Vor 75 Jahren wurden Hannovers Sinti deportiert
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Zeichen der Erinnerung: Hauke Jagau, Siegfried Franz und Thomas Hermann (v.l.) vor der neuen Skulptur in Ahlem.
© Quelle: Wallmüller
Hannover. Die Häscher kamen im Morgengrauen. Am 2. März 1943 holten sie den Schausteller Kurt Blum, seine Frau Berta und die acht Kinder aus ihrer Wohnung in der Calenberger Neustadt. Nur der Vater und die älteste Tochter Daniela sollten das überleben, was Sinti „Porrajmos“ (Verschlingen) nennen – den Völkermord in den Todeslagern der Nazis. Die 15-jährige Daniela wurde bei einem Massenversuch zwangssterilisiert und musste erleben, wie ihre kleineren Geschwister nacheinander vor ihren Augen starben.
Die Nazis hatten Sinti von hannoverschen Standplätzen schon 1938 ins Altwarmbüchener Moor zwangsumgesiedelt. Auch Sinti, die in Mietwohnungen in Hannover lebten, wurden dort 1942 in alten Eisenbahnwaggons zusammengepfercht. Am 2. März 1943 deportierten die Nazis von dort aus dann rund 80 Menschen über den Bahnhof Fischerhof per „Sonderzug“ nach Auschwitz. Dazu kamen Dutzende weitere, die die Kriminalpolizei in Altstadt und Calenberger Neustadt verhaftet hatte. In Hannover erinnern heute 31 Solpersteine an ermordete Sinti.
Diskriminierung noch heute
Mehr als 100 Besucher haben jetzt in der Gedenkstätte Ahlem zum 75. Jahrestag der Deportation an die oft vergessenen Opfer erinnert. „Auch nach dem Krieg mussten sie lange kämpfen, um als verfolgte Gruppe anerkannt zu werden“, sagte Regionspräsident Hauke Jagau. Bürgermeister Thomas Hermann erinnerte daran, dass Sinti seit mehr als 600 Jahren in Deutschland leben – und immer wieder Opfer von Ausgrenzung wurden.
In einem Theaterstück thematisierten Schüler der Alexanderschule Wallenhorst das Schicksal der Sintezza Erna Lauenburger, die in Auschwitz starb. Sie gehörte zur Familie des Großvaters von Siegfried Franz, der als Vertreter des Niedersächsischen Verbandes Deutscher Sinti in Ahlem sprach. Die NS-Diskriminierung der Sinti sei im Bildungswesen lange fortgeschrieben worden, monierte er: „Bis in die Neunzigerjahre wurden viele Kinder grundlos in Sonderschulen abgeschoben“, sagte Franz, „und bis heute haben unsere Jugendlichen es bei der Lehrstellensuche schwer – oft müssen sie ihre Herkunft verleugnen.“
Vertreter von Stadt und Region, von Parteien und Verbänden legten in Ahlem Kränze nieder. Mit einem Gebet weihte Propst Martin Tenge eine Gedenkskulptur ein, die Landschaftsplaner Marcus Cordes vom Büro Chora blau geschaffen hat. Sie zeigt ein zerbrochenes Rad.
Info: Die dreitägige Tagung „Sinti und Roma un Niedersachsen – Geschichte und Gegenwart“ beginnt am 9. März, 14 Uhr, im Regionshaus, Hildesheimer Straße 18.
Von Simon Benne