Abou-Chaker pöbelt gegen Journalisten – Kabarettistin Baydar stimmt zu
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Arafat Abou-Chaker vor Gericht. Ihm wird versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung und Untreue vorgeworfen.
© Quelle: imago images/Olaf Wagner
Berlin. Es war das Gesprächsthema des Abends in den sozialen Netzwerken – und nach wenigen Minuten war der Zuhörerraum der App Clubhouse bereits voll: 5000 Menschen lauschten am Mittwoch Clanchef Arafat Abou-Chaker und seinem mehr als vierstündigen Talk, der sich vor allem gegen eine Berufsgruppe richtete: Journalisten.
Komplett nachzuhören ist die Konferenz nicht, das verbieten die AGB der Audio-App. Einige Nutzer haben jedoch Ausschnitte auf Youtube und Twitter hochgeladen. Hier ist zu hören, wie Abou-Chaker und seine Mitdiskutanten zahlreiche Verschwörungserzählungen über Medienvertreter verbreiten und ihnen Lügen unterstellen.
Zeitweise werden auch Journalisten selbst in den Talk geholt, unter anderem der „Bild“-Mitarbeiter Peter Rossberg, der regelmäßig über das Clanmilieu berichtet. Ihn bezeichnet Abou-Chaker als „voreingenommen“, weil er mit dessen Erzfeind Bushido befreundet sei.
Wie ein bizarres Theaterstück
Auch der Journalist Claas Meyer Heuer von „Spiegel TV“ schaltet sich in den Talk ein. Ihm werfen Abou-Chaker und andere Teilnehmer des Gesprächs Lügen vor. Er wolle nicht als Clanchef bezeichnet werden, macht Abou-Chaker mehrmals deutlich, ehe er zur nächsten Attacke auf die Journalisten ansetzt.
Mit der Zeit wird der Talk immer bizarrer. „Kann bitte wer aus diesem #Clubhouse-Raum mit Abou-Chaker ein Theaterstück machen?“, schlägt der Medienjournalist Stefan Niggemeier auf Twitter vor. „Entweder ein toll anstrengendes Pinter-Kommunikations-Drama. Oder so eine Tür-auf-Tür-zu-Komödie, wo dauernd die Journalisten raus- und wieder reingehen, um sich dann durchbeleidigen zu lassen.“
Mit im Raum ist derweil auch die Rechtsanwältin Arabella Pooth, die Abou-Chaker und seinen Unterstützern immer wieder zustimmt. Und auch die Kabarettistin Idil Baydar grätscht immer wieder in das Gespräch rein, um den Clanboss zu unterstützen. Und dann kommt es zum Eklat.
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Judenvergleich sorgt für Eklat
An einer Stelle kritisiert die Talkrunde, dass immer wieder nicht kriminelle Angehörige der Clans stigmatisiert würden. Selbst auf der Beerdigung von Abou-Chakers Mutter seien Filmteams aufgetaucht, kritisieren die Diskutanten. „Das erinnert mich ganz stark an, wie heißt das noch mal, Zweite-Weltkrieg-Geschichte, hier, wo sie auf die Juden geritten sind“, findet ein Gesprächsteilnehmer. Kabarettistin Baydar stimmt ihm umgehend zu: „Das ist die gleiche Story!“, findet sie.
Ein Umstand, der in den sozialen Netzwerken umgehend für Diskussionen sorgt: Stephan Dörner weist auf Twitter auf die ungeheuerliche Aussage hin, Baydar reagiert kurz darauf im Clubhouse-Talk: „So etwas habe ich nie gesagt. Das ist unfassbar.“ Auf Twitter droht die Kabarettistin mit einer Unterlassungsklage. Inzwischen gibt es jedoch einen Audiomitschnitt, der Baydars Aussage belegt.
