Keine Ehrenbürgerin, aber Botschafterin
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Im feinsten Zwirn stolziert Olivia Jones durch ihre Heimatstadt. Bürgermeister Jörg-Roger Hische (rechts) kann da kaum mithalten. Olivia-Assistent Sven (links) scheint es in Springe zu gefallen.
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18.46 Uhr: Damit Olivia offiziell Botschafterin der Stadt Springe wird, muss der Rat abschließend entscheiden. Aber das wird wohl eine Formalie bleiben. Bei der Abstimmung im Ortsrat um die Rolle als Botschafterin gab es zwei Gegenstimmen und elf Jastimmen. Zwei SPD-Ratsfrauen konnten sich nicht mit der Idee anfreunden. "Spaßbremsen gibt es immer", sagt Olivia. "Aber die Stimmung hier in Springe war einfach toll. Es hat mir großen Spaß bereitet, hier zu sein." Mit der Botschafter-Rolle habe ihr die Stadt einen Köder hingeworfen. "Wenn ich das gut mache, werde ich vielleicht doch noch Ehrenbürgerin", verkündet Olivia. Und eilt zusammen mit ihrem Assistenten zu den Fans "Wir machen Beweisfotos davon, wie beliebt wir sind", sagt sie und lacht. Die ausführlichen Berichte zur Entscheidung und die Reaktionen der Politiker sind später hier zu lesen.
18.19 Uhr: Die Fraktionen im Ortsrat sprechen gar nicht erst über die Ehrenbürgerschaft. Ortsbürgermeister Carsten Marock schlägt vor, in ein paar Jahren wieder darüber zu reden. Stattdessen wird Olivia Jones zur Ehrenbotschafterin der Stadt Springe. Großer Applaus brandet auf. Olivia: "Ich bin stolz auf Springe. Die Stadt ist bunt und tolerant. Ich komme jetzt öfter, das gefällt mir hier richtig gut."
18.15 Uhr: Olivia ist gerade im Schulzentrum Süd eingetroffen. "Früher haben die Leute nicht so gejubelt, wenn ich zur Schule kam", sagt sie. Sie freut sich sichtlich über den Applaus von ihren Springern.
18.08 Uhr: Schon im Vorfeld der Ortsratssitzung hat Bürgermeister Hische prüfen lassen, ob eine Ehrenbürgerschaft überhaupt rechtens wäre. "Olivia Jones zur Ehrenbürgerin zu machen, wird schwer", sagte der Verwaltungschef im Juli. "Rechtlich wäre das kaum zu begründen." Das habe eine Prüfung der Stadt ergeben. Er verweist auf den Paragrafen 29 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes: "Eine Gemeinde kann Personen, die sich um sie besonders verdient gemacht haben, das Ehrenbürgerrecht verleihen." Seit 81 Jahren gab es keinen Ehrenbürger mehr in Springe. Der letzte war Sanitätsrat Dr. Heinrich Seebohm (1848–1933). Er hat für den Bau der Badeanstalt nahe der heutigen Straße An der Worth gesorgt. Es gibt sie heute nicht mehr. Außerdem haben er und seine Frau Marie den Marienbrunnen auf dem Marktplatz gestiftet. Seebohm erwarb ihn von der Weltausstellung 1900 in Paris. Sichtbare Spuren von Olivia Jones in der Stadt gibt es bis auf eine Sitzbank vor der Realschule keine. Diese hatte der NDR im Jahr 2010 gestiftet.
17.58 Uhr: Olivia ist noch nicht da, der Ortsrat will aber nicht warten und jetzt seine Sitzung beginnen. Es sind sogar noch viele Plätze frei im Schulzentrum Süd. Aber einige Bürger und Reporter stehen auch noch vor der Tür. Bürgermeister Hische wird von der Presse umlagert. Vielleicht, weil er sich bisher ziemlich deutlich gegen eine Ehrenbürgerschaft ausgesprochen hat? Ortsratsmitglied Ulrich Kalinowski traut sich was und stellt sich den Fragen der Reporter.
17.53 Uhr: 340 Stühle stehen im Schulzentrum Süd bereit. Ob sie reichen? Die Sitzung wurde bereits aus Platzgründen von der Aula der Grundschule Hinter der Burg in die Aula des Schulzentrums Süd verlegt. Einen größeren öffentlichen Raum in Springe gibt es nicht. Die Fans vorm Museum haben sich zwischenzeitlich einen Kaffee oder ein Eis in der Innenstadt gegönnt.
17.48 Uhr: Die DeisterJungens treffen am Schulzentrum Süd ein. Sie haben der Dragqueen einen Song gewidmet. Den wollen sie gleich ihrem Lieblingsstar vortragen. Olivias Management zeigte sich im Vorfeld von so viel Einsatz entzückt: "Die DeisterJungens haben einen wirklich lustigen Unterstützersong veröffentlicht." Im Video spielen viele Springer mit.
