So sieht der Arbeitsalltag von Lehrern aus
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„Wie soll man sich um jeden Schüler kümmern?“: Lehrerin Rubina Kamal in der Klasse.
© Quelle: Wallmüller
Hannover. Geschichtsunterricht, Korrektur der Englischklausuren, E-Mails an Eltern und Schüler, Zeugniskonferenz, pädagogischer Austausch mit Kollegen im Lehrerzimmer. Alles zählt mit. Minutengenau erfasst Rubina Kamal, Lehrerin an der Elsa-Brändström-Schule, ihre Arbeitszeit. Seit fast einem Jahr macht sie das, in vier Wochen ist Schluss. Dann endet die landesweit größte Lehrerarbeitszeitstudie, mit der die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zeigen will, wie Lehrer wirklich arbeiten. „Gott sei Dank“, sagt Kamal, „ich bin froh, wenn es vorbei ist.“
Die Arbeitszeit zu erfassen, erst handschriftlich auf Zetteln, dann digital per Smartphone oder Laptop, ist anstrengend. Das liegt zum einen daran, dass die Lehrertätigkeit so vielfältig ist – „das sind in einer Stunde schon mal fünf verschiedene Arbeitsbereiche“, sagt die 35-Jährige. Zum anderen sei es mühevoll, weil man eigentlich nie das mache, was man eigentlich geplant habe. Immer kommt noch etwas anderes dazwischen, ständig gibt es Unterbrechungen und neue Herausforderungen. „Oft führe ich drei Gespräche gleichzeitig.“
Die Erhebung, an der sich rund 4000 Lehrer von 250 Schulen in Niedersachsen beteiligen, soll auch helfen, einen Streit zu versachlichen, der seit fast drei Jahren zwischen Land und Lehrern tobt. Als die rot-grüne Regierung im August 2014 die Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden anhob, brachte dies für viele Pädagogen das Fass zum Überlaufen. Es gab Demonstrationen, Protestbriefe und einen Klassenfahrtenboykott, dem sich drei Viertel der Gymnasien anschlossen. Als das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Juni 2015 die Mehrarbeit für Gymnasiallehrer schließlich kippte, wurde Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) das Thema trotzdem nicht los. Auch an anderen Schulen, gerade an Grundschulen, an denen Lehrer sogar 28 Stunden in der Woche unterrichten müssen, ist der Unmut groß. Immer mehr Gesamtschullehrer etwa sehen sich am Limit, von Haupt- und Realschullehrern, die oft auch noch mit den sozial schwierigen Verhältnissen ihrer Schüler kämpfen müssen, ganz zu schweigen.
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Saskia Döhner (links) im Interview mit den Lehrerinnen Jutta Grebe (Mitte) un Rubina Kamal (rechts).
© Quelle: Wallmüller
Manches, was Rubina Kamal vorher schon geahnt hatte, ist durch die Arbeitszeitstudie bestätigt worden. Zum Beispiel, dass Unterricht nur einen Bruchteil ihres Berufs ausmacht, etwa 30 Prozent, schätzt sie. Anderes hat sie überrascht, etwa dass es gefühlte und tatsächliche Arbeitszeit gibt: „Es gibt Tage, da arbeite ich zehn Stunden und merke es gar nicht, und dann gibt es sieben Stunden, die sich anfühlen wie zehn.“
Laura Pooth, die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende, will deshalb nicht nur die Quantität der Arbeitszeit messen, sondern die Erhebung auch noch um eine qualitative Komponente erweitern: „Es geht auch um gefühlte Belastung.“ Im Sommer sollen die Ergebnisse der Studie vorliegen, die von der Universität Göttingen ausgewertet werden. Es wird nach Schulformen getrennte Resultate geben. Ein Großteil der Schulen, die sich beteiligen, sind Grundschulen, aber auch viele Gymnasien und Gesamtschulen sind darunter. In der Region Hannover nehmen 80 Schulen teil, landesweit machen ein Fünftel der Gesamtschulen, 15 Prozent der Gymnasien und knapp ein Zehntel der Grundschulen mit. Um die wissenschaftliche Validität der Studie sorgt sich Pooth nicht. „Die Wissenschaftler haben rund 6000 Plausibilitätsprüfungen gemacht.“ Wer etwa am Wochenende „Unterricht“ statt „Unterrichtsvorbereitung“ protokolliert, bekommt nachfragende E-Mails.
Auch Jutta Grebe, Chemie- und Geschichtslehrerin an der Elsa-Brändstörm-Schule, erfasst ihre Arbeitszeit minutengenau. „Besonders stressig war die Zeit zwischen den Herbstferien und Weihnachten“, sagt die 47-Jährige, „da waren mehr als 50 Stunden Arbeit in der Woche die Regel.“ Dann gebe es auch immer wieder ruhigere Phasen mit 37- bis 40-Stunden-Wochen. Auch wenn es Zeugnisse gibt, wird es hektisch: „Ich gebe den Schülern nicht nur Noten, sondern auch Beratung.“ An Tagen, an denen sie sechs Stunden am Stück unterrichte, sei sie „hinterher platt“.
