Damenopfer in Washington: die Watergate-Serie „Gaslit“
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Nimmt kein Blatt vor den Mund: Martha Mitchell (Julia Roberts), die Frau des Generalstaatsanwalt John Mitchell. Szene aus der Serie „Gaslit“.
© Quelle: Starzplay
Zu Beginn der Lektüre noch kurz ein Wort zu Watergate. Water-was? Tja, liebe Spätgeborenen, Geschichte geht ganz schnell verschütt. Watergate war ein Gebäude in Washington, und am Ende Richard Nixons Waterloo. Die aufgeflogene Verwanzungsaktion im Hauptquartier der Demokraten – am 17. Juni 1972 – führte 1974 zum Rücktritt des republikanischen Präsidenten, der glaubte, er dürfe alles. Seither enden viele aufgeflogene politische Großmissbräuche und sonstige Celebritykatastrophen auf „-gate“.
Zum Politdebakel von damals erscheint heute (24. April) die Serie „Gaslit“. Die Macher um Robbie Pickering („Mr. Robot“) schnappen sich Martha Mitchell, eine von der Zeit so ziemlich verschluckte Hauptfigur, und bauen den Skandal von damals um sie herum neu auf – jenes Musterbeispiel politischer Verkommenheit in den USA, die Anfänge dessen, was heute die Mehrheit der Republikanischen Partei ausmacht.
Für Julia Roberts ist es eine Rolle der Erin-Brockovich-Klasse
Julia Roberts spielt Martha, die Gattin von Nixons loyalem Generalstaatsanwalt John Mitchell. Und es ist für sie eine Rolle der „Erin Brockovich“-Klasse. In der TV-Show „Tell The Truth“ wird Martha Mitchell im Januar 1972 als „Mouth of the South“ euphorisch begrüßt. „Ist der Gatte tatsächlich der neue Kampagnenchef Nixons?“, will der Showmaster wissen. „Aber sicher“, bejaht Plaudertasche Martha und der „Mund des Südens“ (sie stammt aus Arkansas) verbreitet dabei das strahlendste Julia-Roberts-Lächeln. Es sind bewegte Zeiten. Immer noch tobt der Vietnamkrieg (und John Lennons und Yoko Onos „Give Peace a Chance“ ist dabei doch schon fast wieder ein Oldie).
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Zwischen zwei Loyalitäten: John Mitchell (Sean Penn) liebt seine Frau Martha (Julia Roberts). Mehr aber noch liebt er seinen Präsidenten.
© Quelle: Starzplay
An Sean Penn hat die Abteilung Maske ganze Arbeit geleistet. Mit hoher Stirnglatze und teigiger Altmänner-Kinn-Hals-Partie erkennt man ihn in der Rolle des John Mitchell nicht sofort, wenn er an seiner Pfeife zieht. „Send the Fucker in“, sagt der Generalstaatsanwalt zur Sekretärin, wenn ihn wer sprechen will. Der junge John Dean kommt ins gediegene Tabak-und-Ledersessel-Ambiente, um in die Verschwörung gegen die Demokraten hineingezogen zu werden. Alles stimmig, nur wenn man Penn erst mal als John Mitchell erkannt hat, kriegt man den Penn-Link nicht mehr aus dem Kopf.
Martha Mitchell war ein Popstar des Washingtoner Politbetriebs
Martha Mitchell war in jener Zeit eine Art Popstar im Politbetrieb. Sie kam auf die Titelseite einer Story des „Time“-Magazins über Washingtons einflussreichste Ladys. 76 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner wussten einer Umfrage aus dem Herbst 1970 zufolge, wer sie war. Die meist gut gelaunte Blondine rief abends mit Vorliebe Journalistinnen und Journalisten an, um ihnen Dinge aus Leben und Werk ihres Ehemanns mitzuteilen. Nach ihr ist zudem der Martha-Mitchell-Effekt benannt – wenn ein Psychiater wahre Behauptungen eines Patienten absichtsvoll als Wahn klassifiziert. „Gaslit“ heißt „in den Wahnsinn getrieben“. Das klingt düster – und ist es auch.
