Start der Gemeinwohl-Initiative in Neustadt?
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Rund 24 Teilnehmer kommen zum Vortrag über Gemeinwohl-Ökonomie in den Eine-Welt-Laden.
© Quelle: Foto: Marleen Gaida
Neustadt. Ist es der Beginn einer neuen Bewegung in Neustadt? Am Dienstagabend haben sich rund 24 interessierte Bürger in dem Eine-Welt-Laden in der Mittelstraße versammelt, um einen Vortrag über die Gemeinwohl-Ökonomie zu hören. Dicht gedrängt sitzen die überwiegend weiblichen Zuhörer auf den Klappstühlen. Günther Baumert ist der Einladung der Neustädterinnen Ilse Deppmeyer und Christa Möller gefolgt, um über die globale Bewegung zu referieren. Die Initiative fordert von Unternehmen soziale Werte und Nachhaltigkeit in ihr wirtschaftliches Handeln zu integrieren, Erfolge sollen in einer Gemeinwohl-Bilanz festgehalten werden. Deppmeyer und Möller hoffen auf die Gründung einer Ablegergruppe der Initiative in Neustadt.
Start der Gemeinwohl-Ökonomie-Initiative in Neustadt möglich
Der ehemalige Mathe-Lehrer Baumert hat sich der Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber (siehe Infobox) angeschlossen. Baumert: „Gemeinwohl-Ökonomie ist der Versuch, Wirtschaft anders zu denken.“ Als Beispiel für Missstände in der Gesellschaft nennt er überbordenden Konsum, Obdachlosigkeit und ein mangelnder Gemeinsinn. Und weiter: „Unser gesamtes wirtschaftliches Denken und Streben ist auf Gewinn und Ertrag ausgerichtet.“ Die Forderung der Gemeinwohl-Initiative sei es, auch in wirtschaftlichem Handeln, Menschenwürde, Nachhaltigkeit, Solidarität und Gerechtigkeit eine größere Bedeutung beizumessen, erläutert der Referent. Diese Werte sind in der sogenannten Gemeinwohl-Matrix festgehalten. Baumert: „Unternehmen, die eine gute Gemeinwohl-Bilanz haben, sollen zum Beispiel von Steuervergünstigungen profitieren, Vorteile bei öffentlichen Ausschreibungen haben und leichter Kredite bekommen“, erklärt Baumert.
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Referent Günther Baumert.
© Quelle: Marleen Gaida
In Hannover treffe sich die Regionalgruppe der Bewegung regelmäßig, um das Ansinnen des Österreichers Felbers in Hannover und der Region voranzutreiben. Das erste Unternehmen aus der Region Hannover, das sein wirtschaftliches Handeln künftig nach dieser Philosophie ausrichten will, ist der Bio-Lieferant Gemüsekiste aus Hemmingen. Geschäftsführer Matthias Rönicke sagt: „Startschuss ist der 27. Februar. Wir möchten diesen Prozess lostreten, der kein Ende haben soll. Dabei werden wir von der Gemeinwohl-Initiative beraten.“
In Neustadt und Umgebung gibt es bisher kein Unternehmen, das das Gemeinwohl-Prinzip offiziell anwendet. Wirtschaftsförderer Uwe Hemens steht der Strömung kritisch gegenüber. „Für mich hat das planwirtschaftliche Züge. Ich bin mit unserer sozialen Marktwirtschaft ganz zufrieden. Sie ist funktionierend und hat unseren Wohlstand und unsere Freiheitsrechte geprägt.“ Hemens verweist zudem auf das soziale Engagement vieler Unternehmer in der Region, wie Ulrich Temps, der Geflüchtete in seinem Betrieb integriert. Dieser zeigt sich hinsichtlich der Initiative interessiert und sagt: „Bezüglich der Nachhaltigkeit haben wir begonnen in Neustadt auf Erdgas-Autos zu setzen.“ Mit weiteren Maßnahmen, könne er sich zurzeit und in den nächsten Jahren aufgrund interner Nachfolger-Probleme leider nicht konzentrieren. Temps signalisiert dennoch ein grundsätzliches Interesse an der Idee.
Und auch die Bürgermeisterkandidaten finden das Konzept reizvoll. Stefan Porscha (CDU) sagt: „Auf Neustadt bezogen ist dies ein durchaus interessanter Ansatz. Mit meiner Absicht die Struktur der Verwaltung in Neustadt zu optimieren, Verbesserungen für die Mitarbeiter zu erreichen oder auch die Bürgerbeteiligung an sich zu stärken, könnte das durchaus einfließen.“ Und Christina Schlicker (SPD) sagt: „Gemeinwohl-Ökonomie hat ein sehr solidarisches Ansinnen. Mit ihrer Vision wird die Voraussetzung für den Erhalt einer lebenswerten Mitwelt geschaffen. Jeder, der dazu beiträgt, zum Beispiel durch fairen Handel, setzen sich für Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ein. Das könnte ein guter Weg zur Verbesserung des Gemeinwohls sein."
Für Baumert lässt sich die Gemeinwohl-Ökonomie auf eine einfache These herunterbrechen: „Wir wollen ein gutes Leben für alle etablieren.“ Jetzt müsse man mehr und mehr die Unternehmen dazu bringen, zusätzlich zu der jährlichen Finanz-Bilanz, auch eine Gemeinwohl-Bilanz einzuführen.
Am Ende des Abends tragen sich rund zwölf Teilnehmer in eine Interessenten-Liste im Eine-Welt-Laden ein. Christa Möller: „Unser Wunsch ist es, eine Regionalgruppe in Neustadt aufzubauen und erst einmal ganz niedrigschwellig damit anzufangen.“
Die Initiative der Gemeinwohl-Ökonomie
Auf Basis des Buches „Neue Werte für die Wirtschaft“ von Christian Felber bildet sich 2008 innerhalb der Gruppierung Attac in Österreich eine Unternehmer-Gruppe, die die Gemeinwohl-Matrix erfindet. Ein weiteres Ergebnis der Zusammenarbeit ist die Erstausgabe des Buches,„Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“, herausgegeben von Christian Felber. Am 6. Oktober 2010 startet die Bewegung offiziell, die auf ihrer Webseite www.ecogood.org angibt, rund 8000 Mitglieder und circa 2300 unterstützende Unternehmen weltweit zu haben.
Von Marleen Gaida