Warum eine Kita kein Personal findet
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Mirjam Schule, Ole Großjohann und Esther Michelhans würde gerne drei neue Erzieher einstellen, finden aber keine.
© Quelle: Moritz Frankenberg
Hannover. Drei Erzieherinnen gehen. Trotz ausgiebiger Suche finden sich keine Nachfolger. Für knapp die Hälfte von 97 Kindern fehlt plötzlich die gewohnte Betreuung, ein Notplan wurde entworfen. Die evangelische St- Johannis-Gemeinde in Bemerode wurde plötzlich zum dramatischen Symbol für einen Mangel an Fachkräften, mit dem auch viele andere Träger von Kindertagesstätten zu kämpfen haben.
Kita-Leiterin Esther Michelhans beschrieb am Donnerstag eine neun Monate lange erfolglose Suche nach Bewerbern. Im Detail lief es so: Das Job-Center forderte 41 seiner Einschätzung nach womöglich geeignete Arbeitslose auf, sich bei der Gemeinde zu bewerben. Nur einer tat es, 40 ignorierten die Aufforderung der Arbeitsbehörde. Von weiteren 25 Kandidaten, die sich auf Stellenanzeigen der Gemeinde bewarben, hatten 16 die geforderte Qualifikation. 13 Bewerber wurden eingeladen, die übrigen drei erschienen unentschuldigt nicht zum Termin.
Schließlich lud Esther Michelhans sieben Kandidaten zu Hospitanzen in die Kita ein. Sechs von ihnen entschieden sich später für einen anderen Arbeitgeber. Übrig blieb eine Heilerziehungspflegerin, der aber ein praktisches Kita-Jahr fehlte, um eine Kindergartengruppe leiten zu dürfen. Das Kultusministerium lehnte eine Ausnahme ab und erfüllte damit den Buchstaben des Gesetzes. Bei Zeitarbeitsfirmen habe sich ebenfalls kein Erzieher gefunden, man stehe auf einer Warteliste, sagte Michelhans.
Für diese ergebnislose Suche gibt es in Bemerode unterschiedliche Erklärungen. Manche Eltern hätten sich gewünscht, dass die St. Johannis-Gemeinde angesichts der Notlage auf eine Einstellungsvoraussetzung neuer Erzieher verzichtet hätte: die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche. Besser überhaupt eine Betreuung, als gar keine, sagte eine Mutter. Doch soweit wollte der Gemeindevorstand bisher nicht gehen. „Wir werfen nicht von heute auf morgen unsere Prinzipien über Bord“, sagte Pastor Stefan Giesel.
Außerdem wählten Eltern bewusst eine christliche Erziehung, wenn sie in die St. Johannis-Kita kämen, ergänzte Pastorin Mirjam Schmale. Weil es viele Bewerber mit kirchlichem Hintergrund gab, ist nach Auffassung des Kirchenvorstands das eigentliche Problem der Mangel an Erziehern auf dem Arbeitsmarkt, nicht die geforderte Konfessionszugehörigkeit.
Der Elternbeirat der St. Johannis-Kita will sich nun mit einem Brief an den Stadtkirchenverband wenden. Er sieht ein weiteres Problem: Die Kirche zahle im Vergleich zu Konkurrenten wie Städten und Gemeinden zu niedrige Gehälter und Prämien. Vor Kurzem wechselte eine qualifizierte Mitarbeiterin der St- Johannis-Kita zu einem öffentlichen Träger. Eltern in Bemerode fürchten um Betreuungsmöglichkeiten in christlichen Kitas und „Sanierungsstaus“ (Katja Heineke vom Förderverein der Kita St. Johannis) bei Gebäuden, wenn Kommunen mehr Geld in ihre Einrichtungen investierten als der Stadtkirchenverband in seine Tagesstätten.
Der Kirchenvorstand St- Johannis will das Notprogramm fortsetzen, bis sich in Gesprächen mit Land und Kirchenverband eine Lösung des Personalproblems findet. „Wir müssen die Situation neu bewerten“, sagte Gemeindepastor Ole Großjohann. Ob Bewerber weiterhin einer christlichen Kirche angehören müssen, ist unklar. Ein Sprecher des Ministeriums sagte dazu ungewohnt offen: „Das verengt das Personalangebot auf einem ohnehin angespannten Markt offensichtlich erheblich. Es liegt in der Entscheidungsfreiheit der Träger, hier eine höhere Flexibilität an den Tag zu legen.“
Der Notstand in Bemerode hat sich am Donnerstag ein wenig entspannt. Ursprünglich hätten 47 von 97 Kindern keine Betreuung mehr erhalten. Jetzt können zunächst in der nächsten Woche 70 Jungen und Mädchen untergebracht werden, weil nicht jedes Kind jeden Tag einen Platz braucht. Und demnächst stellt sich eine weitere Bewerberin vor.
Fehlen bald 13.000 Erzieher?
In Niedersachsen waren in diesem Frühjahr mehr als 1500 Erzieherstellen nicht besetzt. Durch die beitragsfreie Kita hat sich der Personalmangel noch einmal verschärft, weil viele Eltern gern die acht Stunden lange kostenlose Betreuung für ihre Kinder in Anspruch nehmen möchten. Nach Angaben des Städtetages werden bis 2021 sogar landesweit rund 13.000 Erzieher fehlen, da auch in Krippen, wo Kinder unter drei Jahren betreut werden, nach und nach die dritte Kraft eingeführt werden soll. Nach Ansicht von Annette Klausing von der Gewerkschaft Verdi könnten viele offene Stellen besetzt werden, wenn die Mitarbeiter, die gerne Vollzeit arbeiten würden, zurzeit aber nur Teilzeitverträge hätten, ihre Stunden einfach aufstockten. „Da steckt ein Riesenpotenzial im System." Dennoch bleibe der Job wegen der langen vierjährigen Ausbildungszeit, die ähnlich lang einem Bachelorstudium sei, und der geringen Bezahlung für Nachwuchskräfte wenig attraktiv. Das Land Niedersachsen will Fachpersonal schneller in Einrichtungen bekommen. Gedacht ist an eine berufsbegleitende duale Ausbildung mit Vergütung für Auszubildende. Für Erzieher und sozialpädagogische Assistenten soll 2019 zudem das Schulgeld entfallen. dö
Von Gunnar Menkens
HAZ