Denn zwar äußerte Martha Mitchell sich oft genug republikanisch-konservativ, sprach sich etwa dafür aus, den Supreme Court abzuschaffen, nannte Nixon „sexy“ (was der Mann nun definitiv nicht war). Aber sie zeigte auch Persönlichkeit in einer Zeit, in der Politikerfrauen meist als modische Männeranhängsel wahrgenommen wurden. Und so wurde sie schließlich aus Empörung zur Watergate-Whistleblowerin, die schon früh (und vor den Journalisten Woodward und Bernstein) in der Wiederwahlkampagne Nixons 1972 von „schmutzigen Tricks“ sprach.
Die forsche Martha wurde aus dem Verkehr gezogen
Unstimmigkeiten über die Geschichte vom vermeintlichen Einbruch ins Demokraten-Hauptquartier hatten Marthas Unmut geweckt. Ein Telefonat mit der Reporterin Helen Thomas wurde schließlich mittendrin vom Geheimdienst beendet. Danach verschwand Mitchell für eine Woche, wurde später von den Beratern des Präsidenten für nicht zurechnungsfähig erklärt. Sie habe ein Alkoholproblem, wurde verlautbart. Der Popstar verglühte.
Die Serie ist auch die Geschichte einer konservativen Ehe, in der eine konservative Frau sich gegen das Patriarchat auflehnt und ihr Mann sich falsch für die Liebe zu seinem Präsidenten entscheidet. Eine fast noch interessantere Figur ist G. Gordon Liddy, der FBI-Mann, der zu Beginn der Serie von „Lektionen der Finsternis“ spricht und davon, dass „Geschichte von den Soldaten geschrieben wird, die das Banner des Königs tragen“. Shea Whigham spielt den schnauzbärtigen Bannerträger als einen Mann, den die Nibelungentreue und die damit verbundene Schandtat zunehmend um den Verstand bringen.
Die nächste Watergate-Serie wartet schon
Liddy ist die Figur, die im Fokus der nächsten Nixon-Serie steht. In HBOs „White House Plumbers“ (noch ohne Starttermin) wird Justin Theroux den unglücklichen Königsmörder Liddy spielen. „American Horror Story“-Star John Carroll Lynch tritt als John Mitchell auf, ohne dass die Maske stundenrund an einer Unkenntlichmachung arbeiten müsste wie bei Penn.
Und Martha? Von ihr ist in der Besetzungsliste von „White House Plumbers“ keine Spur.
Drei Pflichtprogramme gab‘s zuvor zu Watergate
1. „Die Unbestechlichen“ (1975): Kaum war Präsident Nixon über die Watergate-Affäre gestürzt, drehte Alan J. Pakula auch schon seinen Politthriller über die Aufdeckung der von den Republikanern organisierten Bespitzelung der politischen Konkurrenz. Wie ein Lehrbuch des investigativen Journalismus wirkt der Film mit Robert Redford und Dustin Hoffman, den ein endloses Scheppern von Schreibmaschinentasten beendet. Was sich lohnt ist die DVD – mit Audiokommentar von Pakula und Redford. Auf Disc zwei: alles über die historischen Hintergründe und die Entstehung des Films.
2. „Frost/Nixon“ (2008): Ron Howard erzählt die Geschichte des großen Fernsehinterviews von 1977. Der britische Talkshowentertainer David Frost trifft den seit Watergate reuelosen Ex-Präsidenten Nixon zu Gesprächen, und die verlaufen so spannend wie Runden einer Schwergewichtsweltmeisterschaft. Frank Langella ist als Nixon ein knorriger Charmebolzen, Michael Sheens Frost wird von Autorität und Charisma überwältigt. Enorm spannend. Frosts bis zuletzt drohender Ruin – er finanziert das Millionenprojekt selbst, und keiner will’s ihm so recht abkaufen – macht’s noch intensiver.
3. „Die Verlegerin“ (Originaltitel „The Post“, 2017) ist die Geschichte der „Washington Post“-Verlegerin Kay Graham (Meryl Streep), die nach dem Tode ihres Mannes in einer reinen Männerwelt die Geschäfte führt. Für Regisseur Steven Spielberg war diese Story aus der Nixon-Zeit ein Statement über die Trump-Ära und ihren Vernichtungsfeldzug gegen alte Werte und alte Bündnisse. Zu einer Fackel für den von Trump in den Schmutz gezogenen Journalismus. Die Schlussszene macht den Film dann quasi zum Prequel von „Die Unbestechlichen“.
„Gaslit“, Miniserie, acht Episoden, von Robbie Pickering, mit Julia Roberts, Sean Penn, Shea Whigham, Dan Stevens, Darby Camp (ab 24. April bei Starzplay)