Je mehr Kinder in einer Klasse seien, desto anstrengender sei zudem das Unterrichten, betont Kamal. Weil immer mehr Eltern ihre Kinder auf ein Gymnasium schicken, sind die 5. Klassen in diesem Schuljahr größer als eigentlich erlaubt. Statt 30 sitzen vielfach 31 Kinder in einer Klasse. „Wie soll man sich da um jeden Schüler richtig kümmern?“, fragt sie ratlos. Die Oma, die gestorben ist, Eltern, die sich trennen – wenn Kinder traurig sind, leidet auch ihre Lehrerin: „Wir sind doch keine Steine“, sagt Rubina Kamal.
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Wie lange arbeiten Lehrer?
Lehrer haben, wie andere Landesbeamte auch, eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden und 30 Tage Urlaub im Jahr. Die Arbeitszeit bemisst sich zum einen aus der nach Schulformen unterschiedlichen wöchentlichen Unterrichtsverpflichtung, hinzu kommen weitere Tätigkeiten wie Korrektur von Arbeiten, Unterrichtsvorbereitung oder Gespräche mit Eltern und Konferenzen. Während Gymnasiallehrer 23,5 Stunden in der Woche (wobei eine Unterrichtsstunde 45 Minuten beträgt) unterrichten, müssen Grundschullehrer 28 Stunden in der Woche im Klassenzimmer stehen. Für bestimmte Funktionen wie die des Klassenlehrers, die Betreuung des Vertretungsplans und Leitungsaufgaben gibt es sogenannte Anrechnungs- und Entlastungsstunden, das heißt, die Unterrichtsverpflichtung sinkt entsprechend.
Da Pädagogen sechs Wochen Urlaub haben, die unterrichtsfreie Zeit, also die Ferien zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten, im Sommer und Herbst sich aber auf rund drei Monate summiert, liegt die Arbeitsbelastung der Lehrer in den Schulhalbjahren deutlich höher als 40 Stunden in der Woche. Eine Pilotstudie der GEW an der Tellkampfschule hatte 2014 schon Arbeitszeiten von knapp 50 Stunden ergeben, selbst wenn man die unterrichtsfreie Zeit einrechnet. Experten schätzen, dass 50 bis 60 Stunden im Schulhalbjahr keine Seltenheit sind. Bei der großen Studie dürfte nach ihrer Einschätzung ein ähnliches Ergebnis herauskommen.
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) will Lehrer online nach Entlastungsmöglichkeiten befragen. Für viele Bildungsverbände liegt dies schon klar auf der Hand: Zentrale Abschlussprüfungen und Vergleichsarbeiten seien ebenso überflüssig wie die Schulinspektion und viele Konzepte, die jede Schule einzeln erarbeiten müsse.
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Wenn Schüler Pause haben, haben Lehrer meist keine. Sie haben Aufsicht oder führen Gespräche mit Kindern, Kollegen oder Eltern. „Pause mache ich in Freistunden“, sagt Kamal. Schulpolitische Reformen belasten zusätzlich. Viele Pädagogen fühlen sich bei der Inklusion, dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung, alleingelassen. Turbo-Abitur, Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren, Oberstufenreform, Lehrpläne, die jede Schule selbst entwickeln muss: „Es wäre schön, wenn die Politik die Schulen mal in Ruhe lassen könnte“, sagt Kamal.
Kultusministerin Heiligenstadt will alle Lehrer jetzt online zu Entlastungsmöglichkeiten befragen. Für GEW-Chefin Pooth ist das nur ein „großes Ablenkungsmanöver“, zumal die Regierung von vornherein eine Senkung der Unterrichtsverpflichtung oder ein Mehr an Entlastungsstunden ausgeschlossen habe. Rubina Kamal kann sich nicht vorstellen, wie sie weniger arbeiten soll: „Ich verwalte, unterrichte und betreue die Kinder, ich kann nichts weglassen, ohne fahrlässig oder verantwortungslos zu handeln.“ Die 35-Jährige hat aus diesem Grund ihre Pflichtstundenzahl reduziert, um den Job zu schaffen: Sie unterrichtet jetzt 20,5 statt 23,5 Stunden in der Woche. Das macht sie zufriedener.
„Ich kann doch nicht weniger Zeit in den Ausbau von Beziehungen stecken“, sagt auch Grebe. Elterngespräche nach dem Motto „begrüßen, regeln, gehen“ lehnt sie ab. Ebenso wie eine Pädagogik wie in den Fünfzigerjahren, als der Lehrer vor der Klasse stand, den Stoff vermittelte, sich sonst aber wenig um die Belange seiner Schüler kümmerte. Grebe verweist darauf, dass die 13 Wochen unterrichtsfreie Zeit im Jahr „zum Aufladen der Batterie“ einfach unerlässlich seien.
Rubina Kamal sagt es so: „Der Lehrerberuf ist furchtbar schön, aber auch furchtbar anstrengend.“
HAZ