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Dieser Tramp zählt nie bis drei – die Actionserie „Reacher“ bei Amazon Prime Video

Wer braucht schon einen Regenschirm? Jack Reacher (Alan Ritchson) ficht auch schlechtes Wetter nicht an. Szene aus der Amazon-Prime-Video-Serie „Reacher“.

Wer braucht schon einen Regenschirm? Jack Reacher (Alan Ritchson) ficht auch schlechtes Wetter nicht an. Szene aus der Amazon-Prime-Video-Serie „Reacher“.

Einem Tramp traut keiner, das war schon so, als Sylvester Stallone bei seinem ersten Leinwandauftritt als John Rambo in die kleine Stadt kam. Seltsam, dass ein Kerl ähnlichen Schlags wegen eines vor langer Zeit gestor­benen Bluesmusikers nach Margrave, Georgia, gekommen sein will. Wo doch genau an diesem Morgen eine brutaler Bluttat verübt wurde. Der Mörder ist immer der Fremde, da sind sich die Polizisten des Reviers, samt des schwarzen Chief Detective Oscar Finlay (Malcolm Goodwin), erst mal einig.

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„Ich mag Musik“, ist das Einzige, was der Ankömmling gesteht, der kein Zuhause hat und kein Handy, der nur eine zusammenklappbare Zahnbürste, einen französischen Kriegsorden und 212 Dollar bei sich trägt. Er muss „ins Loch“, nachdem man ihm in einem Diner noch vor dem ersten Biss in seinen Apfelkuchen verhaftet hat. Einen Anwalt nimmt Jack Reacher nicht in Anspruch. Wozu? Er weiß ja, dass er unschuldig ist.

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Alan Stitchson passt besser zur Figur als Tom Cruise

„Jack Reacher“, das klingt (zumindest wenn man es vernuschelt) wie „the Creature – das Geschöpf“. Reacher ist, um genau zu sein, ein 1,90-Meter-Geschöpf des Schriftstellers Lee Child, der Protagonist seiner Romane: Tom Cruise, definitiv kein „creature“, hat den Militärpolizisten erstmals fürs Kino gespielt wurde. Reacher ging 2012 unter Regie von Christopher McQuarrie einem Amoklauf auf den Grund und entdeckte die böse Wahrheit dahinter. Die eigentliche Kreatur war dann Werner Herzog als Bösewicht Zek: Grausamer Mund, ein blindes Auge, die Stimme teutonisch gefärbt – fast wollte er uns wie eine Figur aus den alten Edgar-Wallace-Filmen erscheinen.

2016 kam uns Cruise dann noch mal mit der Figur, diesmal inszeniert von Edward Zwick, mit dem er schon den „Letzten Samurai“ gemacht hatte. In „Jack Reacher – Kein Weg zurück“ wurde der Held von seinem alten Brötchengeber nach Washington beordert, fand dort seine Kontaktperson wegen Hochverrats verhaftet vor, stand selbst bald unter Mordverdacht und befand sich alsbald auf der Flucht. Rennen. Schießen. Kämpfen – ging so. Tom Cruise, der jahrzehntelange ewig junge Sonnyboy, zeigte hier erste Anzeichen, seine besten Zeiten hinter sich zu haben.

Für die Amazon-Serie „Reacher“ ist nun „Titans“-Star Alan Ritchson in die Rolle geschlüpft. Der Hüne mit den Pfannenpranken, dem Bowlingkugelbizeps und dem Kantschädel hat für die Rolle 30 Pfund zugelegt. Er sieht aus wie ein entgrünter Hulk, und sein Laserblick macht – das zeigt gleich eine der ersten Szenen – Lämmer aus gerade noch ziemlich wölfischen Zeitgenossen. Plastikfesseln öffnet Reacher mit einem Ruck, als hätten sie Perforationslinien.

Reacher ist auch ein Mann der Deduktion

Lee Child wollte bei der Reacher-Schöpfung einen Helden ohne düstere Umwölkung, ohne psychischen Knacks, weil ihn gegen all die kaputten Kriminaler der jüngeren Genreliteratur nervten. Aber Reacher bringt es auch deduktionsmäßig. Dem Chief Detective macht der sonst eher gesprächsabholde Mann klar, dass es sich bei dem Mörder um keinen Ersttäter handelt und dass ein Mann, der seine Opfer post mortem verprügelt, nur ein Psychopath sein kann. Und dann liefert er dem Polizeichef auch noch dessen detaillierten Lebenslauf samt Beliebtheitsgrad im Kollegenkreis. Sherlock lässt grüßen – Reacher muss dennoch erst mal ins Gefängnis. Ein zweiter potenzieller Täter wird gefunden – der reiche und geständige Hubble (Marc Bendavid) – der es aber ebenfalls nicht gewesen sein kann.

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Warum man Reacher und Hubble zu den Lebenslänglichen steckt? Vermutlich, damit der Held seine Schlag­kraft unter Beweis stellen kann. Gegen die Schwerstknastis, die ihnen zu Leibe rücken, wendet er als Erstes seinen Schädelkrachertrick an – drei Fausthiebe obendrein in den Nacken, und der schwarze Oberbabbo sinkt entkräftet in Morpheus’ Arme.

Reacher - ein flugunfähiger Supermann

Eine Serie mit einem Supermann rollt hier ab, der nicht fliegen kann und dessen einziger Fehl ist, dass er nie wirklich bis drei zählt, bevor er losschlägt, sondern beim Countdown gegenüber dem Bösewicht oder auch der ganzen Bösewichtergruppe einer „arischen Bruderschaft“ stets das Überraschungsmoment des vorzeitigen Erstschlags nutzt. Der Co-Verdächtige gesteht ihm, dass die Leute, für die er arbeitet, ihm das Mordgeständnis abverlangt hatten, anderenfalls wäre er selbst der nächste Tote gewesen. Als Reacher dann auch noch herausfindet, dass der Tote einen Bezug zu ihm hatte, beginnt er die Suche nach Antworten.

Acht Folgen beste Over-the-top-Unterhaltung von Autor und Showrunner Nick Santora mit Witz, Action und Willa Fitzgerald als cleverer Polizistin Roscoe Conklin angereichert. Man weiß hier jederzeit genau, was als Nächstes passiert und kann beim Dauerschauen auch mal ein Bierchen holen ohne die Pausetaste drücken zu müssen. Hier ist Verlass darauf, dass der Held, den der Ärger immer findet, am Ende stets aufrecht durch die Tür geht, statt am Boden zu liegen oder gar zu sterben.

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Wer nach (den überwältigenden) Serien „Mare of Easttown“, „The Undoing“ oder „Der Pass II“ zwischendurch einfach mal eine Drauflosbinge-Serie ohne Dramarama schauen will, einen Krimi, nach dem er oder sie keine Antidepressiva braucht: „Reacher“ ist eine gute Wahl – Genuss ohne Reue.

„Reacher“, erste Staffel, acht Episoden, von Nick Santora, mit Alan Ritchson, Willa Fitzgerald, Malcolm Goodwin, Bruce McGill (ab 4. Februar bei Amazon Prime Video)

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