Von Tinderfisch bis Blindenhund: Axel Hacke liest in Seelze
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Gekonnter Unterhalter: Axel Hacke in Seelze.
© Quelle: Simon Polreich
Seelze. Wie aus einem Versprecher Poesie wird: Autor, Kolumnist und Wortkünstler Axel Hacke hat zum Jubiläum der Stadtbibliothek im Alten Krug in Seelze gelesen. Und er brachte Fans und neugierige Zuschauer binnen Sekunden lauthals zum Lachen.
Als Lesung angekündigt, glich der Auftritt Hackes in großen Teilen eher einer amüsanten Plauderstunde. Entspannt, im thronartigen Holzstuhl auf der kleinen Bühne im Veranstaltungszentrum lehnend, zeigte sich Hacke als glänzender Unterhalter – der pointiert, charmant und gänzlich unbemüht aus seinen vergangenen Jahrzehnten als Kolumnist für das „SZ-Magazin“ der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte.
Axel Hacke beschreibt in Seelze die Ausdruckskraft des Kühlergrills
Seine ersten Lacher erntete Hacke bereits im ersten Satz. Er habe vor der Lesung einen „kleinen Spaziergang“ durch das „Zentrum von Seelze“ gemacht – was einige bereits als Ironie verstanden. Das sei jedoch Routine auf Lesetour. Am Vorabend, bei einer Lesung in Nordhausen, war er ebenfalls durchs Zentrum spaziert – und fand, wie so oft, zwei Eisdielen und eine Dönerbude vor. Und in Seelze? „Zwei Eisdielen und eine Dönerbude“, so Hacke. „Offenbar ernährt sich ganz Deutschland nur von Eis und Döner.“
Dabei genoss der Mann im anthrazitfarbenen Anzug das Live-Erlebnis, auf das er in den vergangenen zwei Pandemiejahren verzichten musste. Das höchste der Gefühle war außer mehr oder weniger missglückten Online-Auftritten eine Lesung in einem notdürftig aufgebauten Autokino im hessischen Baunatal, unterm „erweiterten Sonnenschirm“, mit Regen von der Seite. „Mein Publikum bestand aus hundert Kraftfahrzeugen“, so der Kolumnist. Seitdem wisse er, wie beschränkt ein Kühlergrill im Ausdruck ist. „Ein maskiertes Publikum ist dagegen geradezu expressiv.“
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Mit und ohne Maske: Das Publikum im Alten Krug.
© Quelle: Simon Polreich
Tinderfisch in der Hölle
Ungezwungen ließ der gebürtige Braunschweiger in seine Anekdoten Aufgeschriebenes einfließen – Kolumnen, und Passagen aus seinen Büchern „Ein Haus für viele Sommer“ und „Im Bann des Eichelhechts“, die sich immer wieder mit Hackes Passion, den sprachlichen Missverständnissen und ihrer ganz eigenen Poesie, beschäftigen. Darunter auch viele „Fundstücke“, die ihm treue Leser seit Jahren zuschicken. Gefunden etwa auf falsch übersetzten Speisekarten, wo dann „saugendes Lamm“ (in Portugal) angeboten wird, „Ochsenschwan-Suppe“ und „Muscheln in der Hölle mit Tinderfisch“ – im italienischen Original Cozze All’Inferno con Polpo. Einsendungen, die Hacke auch auf der Seelzer Bühne grübeln ließen, um was für ein Meereswesen es sich beim Tinderfisch handeln mag – womöglich ein „promiskes und wenig sexuell wählerisches“, so Hacke unter den Lachern des Publikums, was auch immer es mit Muscheln in der Hölle anstellt.
Unter den eingesendeten „Stilblüten“ waren auch grandiose Missverständnisse zwischen Groß und Klein, wie etwa der buchtitelgebende „Eichelhecht“, den Hackes eigener Sohn einmal nach einem Waldspaziergang als interessantestes Tier des Tages nannte. Nach der tierischen Begleitung eines blinden Mannes erkundigte sich der Sohn eines Lesers – ein Blindenhund, erklärte man dem ahnungslosen Kind. Der Junge konnte nur den Kopf schütteln darüber, so Hacke, dass man einen blinden Mann auch noch mit einem blinden Hund ausstattete.
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Die Liebe zur Sprache, in all seinen Facetten und seinem Scheitern, ob gesprochen oder geschrieben, feierte der Gastleser einen Abend lang in Seelze – und schien auch bei seinem Publikum die Lust an der Sprache und dem geschriebenen Wort neu zu entfachen. Passender hätte eine Lesung zum Jubiläum einer Stadtbibliothek kaum sein können.
HAZ