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Archive geöffnet

Wie braun waren die Welfen?

Hannover. Das Herzogspaar brachte Adolf Hitler einen Alpenstrauß mit in die Reichskanzlei. Der Diktator soll der Kaisertochter Viktoria Luise bei ihrem Besuch formvollendet die Hand geküsst haben, und deren Mann Ernst August ermahnte 1933 seine welfentreuen Anhänger, „dem Führer zu folgen“. Vor zwei Jahren erhob eine NDR-Dokumentation massive Vorwürfe gegen das Welfenhaus: Die Adelsfamilie sei in dunkle NS-Machenschaften verstrickt gewesen, in Rüstungsgeschäfte, Ausbeutung von Zwangsarbeitern und die „Arisierung“ von Firmen.

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Vor einem Jahr öffnete Ernst August Erbprinz von Hannover, der 33-jährige Urenkel des damaligen Welfenchefs, das Familienarchiv daraufhin erstmals für Historiker. Rund 3200 Akten, bis dato verwahrt auf der Marienburg, zogen um ins Landesarchiv nach Hannover. Cornelia Rauh, Historikerin an der Leibniz-Uni, untersucht die Dokumente dort seither im Rahmen eines Forschungsprojekts mit vier Studierenden. Jetzt hat die Expertin für NS- und Unternehmensgeschichte eine erste Zwischenbilanz gezogen. „Keiner der Vorwürfe kann entkräftet werden“, sagt die Historikerin, „allerdings wird jetzt auch deutlich, warum die Welfen so handelten, wie sie handelten.“

Ein Herzog auf Abwegen

Ernst August (1887-1953) war chronisch klamm. Er hatte 1918 als regierender Herzog von Braunschweig abdanken müssen. Der Erhalt der ihm zugesprochenen Immobilien verschlang Unsummen, außerdem musste er Gehälter und Pensionen zahlen. In den Dreißigern veränderte er seine Geschäftspolitik. Er setzte nicht mehr nur auf Einnahmen aus altem Grundbesitz, sondern auch auf moderne Industrie - und begab sich dabei auf dubiose Wege.

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Präsentation

Die Historiker stellen ihre bisherigen Ergebnisse am Sonnabend, 19.15 Uhr, im Rahmen der „Nacht, die Wissen schafft“ in der Uni, Welfengarten 1, Raum F 303 (Bahlsensaal), vor.

In Österreich baute der Herzog die Flugzeug- und Metallbauwerke Wels auf - einen Rüstungsbetrieb. Dieser setzte unter anderem Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter und möglicherweise KZ-Häftlinge ein. Diese mussten teils in unterirdischen Stollen schuften und Flugzeugteile für die Me-262 produzieren.

Ein überzeugter Nazi sei Ernst August wohl nicht gewesen, sagt die Historikerin Cornelia Rauh: „Es gibt keine Anhaltspunkte für antisemitische Einstellungen des Herzogs oder Bekenntnisse zur NS-Ideologie.“ Doch die brauchte es auch gar nicht, wenn man wirtschaftlich von der Politik der Nazis profitieren wollte.

Welche Rolle spielten die Welfen?

Besonders nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 erwarb das Haus Hannover Beteiligungen und Unternehmen, die zuvor in jüdischem Besitz gewesen waren. ­Darunter war etwa die Talkumfabrik des österreichischen Unternehmers Lothar Elbogen. Der Besitzer landete in Haft. Der Herzog wurde zum Schnäppchenjäger. „Ernst August wusste selbstverständlich, dass es sich um Betriebe jüdischer Eigentümer handelte“, sagt Rauh, „er wollte den 1939 offen propagierten Ausverkauf jüdischer Unternehmen nutzen, um zu rentablen Industriebeteiligungen zu kommen.“

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Dennoch ist die Rolle des Herzogs, der meist seinen Verwalter agieren ließ, nicht ganz eindeutig. In einem Fall bat ein jüdischer Geschäftspartner des Hauses, der Münchener Bankier Martin Aufhäuser, den Herzog sogar, sich an der Privatbank zu beteiligen - offenbar schien ihm Ernst August vertrauenswürdig, er erhoffte sich für sein Unternehmen Schutz durch den Adeligen.

Tragen die Nachfahren Verantwortung?

