Großburgwedel/Langenhagen

So leben die Paketfahrer in der Region

Wenn alle Fahrer "zuhause" waren im früheren Bahnhof, sah es aus Richtung Kleinburgwedel so aus.

Wenn alle Fahrer "zuhause" waren im früheren Bahnhof, sah es aus Richtung Kleinburgwedel so aus.

Großburgwedel/Langenhagen. Morgens um kurz vor 8 Uhr rollen die Bullis von Polizei und Zoll an. Insgesamt 75 Beamte sind am Mittwochmorgen im Einsatz. Es wir hektisch auf dem Hof des Paketdienstes in der Langenhagener Escherstraße – ein Subunternehmer unter dem Dach der Hermes-Gruppe mit Hauptsitz in Hamburg. 64 Mitarbeiter treffen die Ermittler an und überprüfen, ob sie ordnungsgemäß angemeldet und beschäftigt sind. Schnell wird klar: Die Fahnder haben einen Volltreffer gelandet. Nur bei 14 Paketzustellern ist alles in Ordnung. Bei den weiteren 50 aber – sie sind fast durchweg als Zusteller mit Sprintern und Kleintransportern in der Region unterwegs – bestätigt sich der Verdacht der Behörden. 31  Ukrainer und 2 Weißrussen haben kein Visum für Deutschland – geschweige denn eine Arbeitserlaubnis. Dem Geschäftsführer des Paketverteilzentrums wird deshalb die Beihilfe zum illegalen Aufenthalt vorgeworfen. Außerdem besteht der Verdacht des Sozialbetrugs, der Scheinselbstständigkeit und dass der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn nicht gezahlt wird.

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Die Aktion wirft ein Schlaglicht auf eine Branche, deren Gebaren teils an Wild-West-Methoden denken ließe – allerdings spielen vor allem Männer aus dem Osten eine Rolle.

Männer vertreiben sich die Zeit im Freien

Wie zum Beispiel die jungen Männer, 15 oder mehr, die vielen Anwohnern seit einiger Zeit am seit Jahrzehnten aufgegebenen alten Großburgwedeler Bahnhof auffallen. Sie grüßen freundlich gestikulierend, Deutsch sprechen sie aber nicht. Die Männer sitzen auf einer Rampe des früheren Bahnhofsgebäudes und genießen ihren Feierabend rauchend – an heißen Sommerabenden gerne auch mit nacktem Oberkörper.

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Wer zwischen Groß- und Kleinburgwedel häufiger unterwegs ist, hat sich an dieses Bild ebenso gewöhnt wie an die weißen Transporter, die sich abends und an Wochenenden links und rechts der Bahnhofsstraße einer an den nächsten reihen – insgesamt um die 15 Kleinlaster, manche mit der Aufschrift des Paketdienstes „Hermes“. Tagsüber sind sie alle ausgeflogen – Autos wie Fahrer. Verwaiste gelbe Stuhlkissen bleiben zurück und eine Sitzgruppe mit Grill am Bahnsteig Richtung Celle.

Eigentlich sollen sich die jungen Männer dort auf der Bahnhofsrückseite aufhalten und nicht auf der für jedermann einsehbaren „Straßenseite“. So steht es in der in kyrillischen Buchstaben und russischer Sprache verfassten Nachricht, die an der Eingangstür klebt. Die Ansage an die „sehr geehrten Mitarbeiter“ ist unmissverständlich: Sich erholen und das Ablegen von Sachen sei nur hinter dem Zaun gestattet. Zum Wochenende solle aufgeräumt sein. „Wenn wir eine Reinigungskraft bestellen müssen, werden wir Ihnen das in Rechnung stellen“, heißt es dort streng. Der Müll gehöre in den grauen Container oder sei an der Zentrale in Langenhagen – genannt ist die Adresse des Subunternehmers mit der Zollrazzia. Dieser Firma, der Geschäftsführer ist ein Mann mit polnischen Wurzeln, ist auch Eigentümer des alten Bahnhofsgebäudes in Großburgwedel.

„Call Hermes“

Einer der jungen Männer nennt sich Andrew. Er erscheint auf Zuruf seiner Landsleute, weil er offenbar der einzige ist, der etwas Englisch spricht. Wie ein Türsteher sorgt er dafür, dass Fremde keinen Blick ins Bahnhofsgebäude werfen können. Wohnen die Männer dort? Etwa mehrere in einem Zimmer? Den Namen und die Rufnummer seines Arbeitgebers lässt er sich nicht entlocken. „Call Hermes“, das ist alles, was er sich – freundlich, aber bestimmt – entlocken lässt.

