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Krankenhäuser und Altenpflege

Interview mit Diakovere-Geschäftsführerin: „Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen“

Sucht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Geschäftsführerin Sabine Jung will mehr Flexibilität anbieten.

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Frau Jung, sie sind eigentlich Pastorin und jetzt Geschäftsführerin eines großen diakonischen Unternehmens. Passt das überhaupt zusammen?

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Na ja, Pastorin und Geschäftsführerin war ich auch schon in der Pfalz. Ich bin ganz klassisch als Gemeindepfarrerin gestartet und dann relativ schnell zum Diakonischen Werk Pfalz gewechselt. Hintergrund war auch mein theologisches Verständnis. Ich bin sehr stark vom Theologen Dietrich Bonhoeffer geprägt. Und für ihn steht die Kirche mitten in der Welt, also mitten unter den Menschen. Die Not sehen und dann entsprechend handeln, das können wir als diakonisches Unternehmen besonders gut. In der Pfalz habe ich bereits Verantwortung als Vorständin übernommen, ich kenne also die unterschiedlichen Bereiche, die es bei Diakovere gibt, sehr gut.

Rund 5500 Mitarbeiterinnen

Diakovere ist das größte Sozialunternehmen Niedersachsen. Diakovere betriebt in Hannover unter anderem die Krankenhäuser Annastift, Friederikenstift und Henriettenstift. In den Kliniken werden jährlich rund 150.000 Patientinnen und Patienten versorgt. Außerdem betreibt Diakovere unter anderem Altenheime und Behinderteneinrichtungen. Das Unternehmen beschäftigt rund 5500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr machte das Unternehmen einen Umsatz von 395 Millionen Euro und erwirtschaftete ein Minus von 2,1 Millionen Euro.

Als Geschäftsführerin muss man ja auch sehr viel auf Zahlen gucken und die meisten Menschen erleben Geschäftsführer auch als die Menschen, die Entscheidungen treffen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oft nicht gefallen. Verträgt sich das denn mit einer Pastorin, deren Hauptaufgabe die Zuwendung ist?

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Also ich denke schon, dass man beides gut verbinden kann. Natürlich stehen wir in der Diakonie immer im Spannungsfeld zwischen dem diakonischen Auftrag und der Wirtschaftlichkeit. Da bin ich dann als Theologin gefordert, da habe ich die Verantwortung, zu schauen, wie wir die jeweiligen Bereiche ausbalancieren. Für mich muss der Mensch im Mittelpunkt der Ökonomie stehen. Es ist wichtig, dass wir uns gerade das als diakonisches Unternehmen bewahren, denn damit hängt unsere Glaubwürdigkeit zusammen. Das heißt auch, dass ich als Geschäftsführerin Entscheidungen treffen muss, die sicherlich auch mal eine Zumutung für Mitarbeitende darstellen. Aber nichtsdestotrotz ist mein Anspruch, eine gute Balance hinzubekommen.

Neue Angebote im Vitalquartier: Jung will der Babyboomer-Generation flexible Angebote bei der Altenhilfe machen.

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Großes Problem der Sozialunternehmen ist der Personalmangel. Wie wollen sie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflegebereich gewinnen?

Die jungen Menschen wollen flexibler sein. Also passen wir uns an und gehen individueller auf die Bedürfnisse von Mitarbeitenden ein. Die Menschen, die jetzt bei uns arbeiten, wollen eine gute Verteilung zwischen Arbeit und Familie.

Gestartet als Pastorin

Sabine Jung ist seit dem 15. März 2023 theologische Geschäftsführerin von Diakovere. In der dreiköpfigen Geschäftsführung ist sie unter anderem zuständig für die Alten-, Behinderten- und Jugendhilfe. Die jetzt 58-Jährige hatte nach dem Theologiestudium zunächst als Pastorin. Später wechselte sie zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in der Pfalz. Dort arbeitete sie bis zu ihrem Wechsel nach Hannover als Vorständin für Soziales, die Kindertagesstätten und die Freiwilligendienste.

Wo ist der Mangel bei ihnen besonders groß?

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In unseren Krankenhäusern sieht es im Pflegebereich gar nicht so schlecht aus. Die Probleme haben wir in der Altenpflege und in der Eingliederungshilfe. Das hängt auch mit den Schichtmodellen zusammen. Wir brauchen zum Beispiel im Bereich der Eingliederungshilfe einen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr. Und diese Arbeitszeiten zu besetzen, ist inzwischen enorm schwierig. Wir müssen unbedingt flexibler werden. Wenn es Menschen gibt, die sagen, dass sie beispielsweise nur donnerstags arbeiten wollen, müssen wir die Dienstpläne anpassen. Und wir kümmern uns um die Gewinnung ausländischer Pflegekräfte. Auch in Zukunft werden wir weiterhin Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigen.

Was wollen sie noch bei Diakovere ändern?

Ein Beispiel: Wir brauchen neue Modelle bei der Altenhilfe, auch mehr ambulante Lösungen. Stationäre Pflege wird man immer haben, auch wenn der Aufenthaltszeitraum deutlich gesunken ist. Bald geht die Generation der Babyboomer in den Ruhestand. Und diese suchen flexible Modelle. Deshalb müssen wir zum Beispiel das Thema betreutes Wohnen stärker in den Blick nehmen. Und die Menschen sollten die Möglichkeit haben, Dienstleistungen, die sie brauchen, sich dann modular dazu zu kaufen. Das betrifft alle möglichen Dienstleistungen, das betrifft das Thema Alltagsbegleitung, und das betrifft auch das Thema Pflege.

Und bei der Eingliederungshilfe?

Wir gründen zum November ein Inklusionsunternehmen für Menschen, die man nicht so gut auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln kann, die aber sehr wohl in der Lage sind, bestimmte Arbeiten zu erledigen. Zum Beispiel Gartenarbeiten, Malerarbeiten, Renovierungsarbeiten. Und wir haben Pläne im Gastronomiebereich: In den Krankenhäusern könnten die Cafeterien von dem Inklusionsunternehmen betrieben werden.

Frau Jung, sie sind bei Diakovere die erste Frau in der Diakovere-Geschäftsführung, die Führungsebene ist hauptsächlich von Männern besetzt, während der größte Teil der Mitarbeiterschaft weiblich ist. Wie fühlt sich das an?

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Das ist in der Diakonie überall so. Ich bin schon seit einigen Jahren auf Bundesebene im Bereich Frauen in Führungen engagiert. Diakonie ist eigentlich weiblich, hat ein weibliches Gesicht, aber je höher man in die Führungsetagen geht, desto weniger Frauen sind vertreten. Ich habe den Eindruck, es wandelt sich jetzt so ganz allmählich, aber wir haben noch Luft nach oben. Hier können zum Beispiel Mentoring-Programme helfen, auch bei Diakovere.

HAZ

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