17.40 Uhr: Im Museum auf dem Burghof wird die lange Kaffeetafel mit pink-violetten Servietten abgeräumt. Olivia hat viele Geschenke bekommen, darunter eine Broschüre übers Museum, einen Schlüsselanhänger mit der Ratsnachtwächterfigur Heinrich und Hochprozentiges. "Ist ja wie Weihnachten hier", sagt sie. Im Gästebuch des Museums steht nun "Herzlich gelacht. Danke. Olivia Jones".
17.31 Uhr: Bei ihrem Weg durch die Stadt bleibt Olivia stehen. "Was habt ihr denn mit meiner alten Disco gemacht", fragt sie entsetzt. Wo sie als 16-Jähriger abgerockt hat, ist heute ein Restaurant. Trotzdem mal reingehen und sich erinnern. Damals wusste sie noch nicht, ob sie schwul ist, sagt Jones. Als Oliver Knöbel wuchs er in Springe auf. Sein Mutter lebt bis heute in der Deisterstadt. "Mit 16 - in dem Alter weiß man eh nicht, ob Fisch oder Fleisch." Die Fans wollen Fotos: Geduldig posiert Olivia Jones und ermahnt den kleinen Jamie dann freundlich. "Aber mit deinem Eis pass ein bisschen auf, nicht an meine Strumpfhose kommen".
17.26 Uhr: Autogramme schreiben extrem: Ob Handyhülle oder Eisbecher - Olivia Jones unterschreibt auf allem. "Achtung, wir kuscheln", warnt sie ihre Anhänger. Aber die haben gar kein Problem mit Körperkontakt und wollen ihrer Olivia ganz nah sein. Auch Assistant Sven Florijan hat schon eigene Fans und schwingt den Stift. Die Queen hat sich auf den Weg zur Ortsratssitzung gemacht.
17.15 Uhr: "Bei diesem Friseur bin ich früher gewesen", erinnert sich die Dragqueen wehmütig beim Gang durch Springes Gassen. "Ach, und das Wildschwein dort? Ist das ein Denkmal für mich", fragt sie Bürgermeister Jörg-Roger Hische. "Nein, noch kein Denkmal für Springes schrillste Persönlichkeit. Kann aber vielleicht noch kommen", lautet seine Antwort.
16.47 Uhr: Olivia hat das Museum verlassen und ist nun auf dem Weg zur Springer Tafel. Ein Pulk von Fans folgt ihr auf Schritt und Tritt. Genau wie ihr Assistent Sven Florijan (32). Die beiden verbindet eine enge Freundschaft. Olivia hat Sven vor einigen Wochen auch auf Mallorca besucht. Dort verbrachte der füllige Pinkschopf Flitterwochen mit frisch Angetrautem, "seinen Sebi".
16.35 Uhr: "Ist die Marke zum Lecken oder zum Kleben?", fragt Olivia Jones. Ihre Heimatstadt zieht alle Register und hat ihr eine Citipost-Briefmarke gewidmet. Doch die Marke gefällt ihr gut, dass sie einem guten Zweck dient, noch besser. Ein Teil des Erlöses soll in die Springer Tafel fließen. Die Organisation versorgt Bedürftige Bürger mit Lebensmitteln. Außerdem soll die Marke als ein Zeichen gegen Diskriminierung und für Toleranz in die Welt verschickt werden. Vielleicht auch in den Kreml?
16.19 Uhr: Den vielleicht wichtigsten Fototermin des Tages hat die Dragqueen schon hinter sich gebracht: Im historisch eingerichteten Klassenzimmer im Museum entsteht das Foto für die Ahnengalerie der Stadt. Diese Ehre wollen die Springer auf jeden Fall - ob Ehrenbürgerin oder nicht.
16.05 Uhr: Olivia-Jones-Fans pilgern durch die Springer Innenstadt auf der Suche nach der Dragqueen, die inzwischen in Hamburg lebt. Nicht jeder von den angereisten Anhängern weiß, wo sie die mehr als zwei Meter große Künstlerin in dem verwinkelten Fachwerkstädtchen entdecken soll. Auf der Reeperbahn, wo Olivia eine Kneipe betreibt, wäre das sicher nicht passiert.
16.00 Uhr: Olivia ist im Museum auf dem Burghof angekommen - und wird von ihren Springern liebevoll begrüßt. Auf einem von einer Bürgerin gewebten roten Teppich geht es ins Museum. Springes Stadtmaskottchen Nachtwächter Heinrich und der Süntelgeist aus Bad Münder empfangen die Dragqueen herzlich: Es gibt eine riesige Torte in Regenbogen-Farben. "Eine schwule Torte? Hab ich ja noch nie gegessen", sagt Olivia.
Andreas Zimmer, Annegret Brinkmann-Thies, Tobias Lehmann, Esther Kathmann
HAZ