Wedemärker lauschen Märchen Open-Air bei Latte Macchiato
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Märchenerzählerin Claudia Becker zieht auch erwachsene Zuhörer und Zuhörerinnen mit ihren Geschichten in den Bann.
© Quelle: Gabriele Gerner
Bissendorf. Die Regentrude war eingeschlafen. Deshalb fiel wochenlang kein Regen auf die Erde. Die Sonne brannte unbarmherzig aufs Land. Die Äcker verdorrten, Flüsse trockneten aus, das Vieh verdurstete. Gebannt lauschten die Zuhörerinnen und Zuhörer der Märchenerzählerin Claudia Becker, die auf Einladung des Projekts „lesArt“ das Märchen von der „Regentrude“ von Theodor Storm auf dem Tattenhagenplatz vortrug – und hofften im Gegensatz zu den Figuren in der Geschichte, dass kein Regen einsetzt.
Sitzunterlagen und Decken schützen vor der Kälte
Schon lange vor Beginn der öffentlichen Lesung hatte sich ein gutes Dutzend Kulturfreunde vor dem Offenen Bücherschrank eingefunden. Mit Thermo-Sitzunterlagen und mitgebrachten Decken, um Beine und Hüften gehüllt, schützten sich die Zuhörenden vor der Kälte und genossen zur Einstimmung Latte Macchiato, Kaffee und Kuchen.
Die Speisen und Getränke der "Konditorin on tour" Annalena Dietrich, die sich mit ihrem Foodtruck vor dem Schuhhaus Barke platziert hatte, gehörten für die meisten Besucher zum literarischen Event dazu. Mit den süßen Eigenkreationen der Gailhofer Jungunternehmerin wurde die Open-Air-Märchenstunde nicht nur zu einem kulturellen, sondern auch zu einem gastronomischen Genuss.
Zuhörerin kommt aus Liebe zur Literatur
„Köstlich“, urteilte Rosie Meine aus Mellendorf über ihren Kuchen. Bereits zum dritten Mal besuchte sie zusammen mit ihrer Freundin Edda Franz ein Lese-Event am Tattenhagen. „Meine Liebe zur Literatur und zur Kunst überhaupt führt mich hierher“, sagte eine 69-jährige Bissendorferin auf der Bank daneben. „Toll, dass durch die Initiative unser schönes Dorf belebt wird – und das auch noch kostenlos“, meinte die 82-jährige Ursula Kamp.
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Edda Franz (links) und Rosie Meine sind häufig Gast bei den Vorträgen von „lesArt“ in Bissendorf – ein Kaffee und ein Stück Kuchen vom Foodtruck gehören immer dazu.
© Quelle: Gabriele Gerner
An jedem ersten und dritten Freitag im Monat lädt die Bissendorfer Initiative "lesArt", hervorgegangen aus dem Verein "Miteinander Wedemark", für 16 Uhr zum Lesekreis am Offenen Bücherschrank ein. Die Märchenerzählerin Claudia Becker hatten die Ehrenamtlichen zum zweiten Mal als Vortragende gewonnen.
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Die Zuhörerinnen und Zuhörer lauschen dem Märchen „Die Regentrude" von Theodor Storm, vorgetragen von Claudia Becker.
© Quelle: Gabriele Gerner
Stimmliche Vielfalt als größter Trumpf
Lebhaft und gestenreich nahm Becker die Zuhörer und Zuhörerinnen mit auf eine Reise durch vertrocknete Landschaften in sengender Hitze. Sie ließ Bauern, die um ihre Ernte fürchten, und Liebende, die nicht zusammenkommen dürfen, vor dem geistigen Auge der Zuhörer lebendig werden.
Mit geschicktem Spannungsaufbau, detailreichen Schilderungen und Worten aus alter Zeit zog die bunt gekleidete Erzählerin die um sie herum Sitzenden in ihren Bann. Doch der größte Trumpf war ihre stimmliche Vielfalt. Mal gab sie den burschikos-selbstgefälligen Großgrundbesitzer, mal die arme alte Bäuerin, die ihre Schulden nicht mehr zahlen kann, mal das junge Mädchen, das den Regen wie den Liebsten herbei sehnt.
Alte Geschichten helfen in Schwierigkeiten
Ihre Liebe zu Märchen hatte die Wedemärkerin vor einigen Jahren entdeckt. „Ich befand mich in einer schwierigen Lebenssituation. Da haben mir die alten, weisen Geschichten sehr geholfen“, sagt sie. Als sie von einem Gemeinschaftsprojekt des Opernhauses zusammen mit Hannover 96 hörte, bei dem Amateure zu Märchenerzählern geschult werden, wusste sie: „Das ist mein Ding.“ Nach ihrer Fortbildung beim Märchenerzählwerk trug sie regelmäßig Kindern in Grundschulen Märchen vor.
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Im Gegensatz zu den Figuren des Märchens „Die Regentrude", vorgetragen von Claudia Becker, wünscht sich das Publikum in Bissendorf keinen Regen.
© Quelle: Gabriele Gerner
Dass auch manche Erwachsene leidenschaftlich gern Märchen lauschen, erfuhr sie bei ihren Erzählungen im Therapiegarten und im Mehrgenerationenhaus in Mellendorf sowie im Leibniz-Theater in Hannover. Angst vor öffentlichen Auftritten hatte sie nicht, konnte sie doch auf einige Bühnenerfahrung bei einer Amateur-Theatergruppe zurückblicken.
Die eigentliche Arbeit beginnt Monate vorher
Die eigentliche Arbeit des Märchenerzählens, so Becker, beginne viele Monate vor dem Vortrag. „Die Märchen schreibe ich um, um einen Erzählpfad zu haben“, erklärt die 64-Jährige. Nebenstränge werden dabei mitunter gekappt, um die Geschichte in einem gewissen Zeitrahmen spannend zu erzählen. Dabei setze sie durchaus auch eigene Schwerpunkte. Dies sei ein langer, intensiver Prozess, in dem viel Liebe stecke. „Die besten Ideen dazu kommen mir beim Waldspaziergang oder am Strand“, sagt Becker.
„Großartig“, lobte Edda Franz Beckers Märchenerzählung. „Absolut charmant und mitreißend“, urteilte Karin Kossel aus Brelingen. Auch Kerstin Ost, eine der Organisatorinnen von „lesArt“, freute sich über das gelungene Event. „Wir finden es wichtig, dass überhaupt mal wieder etwas in Gemeinschaft passiert“, sagte sie. „Die Menschen sollten nicht nur allein zu Hause sitzen.“
Am Freitag, 18. Februar, stellt ab 16 Uhr die Buchhändlerin Marion Buchheit Bücher vor, die ihr besonders gut gefallen haben. Veranstaltungsort ist der Platz rund um den Offenen Bücherschrank am Tattenhagen, gegenüber von Schuhhaus Barke. Die Teilnahme ist kostenlos. Der Foodtruck sorgt für Kaffeespezialitäten, selbst gebackene Kuchen und Cup-Cakes.
Von Gabriele Gerner
HAZ