protest der Pflegekräfte richtet sich gegen die umstrittene Pflegekammer – eine Institution, die eigentlich als Interessenvertretung von Alten- und Krankenpflegern gegründet wurde.
„Wir wünschen uns von der Kammer vieles – aber erst mal, dass sie kein Zwang ist“, sagt Pfleger Stefan Cornelius, Mitorganisator der Kundgebung. Denn die Mitgliedschaft in der 2018 gegründeten Kammer sowie die Beiträge sind für alle Beschäftigen, die in dem Beruf arbeiten, verpflichtend. Der Gründung vorangegangen war ein Beschluss des niedersächsischen Landtags.
„Die Politik hat lange geschlafen“, sagt Karin Niedzwetzki, die seit 30 Jahren als Altenpflegerin arbeitet. Für die Kundgebung ist sie aus Bad Bentheim angereist. Sie kritisiert, dass mit den Beiträgen nun gerade die zur Kasse gebeten werden, die ohnehin zu wenig verdienen. „Das bisschen, was wir verdienen, wird uns noch abgezwackt – das kann nicht sein“, sagt sie.
Auch Pflegerin Kathja Wrase aus Braunschweig findet: „Die Kammer kann ohnehin nichts für uns machen, die kassiert nur Mitgliedsbeiträge.“ Statt einer solchen Kammer benötige die Pflegebranche vielmehr bessere Arbeitsbedingungen, höhere Gehälter, mehr Personal und auch bessere Ausbildungsbedingungen, sagt Wrase.
„So ein Quatsch“
Zwei, die noch keine Beiträge zahlen müssen, sind Felix Schlese und Nele Fischer aus Celle. Die beiden 18-Jährigen machen gerade ihre Ausbildung zu Gesundheits- und Krankenpfleger. „Keiner hat so richtig eine Ahnung, was die Kammer macht“, sagt Schlese. Nun wolle er sich informieren und wissen, warum er nach der Ausbildung einen Beitrag zahlen muss. „Und ob es sich überhaupt lohnt, in der Pflege zu bleiben“, fügt der 18-Jährige hinzu.
Auch Franz-Josef Wilken aus Cloppenburg ist von der Pflegekammer nicht betroffen, er ist Sozialarbeiter. „Aber nachher kommen die noch auf die Idee, eine Sozialarbeiterkammer zu machen. So ein Quatsch“, sagt der 59-Jährige, der SPD- und Verdi-Mitglied ist. „Ich bin stinksauer auf meine SPD“, sagt er, ergänzt aber auch: „Die Pflegekräfte hätten schon viel früher aufstehen müssen.“
Organisator Cornelius ist überrascht, wie viele Pflegekräfte am Sonnabend trotz Schneeregens zum Opernplatz gekommen sind. Gerechnet hatte er mit bis zu 1500 Teilnehmern, am Ende waren es laut Veranstalter zwischen 3500 und 4000, die Polizei spricht von rund 3000 Teilnehmern. "Das ist seit den Achtzigern das erste Mal, dass sich die Pflegekräfte so zusammentun", sagt er. Cornelius ist auch Mitinitiator einer Petition gegen die Kammer, die mittlerweile mehr als 47.000 Unterstützer hat.
Auch Stefan Birkner, Fraktionsvorsitzender der FDP im Landtag, trat bei der Kundgebung als Redner auf. Er fordert eine freiwillige Mitgliedschaft. „Die Kammer muss mit ihrer Arbeit überzeugen, nicht mit einer Zwangsmitgliedschaft“, sagte er. Zudem sei in der Pflege alles per Bundesgesetz geregelt – „da ist kein Raum für eine Kammer“. Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, sagte: „Ich bin seit fünf Jahren im Bundestag. Mit mir hat noch nie jemand von der Pflegekammer gesprochen.“
Schon ein Teilerfolg
Ziel der Demonstranten ist es, die Kammer abzuschaffen – oder zumindest Zugeständnisse zu erreichen. Einen Teilerfolg konnten sie schon verbuchen: So wird bei den Beiträgen nicht mehr automatisch zunächst der Höchstbetrag von 280 Euro angesetzt, sondern eine finanzielle Selbstauskunft ist entscheidend für die Berechnung.
Beruf soll aufgewertet werden
Die Pflegekammer Niedersachsen ist eine gesetzliche Berufsvertretung für Heilberufe in der Pflege (Kinderkrankenpflege, Krankenpflege sowie Altenpflege). Zu den Unterstützern gehört der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), der sich von der Kammer eine starke eigene Lobby für Pfleger verspricht. „Mit der Kammer können Pflegende erstmals den Respekt einfordern, den unser Berufsstand verdient, und zwar auf Augenhöhe mit der Ärztekammer. Das ist mit freiwilliger Mitgliedschaft nicht zu erreichen“, sagt Martin Dichter, DBfK-Vorsitzender Nordwest.
Dichter geht davon aus, dass die Pflegekammer wesentlich zur Aufwertung des Berufs und der Verbesserung der Situation in der Pflege beitragen wird. So soll sie Standards für die Weiterbildung entwickeln, die in ähnlicher Form in vielen Ländern der Europäischen Union bereits gelten.
Von Johanna Stein
HAZ