Clarissa Ward: die CNN-Reporterin, die Talibankämpfer nach Frauenrechten befragt
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CNN-Reporterin Clarissa Ward berichtet aktuell aus Afghanistan.
© Quelle: picture alliance/AP Photo
New York. Ihre Berichte verbreiten sich rasend im Netz – und die Reaktionen darauf sind immer die selben: Erstaunen, Fassungslosigkeit und große Anerkennung für so viel Mut.
CNN-Reporterin Clarissa Ward berichtet aktuell für ihren Sender über die Situation aus Afghanistan. Nein, sie berichtet nicht nur aus Afghanistan: Sie berichtet direkt vom Ort des Geschehens. Aus Kabul – der Stadt, die sich seit Sonntag fest in den Händen der Taliban befindet.
Bemerkenswert ist das gleich aus zweierlei Hinsicht: Mit der Machtübernahme der Terrorgruppe ist die Arbeit für Journalistinnen und Journalisten in dem Land ganz generell zur Lebensgefahr geworden. Ganz besonders dramatisch jedoch ist die Situation für Frauen, die diesen Job ausüben – wie eben Clarissa Ward.
Lebensgefahr für Journalistinnen
Ward selbst hatte ihrem Sender am Sonntag mitgeteilt, afghanische Journalistinnen und Journalisten, insbesondere Frauen, seien „absolut versteinert“ angesichts der neuen Situation. „Sie machen seit vielen Jahren mutige und unglaubliche Berichterstattung, und jetzt gibt es eine sehr reale Angst, dass sie dafür Vergeltungsmaßnahmen bekommen oder dass sie ihre Arbeit sicherlich nicht mehr machen können.“
Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ waren in diesem Jahr bereits mindestens drei afghanische Journalistinnen ermordet worden. In vergangenen Woche töteten mutmaßliche Talibankämpfer den Chef eines Radiosenders in Kabul, ein Journalist wurde gekidnappt. „Viele unabhängige Nachrichtenredaktionen in Afghanistan halten sich derzeit versteckt“, sagt Ward.
Die 41-jähriger Journalistin selbst scheint all das jedoch nicht abzuschrecken. Sie sendet aktuell täglich aus Kabul, in Begleitung eines Kamerateams und Sicherheitspersonals. Ein aktueller Beitrag, eine vierminütige Reportage, zeigt die Reporterin vor einer Gruppe feiernder Taliban. Sie sitzen mit erhobenen Waffen auf einem Pick-up-Truck. Ward spricht ihre Moderation – direkt vor den Männern, die bedrohlich wirkenden Kämpfer samt Waffen im Rücken. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas jemals sehen würde“, sagt Ward. „Dutzende Talibankämpfer, und direkt hinter uns die US-Botschaft.“
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„Ich soll mich an die Seite stellen, weil ich eine Frau bin“
Es folgen Interviews mit Menschen auf den Straßen, aber insbesondere auch mit der Terrorgruppe selbst. „Alles ist unter Kontrolle, alles wird in Ordnung sein“, sagt ein Talibankämpfer in die Kamera. „Niemand muss sich Sorgen machen.”
„Was ist Ihre Nachricht an Amerika?“, will Ward von den Männern wissen. „Amerika hat genug Zeit in Afghanistan verbracht. Die Amerikaner müssen gehen.“ Die Gruppe feiert ihren Sieg. Ward analysiert: „Sie rufen ,Tod für Amerika‘. Aber sie wirken zur gleichen Zeit freundlich. Es ist seltsam bizarr.“
Freundlich sind die Männer jedoch nicht immer. Als Ward offenbar versucht, ein Interview mit einem anderen Talibankämpfer zu bekommen, wird sie zurückgewiesen. „Sie sagten, ich solle mich an die Seite stellen, weil ich eine Frau bin“, erklärt sie in ruhigem Ton in die Fernsehkamera.
Reporterin diskutiert mit Taliban über Frauenrechte
An anderer Stelle beginnt Ward eine Diskussion mit den Talibankämpfern über Frauenrechte. „Wie wollen Sie Frauen schützen? Viele Frauen haben Angst, dass sie nicht mehr zu Schule oder zur Arbeit gehen dürfen“, will die Reporterin wissen. Ein Mann mit der Waffe antwortet: „Die Frauen können ihr Leben weiterleben. Sie können weiter zur Schule gehen. Aber sie müssen ein Hidschāb tragen.“
„So eines wie ich es trage?“, fragt Ward. Die Reporterin trägt ein schwarzes Kopftuch, das jedoch ihr Gesicht zeigt. „Nein, nicht wie Ihres. Die Frauen werden ihre Gesichter verdecken müssen“, antwortet der Mann. „Ihr Gesicht verdecken?“, fragt Ward. „Dann meinen Sie ein Niqab.“ Der Mann bejaht. „Warum sollen Sie ihr Gesicht bedecken?“, hakt Ward weiter nach. Das sei eine islamische Regel, antwortet der Mann. Ward vergewissert sich: „Ist das wirklich so?“ „Aber sicher, das ist die Regel“, antwortet der Mann.
