Verwaltungsgericht kippt Streckenradar in Laatzen
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Die bundesweit erste Streckenradar-Messanlage wurde am 19. Dezember 2018 in Laatzen aktiviert.
© Quelle: Julian Stratenschulte, dpa
Hannover. Es ist eine schallende Ohrfeige für das Land Niedersachsen: Das Verwaltungsgericht Hannover hat am Dienstag das jüngst in Betrieb genommene Streckenradar-Kontrollsystem in Laatzen gekippt und einen Verstoß gegen die informationelle Selbstbestimmung festgestellt. Die 7. Kammer unter Vorsitz von Michael Ufer urteilte, dass die Section-Control-Anlage zwischen Gleidingen und Rethen so lange unzulässig ist, bis es eine Rechtsgrundlage für den Betrieb gibt. Der derzeitige Probemodus unterscheide sich nicht von einer endgültigen Form der Überwachung, und vor Verabschiedung eines entsprechenden Landesgesetzes sei die Anlage unzulässig.
Das hannoversche Gericht ist bundesweit das erste, das sich mit einer derartigen Verkehrsüberwachungsanlage befasst. Der Vorsitzende Richter der 7. Kammer, Michael Ufer, ließ ausdrücklich eine Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg zu. Ein Vertreter der Polizeidirektion erklärte, dass die Anlage noch am Dienstag abgeschaltet wird.
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Die 7. Kammer des hannoverschen Verwaltungsgerichts unter Vorsitz von Michael Ufer (M.) ist die erste Kammer bundesweit, die über eine abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrollanlage zu entscheiden hat.
© Quelle: Michael Zgoll
Das Gericht hatte über den Eilantrag und die Klage eines Laatzener Anwalts gegen diese in Deutschland neue Form der Tempoüberwachung zu entscheiden. Nach Auffassung von Kläger Arne Ritter stellt die Inbetriebnahme des Streckenradars einen massiven Eingriff in seine Grundrechte als Bürger dar, dem Pilotprojekt fehle die Rechtsgrundlage. Argumentativ unterstützt wurde er in der Sitzung vom Landesamt für Datenschutz, auf der Beklagtenseite saßen Vertreter des Niedersächsischen Innenministeriums und der Polizeidirektion Hannover. Das Verwaltungsgericht gab dem Eilantrag wie auch der eigentlichen Klage statt. Eine Berufung gegen das Urteil hat ebenso wenig aufschiebende Wirkung wie eine Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung beim OVG. Heißt: Section Control muss unverzüglich abgeschaltet werden.
So funktioniert die Radaranlage Section Control
Video: M. Klein
Im Einzelnen urteilte die Kammer, es sei dem Kläger nicht zuzumuten, zur Umgehung der Messanlage andere Strecken über die Hildesheimer Straße oder Ingeln-Oesselse und Müllingen zu nehmen. Dies war Anwalt Ritter von den Behörden nahegelegt worden. Jeder Autofahrer, so das Gericht, müsse den kürzesten Weg zu seinem Ziel nehmen dürfen, was auch unter Umweltgesichtspunkten sinnvoll sei.
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Rechtsanwalt Arne Ritter hat Land und Polizeidirektion verklagt - er fährt die Strecke zwischen Gleidingen und Rethen fast täglich.
© Quelle: Michael Zgoll
Zudem gebe es für Ortsunkundige keine Möglichkeit, bei einer Sichtung des Section-Control-Schildes auf der B 6 noch auf eine Alternativroute auszuweichen, erklärte Richter Ufer. Es sei verboten, auf einer Kraftfahrstraße zu wenden, also werde das Kennzeichen des entsprechenden Fahrzeugs auf jeden Fall registriert. Als hochproblematisch sah es die Kammer weiterhin an, dass die Nummernschild-Daten mindestens eine Minute lang – bis zum Passieren des zweiten Kontrollpunkts – gespeichert bleiben, egal, ob der Verkehrsteilnehmer einen Verstoß begangen hat oder nicht.
Bei anderen Überwachungsanlagen, so Richter Ufer, sei es üblich, erst eine Geschwindigkeitsmessung durchzuführen und dann die Daten des Fahrzeugs zu erfassen. Bei Section Control sei es umgekehrt – und dies sei insbesondere nach einem noch recht frischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts unzulässig. Anfang Februar hatte das BVG zwei Beschlüsse vom 18. Dezember 2018 veröffentlicht, wonach der automatische Abgleich von Autokennzeichen zu Kontrollzwecken einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Die dementsprechenden polizeilichen Regelungen und Gesetze in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen seien somit in Teilen verfassungswidrig. Im Verborgenen vollzogene Kennzeichenkontrollen, die der Gefahrenabwehr dienen und zum Ergreifen von Straftätern führen sollen, halten die Bundesrichter in der vorliegenden Form für nicht zulässig.
„Der Staat ist auf Formen der Verkehrsüberwachung wie Section Control nicht angewiesen“, lautete das Fazit von Verwaltungsrichter Ufer. Es stehe den Behörden frei, die Geschwindigkeit von Fahrzeugen auf der B 6 in Laatzen mit herkömmlichen Methoden zu messen. Sollte die Politik im Laufe dieses Jahres die gesetzlichen Grundlagen für das Streckenradar-System schaffen, hätte das Innenministerium jedoch die Möglichkeit, auf eine Abänderung des Gerichtsbeschlusses hinzuwirken.
Von Michael Zgoll
HAZ