Wie ein Mathelehrer zum Pantomimen wurde
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Pantomime Yosuke Ikeda beim Kleinen Fest in Herrenhausen.
© Quelle: Samantha Franson
Hannover. Der Abend beginnt mit einer tiefen Verbeugung vor seinem Publikum. Tribünen und Bänke vor der Bühnenkombination 22/23 sind voll besetzt. Würde man beim Kleinen Fest keine Flatrate-Karte kaufen mit freiem Eintritt zu allen Künstlern, könnte man sagen: Das Spiel „Hello Goodbye“ von Yosuke Ikeda ist ausverkauft.
Vor seinem Auftritt übte er noch zwischen den hohen Hecken im Großen Garten Genauigkeit: den Bowler mit rechts hinterm Rücken im Bogen hochfliegen und auf dem linken ausgestreckten Arm landen lassen. Beiläufig natürlich, umso größer ist ja die Wirkung. Es ist noch Zeit für ein kurzes Gespräch mit diesem wirklich zurückhaltenden und bescheidenen Künstler. Yosuke Ikeda, 43, erzählt, dass er in einem früheren Berufsleben in Japan Lehrer für Mathematik war. Er unterrichtete Schüler zwischen 15 und 18 und führte sie zum Abitur. Zwölf Jahre verdiente er seine Yen in Klassenzimmern. Pantomime betrieb er ernsthaft, aber nebenher.
Dann wagte er doch den Schritt aus der Jobroutine, und es kam so schwierig wie erwartet. "Im ersten Jahr hatte ich nur einen einzigen Auftritt", sagt er mit einem Lächeln. Ikeda hielt durch. Er wollte auf die Bühne, er wollte auf Tourneen gehen, gerade im Ausland, wo das Publikum mehr mitgeht als in seiner Heimat. Und je mehr Auftritte er sammelte, desto mehr sprach sich bei Veranstaltern herum, wer dieser Yosuke Ikeda ist und was er kann. So war es auch in Hannover. Bei einem Auftritt in Desimos Spezial Klub im Lindener Apollo sah ihn Harald Böhlmann, Leiter des Kleinen Festes, und verpflichtet Ikeda für Herrenhausen. Seiner Karriere mag auch ein Auftritt in der RTL-Casting-Show "Das Supertalent" geholfen haben. Juror Dieter Bohlen urteilte, er habe sich gut unterhalten gefühlt.
Ein Programm voller großer und kleiner Einfälle, das Tempo mit Melancholie verbindet und, das ist sein Markenzeichen, über 20 Minuten ohne Unterbrechung jede einzelne Sekunde seiner Pantomime mit Musik verbindet. Drückt Ikeda die Taste eines imaginären Klaviers, muss der passende Ton kommen. So präzise, wie Mathematik ist, wenn sie zum richtigen Ergebnis führt. Geht ein Schritt daneben, gerät alles aus den Fugen.
Die Idee zu seiner Nummer kam Yosuke Ikeda vor einigen Jahren, als er einen Werbespot der Biermarke Budweiser im Fernsehen sah. Ein Zug fährt durch eine Trickfilmstadt und der Reisende sieht, wie zwischen Straßenschluchten Buchstaben vom Himmel fallen, Texttafeln aufklappen und Trommler spielen, alles punktgenau zu Text und Musik des Beatles-Stücks „All Together Now“. Der Künstler in Yosuke Ikeda war beeindruckt. „Ich suchte nach einem Stück mit einer simplen Melodie“, und er fand sie bei den Beatles. „Hello Goodbye“ hat dazu noch einen Text mit nicht sehr vielen, dafür wiederkehrenden Wörtern. Ein halbes Jahr dauerte es, bis Ikeda alles beisammen hatte, bis Mimik, Bewegungen und Musik, auch ein drolliger Moonwalk nach Art von Michael Jackson, harmonierten. „Hello Goodbye“ ist das Herzstück seines Auftritts. Vor ein paar Monaten gewann er damit auf Usedom den ersten Preis beim internationalen Kleinkunstfestival gegen 25 Konkurrenten.
Sommer sind für Yosuke Ikeda mittlerweile ausgedehnte Tourneesommer, in etlichen Ländern tritt er auf. Er steht auf Bühnen, nicht in Klassen, so, wie er es immer gehofft hatte. In Pausen schreibt er weiter Artikel für mathematische Fachblätter, „Algebra und so etwas“. Seine Frau bleibt meist in Japan, nur gelegentlich reist sie ihm nach, das Paar telefoniert viel. Doch jetzt muss er raus auf die Bühne, in diesem altmodischen Anzug mit Weste und Fliege und Bowler, der das Klischee eines Londoner Gentlemans darstellt.
Als die Show vorbei ist, Applaus und Jubel verebbt, geht Ikeda noch einmal ans Mikrofon. Er sei den weiten Weg aus Japan gekommen, um seinem Publikum Hello zu sagen. Noch mal Beifall. „Er hat so eine freundliche Art“, stellt eine ältere Besucherin fest. Ikedas Auftritt würde wohl wirklich anders wirken, wenn es nicht genau so wäre, wie diese Besucherin sagte.
Von Gunnar Menkens
HAZ