Steht das Abhörzentrum des Nordens vor dem Aus?
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Hier in Oberricklingen soll möglicherweise das neue Abhörzentrum für die alle norddeutschen Polizeibehörden entstehen.
© Quelle: Tim Schaarschmidt
Hannover. Ein Prestige-Projekt der niedersächsischen Landesregierung steht möglicherweise vor dem Aus. Anfang 2020, also in knapp einem Jahr, soll in Hannover das seit Langem geplante gemeinsame Abhörzentrum der fünf norddeutschen Bundesländer an den Start gehen. Doch die Planungen sind noch immer nicht abgeschlossen. Einen konkreten Standort für das Zentrum gibt es bis heute nicht. Das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen, bei dem das neue Lauschzentrum angesiedelt sein soll, erklärte auf HAZ-Anfrage dennoch, die vereinbarte Aufnahme des Wirkbetriebs des Zentrums im Jahr 2020 werde aktuell nicht in Frage gestellt.
Im April 2016 unterzeichneten die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern mit den Stadtstaaten Hamburg und Bremen einen Staatsvertrat über die Einrichtung und den Betrieb eines Rechen- und Dienstleistungszentrums (RDZ) "zur Telekommunikationsüberwachung der Polizeien im Verbund der norddeutschen Küstenländer". Der Sinn des Vertrags: Die Ermittlungsbehörden der einzelnen Vertragspartner sollten nicht mehr für sich Telefonüberwachungen bei verdächtigen Personen vornehmen, sondern die Kompetenzen sollten am Standort Hannover unter der Federführung des LKA für die Polizeien in ganz Norddeutschland gebündelt werden. "Die Aufnahme des Wirkbetriebes soll mit Beginn des Jahres 2020 erfolgen", heißt es in der Vereinbarung weiter.
Niedersachsen ist der Hauptgeldgeber des Projekts
Niedersachsen hat bereits Millionen in das Projekt investiert. Im Jahr 2017 finanzierte das Land das Projekt mit knapp 5,4 Millionen Euro. Ein Jahr später flossen noch einmal knapp 900 000 Euro in die Planungen für das neue Zentrum. In diesem Jahr sind, so steht es im Staatsvertrag, sind Zahlungen von 1,3 Millionen und im kommenden Jahr eine Summe von knapp 1,8 Millionen Euro vorgesehen. Insgesamt steckt Niedersachsen also knapp 9,4 Millionen Euro in das länderübergreifende Abhörzentrum und ist damit der Hauptgeldgeber des Projekts.
BKA plant bundesweites Abhörzentrum
Nicht nur in Norddeutschland, sondern auch bundesweit wird über ein gemeinsames Zentrum zur Telekommunikationsüberwachung nachgedacht. Unter der Federführung des Bundeskriminalamts (BKA) soll in Köln eine Abhörzentrale deutscher Sicherheitsbehörden entstehen. Neben dem BKA sollen sich das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Bundespolizei und der Bundesnachrichtendienst daran beteiligen. Angesichts dieser Planungen werden inzwischen Stimmen in Norddeutschland laut, die den Sinn des geplanten Abhörzentrums in Hannover in Zweifel ziehen. „Wenn das BKA ein bundesweites Zentrum plant, wozu brauchen wir dann ein eigenes im Norden Deutschlands“, sagt Jan Reinecke, der Chef des Hamburger Landesverbandes der Gewerkschaft Bund deutscher Kriminalbeamter. Das LKA Niedersachsen vertritt eine andere Auffassung. Nach entsprechender Prüfung hätten die Projektländer einvernehmlich festgestellt, dass das Projekt des BKA keine Alternative zum Projekt RDZ darstelle, teilt die Behörde mit.
Trotz der bislang investierten Summen und der jahrelangen Planung ist das Vergabeverfahren für das neue RDZ noch nicht abgeschlossen. Es werde nach aktuellem Stand im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben durchgeführt, teilte das LKA mit. Auch zur Frage des Standortes des neuen Zentrums äußert sich die Behörde nur kryptisch: „Nach aktuellem Stand soll die Systemtechnik über den Landesbetrieb IT. Niedersachsen realisiert werden“, teilte LKA-Sprecher Matthias Eichler mit. Der angesprochene Landesbetrieb hat seinen Hauptsitz in einem Gebäude an der Göttinger Chaussee. Auf die Frage, ob dieses Gelände als Standort für das Abhörzentrum in Betracht komme, teilt das LKA mit: „In welcher Form dies passiert und technisch umgesetzt werden kann, wird derzeit entschieden.“
„Personelle Veränderungen können sich ergeben“
Fraglich ist allerdings auch, ob es derzeit überhaupt ein handlungsfähiges Gremium gibt, das derartige Entscheidungen treffen kann. Denn nach HAZ-Informationen ist der Chef einer sechsköpfigen Planungsgruppe für das Projekt beim LKA gerade abgelöst und damit die gesamte Gruppe aufgelöst worden. Dass sich eine RDZ-Projektgruppe in Gänze aufgelöst habe, sei falsch, teilt das Landeskriminalamt mit. „Gerade bei langfristigen Projekten kommt es vor, dass sich im Laufe der Zeit personelle Veränderungen ergeben, so auch beim Projekt RDZ“, teilt LKA-Sprecher Eichler mit.
Von Tobias Morchner