E-Paper
Tom Holland lässt die Siebzigerjahre aufleben

Die vielseitige Geschichte des Danny Sullivan: „The Crowded Room“ ist eine besondere Thrillerserie

Ziemlich beste Freunde: Danny Sullivan (Tom Holland) und Ariana (Sasha Lane) sorgen bald am New Yorker Rockefeller Center für Furore. Szene aus der Serie „The Crowded Room“, die am 9. Juni bei Apple TV+ startet.

Ziemlich beste Freunde: Danny Sullivan (Tom Holland) und Ariana (Sasha Lane) sorgen bald am New Yorker Rockefeller Center für Furore. Szene aus der Serie „The Crowded Room“, die am 9. Juni bei Apple TV+ startet.

„Danny, schieß auf ihn!“, schreit Ariana hysterisch, „schieß!“ Aber Danny, der gerade noch versichert hatte, er werde das tun, er könne das auch ganz locker, kein Problem, ist wie eingefroren, als sich „das Ziel“ zu ihm umwendet. Da reißt ihm Ariana die Waffe aus der Hand und feuert das ganze Magazin leer. All das passiert am helllichten Tag am New Yorker Rockefeller Center. Alle ducken sich, niemand wird ernsthaft verletzt, Ariana läuft weg, auch „das Ziel“ entkommt. Danny hebt die weggeworfene Waffe auf und schafft es irgendwie nach Hause. Wo er noch am Abend desselben Tages festgenommen wird.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Von Ariana (Sasha Lane) und dem israelischstämmigen Yitzhak (Lior Raz), von denen Danny im ersten Verhör erzählt hat, findet sich allerdings im Haus keine Spur. Und weil auch sonst einiges seltsam ist an den Auslassungen des blassen Jungen – er wohnt nicht bei Mutter und Stiefvater, sondern eben bei jenem Yitzhak im sogenannten Ghost House –, glaubt einer der Polizisten, das große Cop-Los gezogen zu haben. Endlich ein irrer Killer, ein echter Serienmörder! Er drängt die Unipsychologin Rya Goodwin, das Rätsel Danny für ihn zu lösen.

Akiva Goldsman auf den Spuren seines Oscargewinners

Akiva Goldsman, in dessen Werk als Autor für Film und Fernsehen sich Juwelen („Star Trek: Strange New Worlds“) wie Kiesel („Batman & Robin“) finden, kehrt mit dieser Geschichte zur psychologischen Abgrunderkundung zurück, die ihm 2002 mit „A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn“ einen Oscar einbrachte.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Mit Tom Holland, dem „Spider-Man“-Darsteller, hat er auch einen herausragenden Hauptdarsteller (und Mitproduzenten), der zehn Folgen lang mit schüchternen, verletzlichen Blicken unter der ihm ins Gesicht fallenden Haarwelle Sympathien beim Publikum sammelt und das ganze Gefühlsspektrum auslotet.

Und er hat mit Amanda Seyfried als Rya eine Gegenspielerin, die das schmale Kerlchen mit dem verunsicherten Lächeln bald nicht nur ergründen, sondern vor Ungemach bewahren will, die die Geschichte des ewigen Verlierers Danny nicht fortgesetzt sehen möchte. „The Crowded Room“, die heute (9. Juni) bei Apple TV+ startet, handelt auch von der verschüttgegangenen Nächstenliebe. Was sich später auch auf Ryas fragiles Familienleben auswirkt.

Danny Sullivan – ein Junge auf der Verliererstraße

Rya glaubt an den Kern Wahrheit dieser Lebensgeschichte, die von Goldman und seinem Regieteam in Flashbacks erzählt wird: Vater verlässt die Familie früh, Mutter (Emmy Rossum) muss doppeljobben, hat nicht viel Zeit, aber die Stimmung ist prächtig – bis Marlin (Will Chase), der Mann, der nicht von ungefähr einen Raubfischnamen trägt, in ihr Leben tritt und sie emotional absorbiert, bis sie am Ende der zehn Folgen (alle wurden zur Sichtung überlassen) einen nicht wieder gutzumachenden Akt der Illoyalität an Danny begeht.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

In der Schule hat der Klassenzimmer-Rabiato Bill Danny schon seit der ersten Klasse auf dem Kieker. Für die meisten Mitschülerinnen und Mitschüler ist er Luft, zu ihm halten nur der gut gelaunte Mike (Sam Vartholomeos) und der leicht abgedrehte Johnny (Levon Hawke) – zwei lustige Typen, die ihn ab und zu mal grinsen lassen, ihm Ärger vom Leib halten und für ihn eine Romanze mit der hübschen Annalena (die britische Schauspielerin Emma Laird aus Taylor Sheridans „Mayor of Kingstown“) einfädeln.

Die beiden sind aber gerade nicht zur Stelle, als Bill und seine Gang Danny auf der Straße verprügeln. Erster Auftritt von Yitzhak – ein bulliger Typ, der das Szenario mitbekommen hat, es mit seinen Hammerfäusten auflöst und Danny bei sich Unterschlupf gewährt. Als Marlin auftaucht, wird ihm nahegelegt, abzuschwirren.