Die Professorin hat im Familienarchiv der Welfen gemeinsam mit den Master-Studenten Jan Waitzmann, Charlotta Cordes, Frauke Lorenz und Gerritt Hollatz recherchiert. Der Erbprinz habe die Aufarbeitung seiner Familiengeschichte unterstützt. „Sonst halten Unternehmen oft Akten unter Verschluss“, sagt die Unternehmenshistorikerin Rauh. Eine Veröffentlichung machen Konzerne oft davon abhängig, was bei der Untersuchung herausgekommen ist. „In diesem Fall hat es das nicht gegeben, wir konnten völlig frei forschen und haben vertraglich vereinbart, dass unsere Ergebnisse anschließend in einer wissenschaftlichen Reihe veröffentlicht werden.“

Nicht immer sind die Welfen so offen mit ihrer Vergangenheit umgegangen. Im Januar 1949 wurde der Herzog bei der Entnazifizierung durch die zuständige Spruchkammer in Springe als „entlastet“ eingestuft. Ein moralisches Schuldanerkenntnis seinerseits gab es nie. Restitutionsverfahren wegen der Arisierungen zogen sich Teils bis in die Sechzigerjahre hin. In insgesamt neun Fällen mussten die Welfen Vermögen an die rechtmäßigen Eigentümer zurückübertragen; in den meisten Verfahren gelang es ihnen, einen Vergleich zu schließen. Die jüdischen Eigentümer ließen sich in Entschädigungsverfahren oft darauf ein, viele wollten die sogenannte Wiedergutmachung noch zu Lebzeiten erhalten. In einigen Fällen blieben die Welfen den jüdischen Familien sogar als Geschäftspartner verbunden.

„In rechtlicher Hinsicht gibt es keine finanziellen Ansprüche mehr gegen das Welfenhaus“, sagt Rauh. Sollten sich noch Zwangsarbeiter mit Entschädigungsforderungen melden, wäre völkerrechtlich der Staat dafür zuständig - nicht das Unternehmen, das sie beschäftigte. Juristisch kann der junge Erbprinz die Vergangenheit seiner Familie also abhaken. Und moralisch? Trägt er eine besondere Verantwortung? Cornelia Rauh überlegt einen Moment. Dann sagt sie: „Nicht mehr als jede Privatperson, die sich fragen kann, was der eigene Urgroßvater in der NS-Zeit gemacht hat.“

„Kein offenes Thema mehr“

Nachgefragt bei Ernst August Erbprinz von Hannover.

Warum haben Sie sich entschieden, die Archive zu öffnen? 

Nicht erst die NDR-Reportage „Adel ohne Skrupel“ hat mich überzeugt, dass sich jede Familie, die in dieser Zeit Unternehmen geführt hat oder Teil des öffentlichen Lebens war, zu einem Zeitpunkt der Aufarbeitung der NS-Geschichte stellen muss. Ohne den Zugang zum Archivmaterial der Familie lässt sich eine solche Aufarbeitung nicht leisten. Das Niedersächsische Landesarchiv hat uns bei der Sichtung und ersten Erschließung der Bestände in großartiger Weise unterstützt. Ohne diese Vorarbeit hätte eine Aufarbeitung nicht sinnvoll erfolgen können.

Bleiben die Archive dauerhaft für Historiker zugänglich oder braucht es dafür eine Erlaubnis?

Nach Abschluss der von Frau Prof. Rauh geleiteten Aufarbeitung werden die Archivbestände auch anderen Historikern für ihre wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung stehen.

Haben Sie selbst die Arbeit der Historiker begleitet?

Ohne, dass ich selbst in irgendeiner Weise in die Arbeiten eingreifen wollte, habe ich mich in der Tat für den Fortgang immer interessiert. Erst vor wenigen Wochen haben wir mit den Master-Studenten und Frau Prof. Rauh zusammengesessen, um über den Stand der Arbeiten zu sprechen.

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse?

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich es Frau Prof. Rauh überlassen möchte, über die Ergebnisse zu berichten.

Beabsichtigen Sie eine finanzielle Wiedergutmachung für geschehenes Unrecht?

Geschehenes Unrecht ist nach dem Zweiten Weltkrieg in zahlreichen Restitutionsverfahren aufgearbeitet worden, hierüber wurde Recht gesprochen. Dies ist heute kein offenes Thema mehr.

Interview: Simon Benne    

HAZ

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