Arbeit an Erinnerungskultur geht weiter
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/X5ANFPTTEIUKPUPVQWYLJ2FNGY.jpg)
Stellen den neuen Geschichtsband vor: Die Autoren Max Steinborn (sitzend von links), Heinrich Frank und Otte Hemme gemeinsam mit anderen Akteuren.
© Quelle: Gemeinde Wedemark/Ewald Nagel
Wedemark. Ende Januar 2019 soll das Geschichtsprojekt enden – nicht aber das Thema. Der Erinnerungskultur zu den Jahren 1930 bis 1950 in der Wedemark widmen Laien-Geschichtsforscher, Schüler und Historiker über vier Jahre schon ihre Arbeit. Sechs Geschichtsbände wurden veröffentlicht, drei große Symposien entfalteten historisch bedeutsame Schwerpunktthemen aus lokalen Recherchen heraus. Und immer noch brummt es weiter von Aktivitäten in dem Langzeitprojekt, das weit über die Gemeinde hinaus wirkt.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/R53MDVF5EAESIZK5K3JXRQHEIQ.jpg)
Im Gemeinderat gibt Franz Rainer Enste einen Ausblick auf noch ausstehende Vorhaben zur Erinnerungskultur bis 2019.
© Quelle: Ursula Kallenbach
Als Meilenstein und „unglaublich lesenswert“ bezeichnet der Projektkoordinator Franz Rainer Enste den jetzt erschienenen Sonderband „Leben in einem Norddeutschen Dorf von 1930 bis 1950" (siehe Kasten). Dazu hat der Elzer Autor Otto Hemme eine öffentliche Gästeführung mit dem Titel „Elze im Zweiten Weltkrieg" ausgearbeitet und wegen großer Nachfrage in diesen Tagen bereits zum zweiten Mal angeboten. Mit dem Buch wurde noch etwas erreicht, wie Enste berichtet: „Ab diesem Wintersemester gibt es an der Uni Hannover einen Studiengang, wie solche geschichtlichen Dokumentationen erarbeitet werden“.
Bürgermeister Helge Zychlinski sieht die Möglichkeit, den Elzer Buchband als Grundlage für weitere Geschichtsaufarbeitungsprojekte einzusetzen. Die Authentizität der aufgeschriebenen Geschichte erlaube es, das Werk an Schulen und Universitäten als Unterrichtgrundlage zu nutzen. Die weiterführenden Schulen sollen eine ausreichende Zahl an Arbeitsexemplaren für den Unterricht erhalten.
Schüler arbeiten an nächstem Beitrag
„Das Engagement ist beeindruckend, eine sensationelle Leistung“, bescheinigt Enste auch den am Geschichtsprojekt immer neu beteiligten Gymnasiasten. Am Gymnasium Mellendorf arbeitet derzeit eine Gruppe von Schülern an dem nächsten Beitrag zur Fortführung der Geschichtsreihe. Sie untersuchen, wie im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg insbesondere katholische Flüchtlinge vor allem aus dem schlesischen Raum in der – evangelischen - Wedemark aufgenommen wurden. Auf dem geplanten Symposium im Januar 2019 wollen sie ihre Ergebnisse präsentieren.
Mit Hochdruck werde daran gearbeitet, bis dahin noch mehrere Publikationen ins Werk zu setzen, berichtete der Koordinator jüngst den Ratspolitikern. So hofft Enste, noch vor Weihnachten ein Buch mit Feldpostbriefen vorstellen zu können, das in Zusammenarbeit mit dem Historischen Arbeitskreis Wedemark entsteht. Bis zum Jahresende solle auch die Darstellung des Projekts Erinnerungskultur auf der Internetseite der Gemeinde Wedemark aktualisiert und überarbeitet sein.