Beim Verhör schlagen Dannys Berichte seltsame Haken

Ab und zu erzählt Danny auch von seinem geliebten Zwillingsbruder Adam: „Er hatte den Rücken, den ich nie hatte.“ Darüber, was mit ihm passiert ist, wie er verschwand oder gestorben ist, schweigt Danny sich aber aus. Obwohl er detailreich und gefühlvoll berichtet, schlagen seine Erzählungen merkwürdige Haken, haben Logiklöcher. Antworten auf Ryas Nachfragen erscheinen zuweilen nur ihm selbst plausibel.

Zuschauende wundern sich, dass in den Rückblenden im Kinderzimmer der kleinen Sullivans einmal ein Stockbett, dann ein einzelnes Bett zu sehen ist. Und immer, bis auf den abschließenden Prozess, wo er im Anzug aussieht, als hätte AC/DCs Angus Young nur noch lange Hosen im Schrank gehabt, trägt er auch dieselbe beigebraune Jacke. Irgendetwas stimmt hier nicht.

Ein schutzloser Held mit stets präsenter Kavallerie

Und dann kommt Rya zu dem Schluss, dass immer, wenn Danny in irgendeiner Weise Hilfe benötigt, verlässlich jemand in sein Leben tritt, der diese Hilfe leisten kann. Und der dann, wenn Danny diese nicht mehr braucht, wieder verschwindet: Auch ein Engländer namens Jack (Jason Isaacs) steht ihm zur Seite, nachdem ihn Yitzhak auf die Suche nach seinem wirklichen Vater nach London geschickt hat. Ein Leben mit steter Kavallerie­begleitung? Nein, Rya glaubt nicht mehr an einen Serienmörder.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Zuschauerinnen und Zuschauer auch nicht mehr, die vor allem das außergewöhnlich gute Ensemble in den ersten fünf Folgen bei der Stange gehalten hat. Und die anfangs nicht wissen, was für ein Thrill wohl aus einer Schießerei dilettantischer Schützen ohne ernsthaft Verletzte entstehen könnte. Was soll das? Da ist doch keine Fallhöhe, da geht es doch maximal um ein paar Jahre Haft, nicht aber um lebenslang.

Der Twist der Geschichte schwant dem Publikum früh

Ein wenig in die Länge gezogen findet man das Ganze zunächst. Und das Hauptmysterium wird von Goldsman nicht wirklich beschwiegen. Auch wenn man nicht gegoogelt hat, worum es in jenem Buch „Die Leben des Billy Milligan“ von Daniel Keyes geht (Tipp: Do not google!), und auch den äußerst „geschwätzigen“ Trailer nicht gesichtet hat, schwant einem sogar früher als der Verhörspezialistin Rya, wo Dannys Problem liegt.

Danny ist in einem Abgrund, jemand hat ihn dorthinein gestoßen. Dieser jemand könnte davonkommen und Danny nicht. So ist die Serie, spätestens als wir den „crowded room“ ihres Titels betreten, eben doch ein Thriller.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Den Machern geht es nicht um Horror, sondern um Empathie

Und man könnte monieren, dass das alles so peu à peu aufgelöst wird, so wenig zuspitzend. Warum zehn Episoden, wenn nach fünf doch eigentlich alles klar ist? M. Night Shyamalan hat dieselbe Story adaptiert und in nur 118 Minuten einen vollendeten Albtraum inszeniert.

Nun, weil es den Machern nicht um Horror geht. Sondern um Empathie, darum, sich Menschen, die am Boden liegen, zuzuwenden, sie aufzurichten, statt sie ein weiteres Mal zu schlagen und zu treten. Was in diesem Fall aber nur dann möglich ist, wenn Danny die Wahrheit über sich annimmt und nicht an ihr zerbricht.

Das Stream-Team

Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Figurvorbild Billy Mulligan ist weit von Danny Sullivan entfernt

Um das Herz der Zuschauenden erobern zu können, wurde die Geschichte weit von der des real existierenden William Stanley Milligan entfernt, der 2014 in Ohio starb, der ein Vergewaltiger war und auch unter Mordverdacht stand. Goldsman hat es sich da leicht gemacht und leistet sich mit seinem Danny einen Homo sympathicus als Helden und liefert auch ein wenig Kitsch am Ende. Man hätte den Bezug zu Keyes’ Buch bleiben lassen sollen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Viel gute Popmusik gab’s im Übrigen zu hören – angesichts der vielen einsamen Leute hier fehlte „Eleanor Rigby“ von den Beatles: „Ah, look at all the lonely people …“ Aber es ist „Let It Be“ von den Beatles, mit dem der Zuschauer und die Zuschauerin aus dieser Serie entlassen werden. Ein „Lass es zu“ am Ende statt etwa einem „Let It Bleed“ (lass es bluten) von den Rolling Stones, das eher zu Shyamalans Film passen würde.

Alles wird gut.

„The Crowded Room“, Serie, zehn Episoden, von Akiva Goldsman, mit Tom Holland, Amanda Seyfried, Sasha Lane, Emmy Rossum, Emma Laird, Lior Raz, Will Chase (ab 9. Juni bei Apple TV+)

Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken