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Neustadt

Verkehrswende in Neustadt bekommt neue Impulse

Im HAZ-Forum suchen Conrad Vinken, Leiter des Fachbereichs Verkehr der Region Hannover, Neustadts Bürgermeister Dominic Herbst und Swantje Michaelsen, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen in der Region Hannover, mit Moderator Jan Sedelies nach Lösungen für die Verkehrswende.

Im HAZ-Forum suchen Conrad Vinken, Leiter des Fachbereichs Verkehr der Region Hannover, Neustadts Bürgermeister Dominic Herbst und Swantje Michaelsen, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen in der Region Hannover, mit Moderator Jan Sedelies nach Lösungen für die Verkehrswende.

Neustadt. Die Stadt will die Verkehrswende in Schwung bringen – und hat sich dafür Partner gesucht. In einem digitalen HAZ-Forum zum Thema „Klimaneutral, fair, bezahlbar: Wie bewegen wir uns auf dem Land?“ holten sich die Akteure um Bürgermeister Dominic Herbst frische Ideen für den Umstieg auf zukunftsfähige Verkehrsmittel. Fazit einer dichten Runde mit vielen Informationen und wenig Meinungsverschiedenheiten: Man kann vieles durchsetzen – aber nicht zu schnell und immer im Austausch mit den Bürgern.

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Herbert Tiemens (von links) ist beim Gespräch mit Conrad Vinken, Swantje Michaelsen und Jan Sedelies aus den Niederlanden zugeschaltet.

Herbert Tiemens (von links) ist beim Gespräch mit Conrad Vinken, Swantje Michaelsen und Jan Sedelies aus den Niederlanden zugeschaltet.

Diese Tipps kamen von einem, der es wissen muss: Herbert Tiemens ist Stadtplaner im niederländischen Utrecht, das in Sachen Fahrradinfrastruktur Maßstäbe setzt. Auch im Umland der Provinzhauptstadt legten die gut 1,2 Millionen Einwohner inzwischen 30 Prozent ihrer Wege mit dem Rad zurück, berichtete Tiemens, der der Runde per Video zugeschaltet war. Das liegt an guter Infrastruktur für die Radfahrer und einem attraktiven öffentlichen Nahverkehr. Und auch daran, dass das Autofahren in der Stadt wenig attraktiv ist. Viele Straßen sind nur einseitig erreichbar, die Parkgebühren liegen bei 5 Euro pro Stunde. Für 5 Euro kann man auch 24 Stunden in einem der Parkhäuser am Stadtrand parken und mit fünf Personen Straßenbahn fahren.

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Das gesamte Forum als Video ist auf Youtube unter dem Stichwort „Neustadt bewegt sich“ zu finden.

Verkehrswende in den Niederlanden begann vor 50 Jahren

An diesem Zustand arbeiten die Planer bereits seit 50 Jahren: Um 1970 war auch Utrecht noch stark auf Autoverkehr ausgerichtet, wie Tiemens anhand von Bildern zeigte. Wo früher breite Fahrbahnen übereinandergeschichtet waren, liegt heute eine offene Gracht mit Fuß- und Fahrradwegen drum herum. Neben den bis zu acht Meter breiten Radwegen in der Innenstadt liegen noch separate Spuren für Busse und Straßenbahnen.

Region Hannover arbeitet am Radwegenetz

Conrad Vinken: „In den Innenstädten ersticken wir jetzt schon am Verkehr.“

Conrad Vinken: „In den Innenstädten ersticken wir jetzt schon am Verkehr.“

Viel Arbeit am Alltagsradwegenetz, gute Stationen für den Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln, die sogenannte Intermodalität: Das sind Maßstäbe, die auch die Region Hannover mit ihrem obersten Verkehrsplaner Conrad Vinken verfolgt. Vinken machte deutlich, dass es dazu wenig Alternativen gibt: „In den Innenstädten ersticken wir jetzt schon im Verkehr.“ Alle fünf Jahre errechnet die Region, welche Verkehrsmittel die Einwohner für ihre Wege nutzen. Der Anteil der Radfahrten stieg 12 Prozent im Jahr 2011 auf immerhin 15 Prozent im Jahr 2017.

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Neue Wege für mehr Lebensqualität

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, werden die Verkehrsteilnehmer auch in der Region Hannover langfristig auf Verbrennungsmotoren weitestgehend verzichten müssen. Wie bewegen wir uns zukünftig? Das will die Initiative „Neustadt bewegt sich“ thematisieren. Initiatoren und Schirmherren sind Neustadts Bürgermeister Dominic Herbst und Regionspräsident Hauke Jagau – in Kooperation mit den Madsack Medien Hannover. Partner sind die Ideenstadtwerke Neustadt, die Metropolregion, GVH, Regiobus und Üstra. Mehr Informationen finden sich unter www.neustadtbewegtsich.de.

In jüngster Zeit arbeiten die Planer viel am Radwegenetz, „2016 haben wir ein Alltagsroutennetz aufgesetzt, sind auf 800 Kilometer gekommen, die wir brauchen“, sagte Vinken. Das Problem: 130 Kilometer davon fehlen noch gänzlich, und 250 waren in einem „verheerend schlechten Zustand“, wie Vinken sagte. Die Region habe mit dem Ausbau des Netzes begonnen und dafür auch etliches Geld vom Bund bekommen, weil sie nicht nur die Straßen einplante, die sie selbst zu unterhalten hat.

Umdenken der Menschen ist notwendig

Bei der Verkehrswende gehe es aber auch darum, ein Umdenken bei den Menschen zu erreichen. Dabei sei der Ausbau der Radwege das einfachste Mittel: „Sie brauchen da nur die Infrastruktur, und jeder kann sich aufs Rad setzen und losfahren“, sagte Vinken. Und das Netz sei darüber hinaus noch ungleich viel günstiger zu bauen und zu unterhalten. Die Folge: „Wir bauen nur noch Radverkehrs-Infrastruktur“, Autostraßen würden nur noch saniert. In den nächsten Jahren werde man die Investitionen für Radwege auf jährlich 30 Millionen Euro hochfahren.

30 Millionen Deutsche können nicht Auto fahren

Mobilitätspolitik nur fürs Auto sei nicht nur ökologisch und finanziell unsinnig, sondern auch ungerecht, findet Grünen-Politikerin Swantje Michaelsen.

Mobilitätspolitik nur fürs Auto sei nicht nur ökologisch und finanziell unsinnig, sondern auch ungerecht, findet Grünen-Politikerin Swantje Michaelsen.

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Die auf das Auto ausgerichtete Mobilitätspolitik sei nicht nur ökologisch und finanziell unsinnig, sondern benachteilige auch eine ganze Menge Menschen, betonte die Grünen-Verkehrspolitikerin Swantje Michaelsen. Heute noch seien mehr als 60 Prozent der Autos auf Männer zugelassen und würden auch mehr von ihnen genutzt. Frauen hätten oft kürzere Strecken zurückzulegen, gingen mehr zu Fuß oder führen mit dem Rad. Und Kinder und Jugendliche würden in der Mobilitätsplanung bisher gar nicht berücksichtigt. „Die Gruppe der Menschen, die nicht Rad fahren kann, ist viel kleiner als die Gruppe der Menschen, die nicht Auto fahren kann.“ Das betreffe rund 30 Millionen Menschen bundesweit.

Stadtwerke bauen für Elektromobilität vor

„An den Ladesäulen für Elektromobile in Neustadt ist noch Platz“, sagt Ingo Schlei von den Stadtwerken.

„An den Ladesäulen für Elektromobile in Neustadt ist noch Platz“, sagt Ingo Schlei von den Stadtwerken.

Dennoch: Auch der Umstieg auf Elektroautos ist als Teil der Verkehrswende in Neustadt mitgedacht. Vertriebler Ingo Schlei berichtete, dass die Stadtwerke Neustadt intensiv am Ausbau der Ladeinfrastruktur arbeiteten. Sowohl beim neuen Wohnquartier am Hüttengelände als auch in neuen Tiefgaragen seien zahlreiche Ladeplätze vorgesehen. Und für Privathaushalte habe das Unternehmen aktuell eine besonders günstige Ladebox im Angebot. So wolle man daran arbeiten, die Zahl der zugelassenen Elektromobile – derzeit sind es 150 – deutlich zu erhöhen.

Öffentlicher Bedarfsverkehr soll ausgebaut werden

Auch der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gehe weiter, versicherte Vinken. Für Neustadt ist da besonders der sogenannte Bedarfsverkehr wichtig, nachdem einige Dörfer vom regelmäßigen Busverkehr abgehängt sind, also Busse oder kleinere Fahrzeuge, die zumindest nach Anforderung verkehren. Auch Bike-and-ride-Anlagen an den Bahnstationen müssten gut ausgebaut werden, nächstes Projekt sei da etwa das geplante vollautomatische Fahrradparkhaus am Bahnhof Wunstorf. „Das hilft alles nichts, wenn die Radwege dorthin fehlen“, gab Michaelsen zu bedenken.

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„Autos kaufen nicht ein“

Bürgermeister Dominic Herbst zeigte sich im Anschluss erfreut über die Impulse, die ihm das Forum für die weitere Arbeit gegeben habe. „Spannend ist auch die Diskussion, warum man eigentlich das Auto nutzt“, sagte der Verwaltungschef. Auch er könne sich da vom Hang zu Bequemlichkeit nicht freisprechen. Michaelsen hatte angemerkt, vielen sei es selbstverständlich, bei Regen mit dem Auto zu fahren. Aber die Anregungen aus Utrecht machten Mut: Geschäftsinhaber wollten dort lieber keine Parkplätze vor ihren Türen haben, hatte Tiemens berichtet. „Die Geschäftsleute haben gelernt, dass Autos gar nichts kaufen, die Menschen kaufen ein.“ Auch in den Wohnstraßen sähen die Anwohner immer lieber weniger Autos, wenn man sie frage. Bei allen Widerständen könne man sagen: „Wir machen Menschen gegen ihren Willen glücklich.“

Von Kathrin Götze

HAZ

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