Rückblende: Einige Wochen zuvor ist in der Gruppe der Männer vom Großburgwedeler Bahnhof ein Mann deutlich auskunftsfreudiger. Ja, die Männer wohnten im im ersten und zweiten Stock des alten Bahnhofsgebäudes. Ja, sie kämen alle aus der Ukraine. Sechs Tage die Woche säßen sie am Steuer ihrer Transporter. Die Bezahlung? 50  Cent pro Versandstück. Wären 18 Stücke pro Stunde zu schaffen, könnten sie das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns von 8,84 Euro erreichen. Aber wie soll das gehen? Bei der Razzia in Langenhagen erfahren die Ermittler von Polizei und Zoll, dass viele der Paketzusteller des Unternehmens täglich Schichten von elfeinhalb Stunden fahren.

Die gesamte Branche der Paketzusteller ist auf der Suche nach Mitarbeitern – aber sie finden kaum Personal. In der Ukraine dagegen ist die Arbeitslosenquote hoch – und der durchschnittliche Monatsverdienst liegt bei 250 bis 350 Euro. Selbst die nach deutschen Maßstäben und Arbeitsschutzvorschriften unanständigen Bedingungen und Bezahlungen in einem kaskadierenden System von Sub- und Sub-Subunternehmen bei teils lagerartiger Unterbringung kann da schon eine lohnende Alternative sein. Deshalb ist die denkwürdige Wohngemeinschaft im Großburgwedeler Bahnhof auch kein Einzelfall. In Thüringen hatte die Bundespolizei im Herbst des vergangenen Jahres 35 Fahrer aus Moldawien, der Ukraine und Weißrussland, die ähnlich kaserniert untergebracht waren, vorläufig festgenommen. Der Verdacht damals: illegale Einreise nach Deutschland, irreguläre Beschäftigung bei einem Zustelldienst. Und noch ein Parallele gab es zum aktuellen Fall in Langenhagen: Alles fand unter dem Dach von Hermes statt.

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Anzeige von Fahrern gab den Ausschlag

Vor einigen Wochen schon sind Außendienstler des Zolls in Großburgwedel gewesen, um sich von der Situation der Bahnhofsbewohner ein Bild zu machen. „Es folgen weitere Prüfungen“, hat Behördensprecher Oliver Keuck damals auf Anfrage angekündigt. Am Rande der Razzia wird schließlich klar: Die Ukrainer selbst haben die Ermittlungen letztlich ins Rollen gebracht. Sie haben sich vor einiger Zeit an die Polizei in Großburgwedel gewandt und sich über die Zustände in dem Langenhagener Hermes-Subunternehmen beklagt.

Letztlich haben sie sich damit selbst um den Job gebracht. Die illegal Eingereisten werden Deutschland verlassen müssen. Die Paketzusteller-WG im Großburgwedeler Bahnhof wäre aber ohnehin bald aufgelöst worden, denn eine Wohnnutzung ist dort gar nicht zulässig, wie Regionssprecherin Christina Kreutz bestätigt. Was mit den Ukrainern, Weißrussen und ihren Kollegen nun weiter geschieht, wollen die Behörden am Donnerstag in Gesprächen klären. Gegen den derzeit im Urlaub weilenden Langenhagener Subunternehmer ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Eine Hermes-Unternehmenssprecherin spricht im Zusammenhang von einem „Regelprozedere“. Die Ermittlungen der Polizei unterstütze man „vollumfänglich“ – sie richten sich allerdings auch nicht gegen Hermes, sondern nur gegen den Subunternehmer.

Gewerkschaft kritisiert Arbeitsbedingungen

Die Gewerkschaft Verdi schätzt, dass bei den Hermes-Subunternehmern in Schulenburg und Burgwedel insgesamt rund 100 Mitarbeiter angestellt sind. „Die meisten kommen für ein halbes Jahr aus Osteuropa, arbeiten hier und gehen dann wieder zurück in ihre Heimat“, sagt Christoph Feldmann. Er kritisiert die Bedingungen, unter denen die Angestellten arbeiten müssen: Weit unter dem Mindestlohn und nicht selten zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. „Arbeitsbeginn ist um 6 Uhr, Schluss um 18. Das Arbeitszeitgesetz wird hier klar überschritten“, sagt Feldmann. Wegen der Razzien in Schulenburg und Burgwedel stehe die Gewerkschaft mit dem Zoll in Kontakt.

Von Martin Lauber und Sven Warnecke

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