Wie eine muslimische Soldatin die Bundeswehr erlebt
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Im Dienst der Bundeswehr: Nariman Hammouti-Reinke. Foto:
© Quelle: Samantha Franson
Hannover. Manchmal, wenn Leutnant zur See Nariman Hammouti-Reinke in der Stadt durchgestylte junge Frauen sieht, erinnert sie sich an ihre eigene Vergangenheit. Lange Fingernägel, Klamotten so cool wie der Blick, Schuhe mit hohen Absätzen, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten gab es viel zu beachten. Ihr Interesse an Schule und folgenden Jobs in Callcenter und Reisebüro war gering, Politik spielte sich auf einem anderen Planeten ab. Nariman Hammouti-Reinke, 39, lebte in einer Welt aus Oberflächlichkeit und Nabelschau. Was zählte, war der nächste Look.
Lange vorbei. Die Soldatin erzählt aus diesem früheren Leben in ihrer Lister Altbauwohnung. Sie trägt ein weißes Hemd mit Schulterklappen, Krawatte, dunkle Hose, die Uniform wirkt etwas streng, aber jede Förmlichkeit verfliegt, wenn sie auf dem Sofa im Schneidersitz plaudert. „Ich habe nicht mal ungeschminkt den Müll runtergebracht und hatte die Pünktlichkeit einer Diva, fünf Minuten zu spät waren immer drin, Ordnung und Disziplin nicht so meins.“ Bis sie im Kino einen Actionfilm anschaute, in dem japanische Piloten Pearl Harbour zusammenbombten, im Zweiten Weltkrieg Stützpunkt der US-Marine im Pazifik. Auf der Leinwand sah sie ein flammendes Inferno, aber sie sah auch, es war eine Hollywood-Produktion in kitschigem Stil, Szenen von Kameradschaft und Zusammengehörigkeit. Vom Militär wusste sie nichts, der Kitsch war ihr egal, doch nach dem Film fühlte es sich an, als könnte ein System von Hierarchie und Disziplin ihrem unsteten Leben eine Richtung geben. Sie ging zur Bundeswehr.
Aufgewachsen in Linden
Die Geschichte von Leutnant Hammouti-Reinke, aufgewachsen im siebten Stock des Ihme-Zentrums und in Linden befreundet mit Türken, Irakern und Afghanen, erklärt anschaulich, wie Migration die Welt verändert. Eine muslimische Frau mit doppelter Staatsbürgerschaft und Bindestrichnamen, Tochter ausgewanderter marokkanischer Eltern, dient im Offiziersrang bei der Bundeswehr, mit Kampfeinsätzen im muslimisch geprägten Afghanistan. Wäre sie schwanger, könnte sie als Soldatin in Ruhe ihr Kind austragen. Dann könnte man die neue Zeit in einem Satz festhalten: Leutnant zur See Nariman Hammouti-Reinke ist im Mutterschutz. Der deutsche Soldat, das ist nicht mehr allein der blonde Sohn von Familie Müller.
Für manche Zeitgenossen, die vergangenen Dekaden nachhängen, ist dieser kulturelle Wandel schwer zu fassen. Sie hat es schriftlich von Leuten, die Religion und Staatsangehörigkeit nicht auseinanderhalten wollen. E-Mails behaupten, sie würde zur Verräterin und nicht mehr für Deutschland kämpfen, sobald sie in ein muslimisches Land gehe. Solche Botschaften nimmt sie hin, darüber aufregen will sie sich nicht mehr. Die Hannoveranerin hat ihre eigene Antwort darauf. Sie würde sterben für Deutschland, sagt sie, „das bedeutet für mich vollkommene Integration“.
Das klingt allzu pathetisch, doch bei zwei Auslandseinsätzen in Afghanistan kam sie mit dem eigenen Ende in Berührung. Ihr Tod wurde vorbereitet. Ein Fotograf nahm das Bild auf, das ihren Sarg schmücken würde. Sie schrieb Abschiedsbriefe und legte eine Beerdigungszeremonie nach islamischem Ritus fest. Jederzeit konnten ja Raketen ins Lager einschlagen und Panzer, rollende Ziele für die Taliban, mit der Lindener Richtschützin an Bord, angegriffen werden. Männer, mit denen sie eben noch in der Feldkantine saß, waren Tage später tot, unter ihnen ein 22 Jahre alter Hauptgefreiter, der seinen Panzer auf eine versteckte Mine lenkte und zwischen dem Stahl verbrannte.
Schutzwesten von Afghanen gekauft
Für manche politische Diskussion in Deutschland hat die Soldatin deshalb kein Verständnis mehr, ihr Tonfall wird schärfer, wenn sie darüber spricht. „Ich habe in Afghanistan drei Mal in acht Tagen Spalier gestanden, nachdem Kameraden gefallen waren. Deshalb ist es eine Verschmähung meiner Kameraden und ihrer Familien, wenn Politiker wie Olaf Scholz eine schwarze Null im Haushalt feiern und wir mit Ausrüstungen arbeiten, die zum Teil nicht mehr zeitgemäß sind und oft erst Jahre nach der Bestellung eintreffen.“ Passende Schutzwesten kaufte sie bei afghanischen Händlern, Hosen bestellten Kameraden im Internet, weil die Taschen besser saßen als bei Bundeswehrzeug. Kasernen beschreibt sie als baufällig und weil Gerät fehlt, können Kampfsituationen oft nur simuliert statt wirklich geübt werden. Am Tag, als sie das sagte, verbreitete sich die Nachricht, dass vier Fregatten zwölf Jahre nach Beschaffungsbeschluss noch immer nicht ausgeliefert werden können.
Nariman Hammouti-Reinke kämpft an vielen Fronten. Gegen Politiker, die die Bundeswehr nicht ausreichend ausstatten, obwohl die Armee Parlamentsbeschlüsse ausführe. Wenn sie Etats im Bundeshaushalt vergleicht, ist klar, dass ihrer Ansicht nach mehr in Verteidigung investiert werden müsse. Sie kämpft gegen diejenigen, die die Bundeswehr für eine Truppe von Neonazis halten, wenn ein Rechtsradikaler auffliegt. Und gegen Zeitgenossen, „die sich aussuchen, womit sie mich diskriminieren, mit meiner Religion, meiner Herkunft oder meinem Beruf“.
All diesen Stoff hat die Hannoveranerin jetzt aufgeschrieben. In dieser Woche erschien „Ich diene Deutschland. Ein Plädoyer für die Bundeswehr – und warum sie sich ändern muss“ im Rowohlt-Verlag. Es gibt Passagen, in denen von ihrem Hass auf manche Zustände die Rede ist. Aber eine Nestbeschmutzerin ist sie nicht. Der Text ist ein Zustandsbericht über einen öffentlichen Arbeitgeber, er dient am Ende der Bundeswehr, weil er beschreibt, was schief läuft und was sich ändern müsste, würde die Bundeswehr einen Leutnant zur See fragen. Nariman Hammouti-Reinke, die nach vielen Auftritten zu einer öffentlichen Figur geworden ist, wünscht sich zum Beispiel Entscheidungen, die gesellschaftlichen Wandel auch bei der Bundeswehr berücksichtigt: „Militärseelsorge muss es auch für islamische und jüdische Soldaten geben.“ Und weil Muslime kein Schweinefleisch essen, aß sie in Afghanistan fünf Monate lang Pute. Sie kann es nicht mehr sehen.
Von Gunnar Menkens
HAZ