Burgwedel

Spurensuche geht jetzt in Polen weiter

Sie wirken im Arbeitskreis Stolpersteine mit: Andrea Stroker (von links), Michaela Seidel, Rolf Fortmüller, Irmtraud Heike, Jürgen Zimmer und Axel Düker.

Sie wirken im Arbeitskreis Stolpersteine mit: Andrea Stroker (von links), Michaela Seidel, Rolf Fortmüller, Irmtraud Heike, Jürgen Zimmer und Axel Düker.

Burgwedel. Irmtraud Heike und Jürgen Zimmer graben tief. Noch immer stoßen die Historikerin und der freie Journalist bei ihren Recherchen über die Burgwedeler NS-Geschichte auf unbekannte Dokumente und Details. Jetzt könnten sie Hilfe gebrauchen – von jemandem mit guten polnischen Sprachkenntnissen und diplomatischem Fingerspitzengefühl. Denn es geht darum, mehr zu erfahren über das Schicksal von 24 Zwangsarbeiterinnen, deren Babys im Winter 1944/45 mitten in Großburgwedel im „Polenheim“ verhungerten.

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Heike und Zimmer forschen seit Jahren im Auftrag der Stadt Burgwedel im Rahmen des Stolperstein-Projekts. Ganz oben auf ihrer Agenda hatte Dr. Albert David gestanden – jener bei seinen Patienten sehr beliebte jüdische Arzt, der seit 1894 in Großburgwedel lebte, gegen den die Nazis ein Berufsverbot verhängten und der sich das Leben nahm, als Gestapo-Beamte ihn 1940 daheim im Haus der Familie Gode aufsuchten. Ein Stolperstein zu seinem Gedenken wurde 2015 vor dem Haus mit seiner Wohnung und Praxis am Alten Postweg gesetzt, der Forschungsauftrag aber nicht als abgearbeitet ad acta gelegt. „Mittlerweile sind wir in der Lage, ganz neue Seiten im Leben von Dr. David aufzuzeigen“, verrät Zimmer. Über dessen soziales Leben, seine Reisen. Sogar der Doktorarbeit und eines Inhalier-Apparates aus seiner Arztpraxis im längst abgerissenen Haus Gohde-Haus sind sie habhaft geworden.

Eine Rechnung der Burgwedeler Tischlerei Münchenhagen über drei Kindersäge für das „Polenheim", gerichtet an die Gemeinde Burgwedel

Eine Rechnung der Burgwedeler Tischlerei Münchenhagen über drei Kindersäge für das „Polenheim", gerichtet an die Gemeinde Burgwedel.

Kindersärge für das „Polenheim“

Überraschende Erfolge meldet das Forscher-Gespann aber auch für seine Spurensuche nach den 27 Säuglingen, die auf dem Friedhof an der Thönser Straße an heute unbekannter Stelle ruhen. An jedes der Kinder, die ihren Müttern wenige Tage nach der Geburt weggenommen wurden, soll künftig ein Stolperstein erinnern - im Großburgwedeler Mitteldorf. In der Nähe des heutigen Hortgebäudes führte ein Weg zur damals wohl schon baufälligen Scheune mit der Adresse Mitteldorf 9, in der die Kreisbauernschaft die sogenannte Ausländerkinder-Pflegestätte betrieb. Das jüngste der Kinder, die alle nur wenige Monate alt wurden, hieß Wiktor Baliga und lebte nur 62 Tage. Bis zu einem Hinweis der Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Jahr 2009 blieb das dunkle Kapitel aus der Burgwedeler Stadtgeschichte ausgeblendet. Dabei war die Kommune selbst involviert, wie eins der jüngsten Fundstücke belegt: Es ist eine an die Gemeinde Burgwedel adressierte Rechnung der Tischlerei Münchenhagen aus dem Oktober 1944 über drei Kindersärge für das „Polenheim“.

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Ausgangspunkt für Heikes und Zimmers Recherchen waren 24 Namen – drei der Babys wurden ohne Namen beigesetzt – in zum Teil falscher Schreibweise, wie sie das Großburgwedeler Standesamt beurkundet hatte und wie sie so auch 65 Jahre später auf das neue Mahnmal übertragen wurden. Aber tagelanges Aktenstudium im Archiv des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen hat sich gelohnt: Zu allen Babys haben die beiden Rechercheure die Original-Sterbeurkunden gefunden wie auch die Arbeitsstätten (meist Bauernhöfe), an denen die Mütter damals Zwangsarbeit leisten mussten.

Es gelang, wovon Heike und Zimmer nie zu träumen gewagt hätten: Mit Verwandten von zwölf der Frauen, die aus Russland und der Ukraine stammten, kamen Kontakte zustande, sogar ein Interview mit der Tochter einer Zwangsarbeiterin wurde geführt. Als weitaus schwieriger gestaltet sich die Spurensuche in Polen, wo Anfragen bei den Behörden auf große Reserviertheit stießen, berichtet Heike. Immerhin: „Mit drei Familien haben wir Kontakt.“ Um möglichst zügig weiter zu kommen, wird jetzt die Hilfe von Menschen mit guten Polnisch-Kenntnissen und diplomatischem Geschick benötigt. Für Interessenten ist Michaela Seidel im Büro des Bürgermeisters, Telefon (05139) 8973-103, die Ansprechpartnerin.

Buch über Spurensuche ist geplant

Alle Recherche-Ergebnisse sollen in einer auch für junge Menschen ansprechenden Dokumentation über die Spurensuche veröffentlicht werden. „Das werden wir positiv auf den Weg bringen“, verspricht Großburgwedels Ortsbürgermeister Rolf Fortmüller als Vorsitzender des Arbeitskreises Stolpersteine, der die Arbeit von Heike und Zimmer begleitet. Geplant sei, dass der Verwaltungsausschuss in Kürze einen finanziellen Rahmen absteckt, damit ein Verlag gesucht und das Projekt von Anfang an didaktisch professionell geplant werden könne.

Das Stolperstein-Projekt

Die Stolpersteine sind ein Projekt, das der Kölner Künstler Gunter Demnig europaweit vorantreibt. Mit kleinen Messingschildern, die samt Namen und Schicksal des Bedachten in den Boden eingelassen werden, soll der Vertreibung und Ermordung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten sowie der Euthanasie-Opfer im Nationalsozialismus gedacht werden. Die Gedenktafeln werden stets möglichst vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Opfer angebracht. Nach Großburgwedel kam Demnig Ende Juni 2015, um einen Stolperstein für Dr. Albert David an der Ecke Burgdorfer Straße/Alter Postweg einzulassen. Seine „KunstDenkmale“ hat er schon in mehr als 1200 Orten in Deutschland sowie 21 europäischen Ländern verlegt.

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Von Martin Lauber

HAZ

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