Rethen

Platz in Obdachlosenunterkunft kostet 577,50 Euro

Für einen Platz im Zweibettzimmer in der neuen Obdachlosenunterkunft in Rethen werden 577,50 Euro im Monat berechnet.

Für einen Platz im Zweibettzimmer in der neuen Obdachlosenunterkunft in Rethen werden 577,50 Euro im Monat berechnet.

Rethen. Als er den Brief von der Stadt las, traute der obdachlose Alfred Wittkowski (Name von der Redaktion geändert) seinen Augen nicht. „Das muss ein Fehler sein“, dachte er. Einigen Wochen zuvor hatte seine Freundin ihn aus der gemeinsamen Wohnung geworfen, seitdem hatte der 54-Jährige keinen festen Wohnsitz mehr. „Ich habe alles versucht, habe aber keine Wohnung gefunden“, berichtet er. Die Stadt Laatzen stellte ihm schließlich ein Zimmer in der Notunterkunft an der Hildesheimer Straße 305 in Rethen zur Verfügung. Dafür zahlte er zunächst 246 Euro im Monat. Doch mit dem angekündigten Einzug in die neue Notunterkunft wurde die Monatsgebühr drastisch angehoben: auf mehr als das Doppelte.

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4-Millionen-Euro-Bau

4-Millionen-Euro-Bau: Die neue Notunterkunft für Obdachlose, Flüchtlige und Asylbewerber in Rethen wurde als Ersatz für das mehr als 20 Jahre alte Gebäude nebenan errichtet.

Zum 1. März musste Alfred Wittkowski wie alle übrigen Bewohner von dem Altbau in die danebenliegende, neu errichtete Obdachlosenunterkunft an der Hildesheimer Straße 305a umziehen. Das alte Gebäude zu sanieren wäre für die Stadt teurer gewesen, als ein neues zu bauen. Daher soll es abgerissen werden. Der Platz in einem 12-Quadratmeter großen Zweibettzimmer in der neuen Unterkunft kostet nun 577,50 Euro im Monat. Das teilte die Stadt in ihrem Brief mit. „Dass ein Zimmer im Obdachlosenheim so teuer ist, ist doch nicht mehr  christlich“, sagt Wittkowski kopfschüttelnd: „Die Kosten liegen weit über denen einer normalen Wohnung.“

Luxus können die Bewohner in der neuen Notunterkunft an der Hildesheimer Straße 305a für den stolzen Preis nicht erwarten. Denn möbliert sind die Zimmer erwartungsgemäß eher spärlich. Im Zweibettzimmer stehen für jeden ein Bett, ein Metallspind und ein Holzstuhl zur Verfügung. Außerdem ein Tisch, den sie sich teilen müssen. Laut der Stadt Laatzen ist dies „einfacher Standard“.

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Die berechneten Gebühren für den Platz im Zwei-Bett-Zimmer entsprechen einem Quadratmeterpreis von 48,12 Euro. Zum Vergleich: Im Laatzener Mietspiegel liegt die Obergrenze für einen Quadratmeter je nach Größe und Ausstattung der Wohnung zwischen 6,06 und 7,10 Euro. Bei Sozialwohnungen liegt die Spanne zwischen 5,70 und 6,50 Euro pro Quadratmeter.

Teamleiter: „Nutzungsgebühr nicht mit gewöhnlichen Miete vergleichen“

„Man darf die Nutzungsgebühr in den Obdachlosenheimen nicht mit gewöhnlichen Mieten vergleichen“, betont hingegen der Laatzener Fachbereichsleiter Soziales, Thomas Schrader. Die Unterbringung in einer Notunterkunft sei als vorübergehend anzusehen und kein dauerhaftes Wohnverhältnis. Mit der Situation eines freiwählbaren Mietverhältnisses auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt sei die Unterbringung daher nicht zu vergleichen. Die Stadt erhebe für die Nutzung der Unterkünfte auch keine Miete, sondern eine sogenannte Benutzungsgebühr, die tagesweise berechnet wird.