Baydar entschuldigt sich auf Twitter
Später entschuldigt sich die Kabarettistin in einem inzwischen gelöschten Tweet. „In der aufgeregten Debatte habe ich Dinge gesagt, die so nicht stehen bleiben dürfen“, heißt es darin. „Natürlich ist die Berichterstattung über Clans nicht vergleichbar mit dem Antisemitismus der Nazi-Zeit. Es tut mir sehr leid, wenn es im Eifer des Gefechts so klang.“
Am Donnerstag veröffentlicht Baydar schließlich ein weiteres Statement: „Ich setzte die Diskussion um arabische Großfamilien dem Holocaust, der Shoa nicht gleich. Wenn der Eindruck entstanden ist, bedauere ich das sehr.“
Baydar hatte Abou-Chaker in dem Gespräch noch viele weitere Male zugestimmt, erst zum Ende der Talkrunde lenkte sie zeitweise ein. Als Abou-Chaker behauptete, dass heute „von vorne bis hinten“ alles gelogen sei und man „gar keiner Zeitung mehr glauben“ könne, widersprach sie.
„Kein Journalist hat Eier“
„Es gibt gute und es gibt richtig schlechte [Journalisten]“, so die Komikerin laut einem Bericht der „Welt“. „Die ganzen von der Springer-Presse, dieses Konzept ist das, von dem wir hier die ganze Zeit reden. Dämonisieren, zum Satan machen“. Dies geschehe „auf dem Rücken von unseren Leuten“.
Es gebe allerdings auch korrekte Journalisten, die „auf unserer Seite stehen“. Abou-Chaker sah das natürlich anders: „Ich schwöre dir: Kein Journalist besitzt die Eier, um die Wahrheit zu sagen. Weil keiner will sich mit dem Axel-Springer-Verlag anlegen.“ Baydar: „Da hast du recht. Da hast du recht.“
Kritik vom Journalistenverband
Die Pauschalkritik hat inzwischen auch den Deutschen Journalistenverband (DJV) auf den Plan gerufen. Der kritisierte die Aussagen der Diskutanten am Donnerstag entschieden. Zwar gelte die freie Meinungsäußerung auch auf Clubhouse. „Wenn aber gegen Journalistinnen und Journalisten gehetzt, Verschwörungserzählungen verbreitet oder sogar der Holocaust verharmlost werden, dann ist dort wie überall Schluss mit lustig“, so DJV-Chef Frank Überall gegenüber der dpa. „Dann geht es gegebenenfalls sogar um Straftaten.“
Der Innenexperte der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, Tom Schreiber, twitterte zu der Clubhouse-Runde knapp: „Ein Fall für die Staatsanwaltschaft“. Ein Sprecher der Berliner Anklagebehörde äußerte sich auf dpa-Anfrage nicht zu dem konkreten Fall, fügte aber hinzu: „Wir befassen uns nur in Ausnahmefällen mit Stammtischpöbeleien.“ In der Berliner Innenverwaltung hieß es lediglich: „Wir nehmen das zur Kenntnis.“
Verfahren gegen Clanchef
Arafat Abou-Chaker und sein Familienclan sind bereits seit Jahren immer wieder Thema in den Medien. Der Clanchef war erstmals 2019 wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Derzeit läuft am Berliner Landgericht ein Prozess gegen ihn und drei seiner Brüder – die Anklage lautet auf versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung und Untreue zum Nachteil des Rappers Bushido. Abou-Chaker bestreitet die Vorwürfe.
Zuvor hatte die Berliner Staatsanwaltschaft in über 30 Fällen gegen Abou-Chaker ermittelt – in den meisten Fällen wurden die Verfahren allerdings mangels Beweisen eingestellt oder mit einem Freispruch abgeschlossen.
Die Kabarettistin Idil Baydar wurde vor allem für ihre Figur Jilet Ayse bekannt, eine 18-jährige Kreuzberger Türkin, die sie zunächst auf Youtube mimte. Seither hatte Baydar immer wieder Fernsehauftritte, etwa in „Die Anstalt“, bei „Night Wash“ oder in einer eigenen Show bei „Bild“.
RND/msc