Zusammenarbeit mit Gedenkstätte Ahlem
In Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Ahlem werde außerdem ein Band vorbereitet über die Rückführung ehemaliger Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter nach dem Kriegsende 1945. Gemeinsam mit dem Wedemärker Fotografen Manfred Zimmermann soll eine Gedenktafel gestaltet werden. Bei dem letzten Symposium im Januar schließlich soll eine Sammlung kleinerer, bisher nicht veröffentlichter Beiträge vorgestellt werden.
Es blieben aber auch Fragen offen, verdeutlicht der Koordinator. So ist das Thema Homosexualität in den betrachteten Jahrzehnten für die Wedemark unerforscht, ebenso die Frage des demokratischen Neubeginns nach dem Kriege.
„Ende Januar werden wir das Wesentliche erreicht haben“, sagt Enste. Zugleich mahnt er an, dass es kein Ausruhen gebe. „Die Werte, die wir voraussetzen, sind immer wieder gefährdet und immer wieder anders. Auch jungen Menschen das zu sagen, ist aller Mühen wert.“ Das Projektende werde nicht das Ende des Themas sein, betont auch Bürgermeister Helge Zychlinski. „Wir werden uns in den nächsten Jahren immer wieder damit beschäftigen.“ Die Gemeinde wolle diese Erinnerungskultur auch pflegen durch Veranstaltungen für geschichts- und kulturbewusste Menschen und alle Europainteressierten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/C3WUDAAYXLKGSTQ2RZJU7YB7NY.jpg)
Otto Hemme (rechts) ist Heimatforscher, Autor und Gästeführer durch Elze in einer Person.
© Quelle: Ursula Kallenbach
Geschichtsband: Diktatur beeinflusst das tägliche Leben im Dorf
Drei Autoren haben sich für den Geschichtsband "Leben in einem Norddeutschen Dorf von 1930 bis 1950" zusammengefunden. Beschrieben wird Elze im Zweiten Weltkrieg in originalen historischen Dokumenten, Fotos und Belegen. Das Buch ist ein Sonderband zur Geschichtsreihe der Gemeinde Wedemark. Die Verfasser – Otto Hemme, Max Steinborn und Heinrich Frank – sind keine gelernten Historiker; sie schöpften aus ungezählten privaten Quellen und Berichten aus der Kriegszeit.
Der Elzer Otto Hemme betätigt sich seit Jahren als Ortschronist. Sein Fundus besonders zu den infrage stehenden Jahren ist beinahe unerschöpflich: Sein Großvater war zu NS-Zeiten Bürgermeister im Ort und sammelte viele Fotos, Belege und Unterlagen aus dieser Zeit. Anders als sonst praktiziert, wurden die Dokumente bei Kriegsende nicht verbrannt. Der Hemme-Altvordere lagerte sie stattdessen zu Hause ein. Aufgrund der umfangreichen Belege fühlte sich Hemme zur Veröffentlichung auch verpflichtet.
Die Dokumente zeigten überdeutlich, wie direkt die Diktatur die Geschicke des täglichen Lebens bis in die kleinsten Ortschaften beeinflusste, betont Heinrich Frank. Der ehemalige Lehrer am Gymnasium Mellendorf Wedemark unterstützte die Arbeiten an dem Werk ebenfalls mit viel Herzblut und verweist auf die Authentizität der über 200 originalen historischen Dokumente und Fotos darin – ein Paradebeispiel auch für Schüler, sich kritisch zu informieren und sich nur auf nachprüfbare Quellen zu verlassen.
Max Steinborn, dritter Autor und Zeitzeuge, musste selbst als 17-Jähriger in den Weltkrieg ziehen und diente als Soldat bis zur Kapitulation. Er trug mit seinen umfangreichen persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen zu dem Buch bei. Darüber hinaus kann er Dokumente in alter Sütterlinschrift lesen und machte so weitere Quellen für das Projekt nutzbar.
Info: Das Buch richtet sich nicht nur an Historiker, sondern ist auch für geschichtlich interessierte Laien geschrieben. Es umfasst 271 Seiten und ist für 24,90 Euro im Buchhandel erhältlich.
Von Ursula Kallenbach