Dass die Gebühren zum 1. März so stark gestiegen hat einen besonderen Grund. Die Nutzungsgebühren für die Notunterkünfte müssen Kommunen laut dem Niedersächsischen Kommunalabgabengesetz (NKAG) so kalkulieren, dass sie dadurch sämtliche für sie entstehenden Kosten im Zusammenhang mit der Unterhaltung der Einrichtungen abdecken können. Der Wesentliche Faktor, der die Kosten in der neuen Unterkunft in Rethen in die Höhe treiben, sind laut Schrader die Abschreibungen für den 4 Millionen Euro teuren Neubau. Hinzu kommen unter anderem noch die Kosten für Sicherheitsdienste und externe Betreiber, die sich unter anderem um die Heimleitung, die Reinigung und den Pfortendienst kümmern sowie Hausmeistertätigkeiten übernehmen.

Stadt muss Kosten decken

„Mit den von uns berechneten Nutzungsgebühren machen wir keinen Gewinn“, betont Fachbereichsleiter Schrader: „Aber wir müssen unsere Kosten decken.“ Insgesamt hält die Stadt derzeit sechs Gemeinschaftsunterkünfte sowie 22 Eigentumswohnungen für die Unterbringung von Obdachlosen, Flüchtlingen und Asylbewerbern vor.  Hinzu kommen 20 angemietete Wohnungen. Würde die Stadt den Bewohnern für diese Unterkünfte geringere Nutzungsgebühren in Rechnung stellen, würde sie damit in die roten Zahlen kommen. „Den finanziellen Verlust müssten wir dann an die Steuerzahler in Laatzen weitergeben. Und das wollen wir nicht“, sagt Schrader.

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Die meisten Kosten für die Unterbringung von Menschen in Notunterkünften müssen die Steuerzahler dennoch zahlen. „Da die Bewohner in der Regel finanziell schlecht gestellt sind, übernehmen das Sozialamt oder das Job-Center die Kosten“, sagt Schrader. Bewohner, die eigenes Einkommen haben, werden anteilig an den Gebühren beteilt. „So bleibt ihnen immer noch ein gesetzlich festgelegter Freibetrag von ihrem Einkommen.“

SoVD fordert mehr Sozialen Wohnungsbau 

Laut Sozialverband Deutschland (SoVD) sind die Kosten in manchen Notunterkünften extrem hoch.  „Das eigentliche Problem liegt jedoch darin, dass es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt“, sagt Stefanie Jäkel, Sprecherin des Landesverbands Niedersachsen des SoVD. „Es fehlt an innovativen Konzepten, um Obdachlose wieder am Wohnungsmarkt unterzubringen“, kritisiert sie. Außerdem müsse der Soziale Wohnungsbau stärker vorangetrieben werden.

Dieser ist in Laatzen stark rückläufig. „Die öffentlich geförderten Wohnungen sind alle vor 2009 entstanden“, sagt Thomas Schrader. „Danach wurde kein Förderantrag mehr gestellt.“

Dreizimmer-Wohnung ist günstiger als Notunterkunft

Alfred Wittkowski ist dabei, die Notunterkunft an der Hildesheimer Straße zu verlassen. Er ist Frührentner und bezieht 690 Euro Rente im Monat. Von dieser wären ihm abzüglich der monatlichen Gebühr von 577,50  Euro im Obdachlosenheim nicht mehr viel geblieben. Zwar hätte er Sozialhilfe in Anspruch nehmen können. „Das will ich aber nicht, weil dann eventuell auch meine Angehörigen für mich zahlen müssen“, sagt er. Zum 1. April hat der 54-Jährige über Bekannte eine eigene Wohnung in Laatzen gefunden. „Sie hat drei Zimmer mit eigenem Bad und Küche und kostet nur die Hälfte von dem Zimmer im Obdachlosenheim.“

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Von Stephanie Zerm

HAZ

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