Albtraum im Voralpenland: In der Serie „Kohlrabenschwarz“ werden Sagen lebendig
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Wer schleppt da so spät durch Nacht und Wald? Mit dem Serientitel „Kohlrabenschwarz“ sind sowohl der Humor als auch die Licht- und Sichtverhältnisse in der neuen Paramount+-Serie gemeint.
© Quelle: Paramount+
Der unheimliche Mann in dem unterirdischen Gewölbe, in das Stefan Schwab (Michael Kessler) mitten im nächtlichen Wald gefallen ist, heißt ganz passend Erdmann. Er sitzt – diesmal wird der Spoileralarm früh ausgerufen! – inmitten Hunderter Kerzen und erzählt dem entgeisterten Psychologen davon, dass in Tagen wie diesen „Geschichten aus dem Boden steigen“, dass sich die Figuren alter Sagen geeignete menschliche Körper suchen, um Unheil zu stiften, dass er, Schwab, ein gewisses „Märchenbuch“ besser vom ersten bis zum letzten Satz durchlesen sollte, weil sonst „jede einzelne Geschichte demnächst eine breite Schneise durch Ihre Welt schlagen könnte“.
Das Böse bedroht nicht nur Oberbayern
Und dass Erdmann nicht garantieren könne, „dass das ‚Erwachen‘ auf die Region Oberbayern beschränkt bleibt“. Dann wird Schwab durch den Pfiff von Erdmanns magischer Pfeife wieder an die Oberfläche katapultiert. Wo Mord, Totschlag und Wahnsinn der Serie „Kohlrabenschwarz“ weitergehen.
Ein bisschen was wusste Schwab, Held der paranormalen Krimiserie, auch schon vorher, konnte sich aber keinen rechten Reim darauf machen. Fünf nicht ganz leicht erziehbare Kinder waren in Rosenheim und Miesbach verschwunden. Und alle Überwachungskameras zeigten haargenau dasselbe Störungsmuster, das einen Blick auf den Entführer und seinen weißen Lieferwagen verhinderte. Fast so ungewöhnlich wie die Tatsache, dass sich Paramount+ mit dieser Serie auf Bayerisches verlegt.
Der Pfarrer weiß: „Es ist der Kraxelmann! Der frisst Kinder!“
Der ehemalige Polizeipsychologe Schwab rätselt: Ist hier ein Moralist unterwegs, eine Art Knecht Ruprecht oder Krampus – nur eben außerhalb der Adventszeit? „Es ist der Kraxelmann! Der frisst Kinder“, weiß Pfarrer Franz (Peter Ketnath), der Neue von Schwabs Ex Susanne (Bettina Zimmermann), der sich auch sonst mit regionalen Märchen- und Sagengestalten bestens auskennt.
Hinter dem Kraxelmann steckt dann ein Ortsansässiger – der ist aber nicht etwa Psychopath, nein, ein Wesen aus der oberbayerischen Twilight Zone hat sich seines Körpers bemächtigt.
Das Quartett bekommt es mit weiteren „sagenhaften“ Fällen zu tun
Der Psychologe, die Ex, der Pfarrer und die junge, Übernatürlichem zunächst skeptisch gegenüberstehende Polizistin Anna Leitner (Bettina Lamprecht) werden ein Team, das bald mit weiteren „sagenhaften“ Fällen konfrontiert wird, die dann auch irgendwie zusammenhängen.
Die Verfilmung der Audible-Hörspielhits von Tommy Krappweis (Erfinder von „Bernd das Brot“) und Christian von Aster erinnert entfernt an die US-Serie „Grimm“, in der sich ein Nachfahr der deutschen Märchensammler mit dem Gelichter aus deren Geschichtensammlung herumschlagen musste. „Der Pass“, die deutsch-österreichische Version von „Die Brücke“, war auch eine Serie, deren Morde mit Sagen verlinkt waren. Nur – räusper – supergrimmig.
Vom Kraxelmann, dem bluadigen Dammerl (blutiger Thomas), der vor seinen Morden den Gummistiefel durch die Tür des Opfers streckt oder von der strafenden Percht, einer hexenähnlichen Gruselfrau, die sich aus Pfützen erhebt wie die rachsüchtige Samara aus den „Ring“-Filmen, hat außerhalb des bayerischen Voralpenlands wahrscheinlich noch nie ein Zuschauer oder eine Zuschauerin gehört. Schon im Frankenland muss man passen. Doch zählen sie tatsächlich zum Grusel- und Kinderschreck-Panoptikum der Region.
Immer findet sich jemand, der einen Pakt mit dem Teufel schließt
Eine Schlüsselfigur des Schreckens scheint ein Schmied zu sein, der einst einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hat und einen magischen Türknauf mit einer perfiden Fähigkeit schmiedete. Hinter dem Ganzen steckt ein großer, übler, menschheitsgefährdender Plan.
Wie auch die vier Helden nicht zufällig zu Gefährten werden, sondern in Wahrheit auserwählte Vertreter des Guten sind, wovon sie zunächst nichts wissen. Schwab beispielsweise ist laut Herrn Erdmann ein ‚Hans‘ – ein Loser mit Happy-End-Potenzial. Richtig, wie der Typ mit dem Goldklumpen, der sich in einem fort übers Ohr hauen ließ.
Finster ist’s, und die Tricktechnik ist nicht State of the art
Nomen est omen in dieser Serie. „Kohlrabenschwarz“ ist stockfinster, man sieht oft wenig bis gar nichts. Nachts passiert das meiste hier, in Höhlen, in entweihten Kapellen und an anderen dunklen Orten. Da sind Schemen und Schatten zu sehen, illuminiert von so spärlichen Lichtquellen, dass einem vor lauter Zappenduster nach einer halben Stunde die Augen brummen. „Mehr Licht!“ möchte man mit Goethe sagen.
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In der Provinz kann das Paranormale gut gedeihen
Denn zum „cheap“ der Optik kommt der nicht zu unterschätzende „boarische“ Charme. Die Dialoge haben Witz, das Mit- und Gegeneinander der Figuren erinnert zuweilen an die Kinoabenteuer von Rita Falks niederbayerischem Polizeihauptmeister Franz Eberhofer. In der Provinz, so ist das auch hier, kann das Verbrechen gut gedeihen, weil man es anderswo vermutet und auch mit anderem beschäftigt ist.
Gilt auch für Monster im Land der Bayern, auf dessen Seite der offiziellen Freistaatshymne gemäß ja Gott höchstselbst ist. Der Psychologe und der Pfarrer werden erst mal weidlich als „Don Camillo und Sigmund Freud“ belächelt.
Freilich hat der Volksmund recht: Wer in der letzten Episode lacht, lacht am besten.
„Kohlrabenschwarz“, erste Staffel, sechs Episoden, von Tommy Krappweis. Regie: Erik Haffner. Mit Michael Kessler, Bettina Lamprecht, Jürgen Tonkel, Bettina Zimmermann, Peter Ketnath, Axel Milberg (ab 8. Juni bei Paramount+)