Der Beitrag endet mit Ward, die gefolgt von ihrem Kamerateam eine Straße in Kabul hinuntergeht. Sie ist eine der wenigen Frauen an diesem Tag auf der Straße.
Wer ist Clarissa Ward?
Wer ist diese Reporterin, die so todesmutig aus dem Kriegsgebiet berichtet?
Wards journalistische Karriere beginnt kurz nach dem Anschlägen vom 11. September 2001 – das ist jetzt ziemlich genau 20 Jahre her. Im Fernsehen verfolgt sie die Liveberichterstattung über die Anschläge in ihrem Heimatort Manhattan, und beschließt laut eigener Aussage kurz darauf, Journalistin zu werden.
2002 macht Ward zunächst ein Praktikum im Moskauer Büro von CNN, 2003 beginnt sie ihre Fernsehkarriere bei Fox News in New York City im Bereich Auslandsnachrichten. Ab 2006 ist Ward für denselben Sender für Berichte aus Israel und dem Irak zuständig, dann als Auslandskorrespondentin in Beirut – hier auch als sogenannte Embedded-Journalistin bei den US-Streitkräften im Irak.
Journalistin spricht sechs Sprachen
Für den Sender ABC arbeitet Ward später in Moskau und Peking, für CBS ist sie ab 2011 tätig. 2012 berichtet Ward trotz des enormen Risikos vom Bürgerkrieg in Syrien und 2014 vom Krieg in der Ukraine.
Für CNN ist Ward seit 2015 im Einsatz, zunächst als Korrespondentin in London. Im Februar 2016 berichtet die Reporterin undercover aus Syrien und erlebt hier unter anderem einen Bombeneinschlag mit elf Toten mit. Ihre Reportage „Undercover in Syria“ ist preisgekrönt. Seit 2018 ist Ward Chefauslandskorrespondentin bei CNN. Unter anderem gehören regelmäßige Berichte über die Lage in Afghanistan zu ihren Tätigkeiten.
Ward hat einen Ehrendoktor in Literatur des Middlebury College in Vermont und erhielt zahlreiche Preise für ihre Reportagen. Die Journalistin spricht fließend Französisch und Italienisch und hat Grundkenntnisse in Russisch, Spanisch, Arabisch und Mandarin.
Wie sicher sind ausländische Journalisten?
Und jetzt gewährt Ward Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern seltene Einblicke in die eingenommene afghanischen Hauptstadt Kabul.
Der Beitrag mit den Frauenrechten ist nicht der einzige aufsehenerregende in diesen Tagen. Mal berichtet die 41-Jährige ihren Kolleginnen und Kollegen in einer Liveschalte von einem Burkashop, der seit dem Einzug der Taliban Hochkonjunktur hat. Mal läuft sie, geduldet von den Talibankämpfern, über eine frühere US-Basis.
Warum derartige Aufnahmen überhaupt möglich sind, erklärt die Reporterin ihrem Sender in einem Beitrag. Aktuell bestehe kein „Sinn darin, dass westliche Journalistinnen und Journalisten ins Visier genommen werden“, so Ward. Man habe allerdings den Ort für die Liveschalten inzwischen nach Drinnen verlegt, um zu vermeiden „potenziell viel Aufmerksamkeit zu erregen“.
„Wir haben eine Exitstrategie“
Tommy Evans, Vice President International Newsgathering bei CNN, erklärt auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), man habe als Sender diverse Vorkehrungen für die Sicherheit der Reporterin und ihres Teams vorgenommen. Dazu gehöre etwa ein sicheres Gelände als Basis.
„Wir haben unser eigenes, sehr erfahrenes Sicherheitspersonal vor Ort und arbeiten mit lokalen Experten zusammen, um potenzielle Probleme zu identifizieren und stündlich zu bewerten, wie sich diese auf uns auswirken könnten“, erklärt Evans dem RND. „Entscheidend ist, dass wir immer eine sorgfältig geplante Exitstrategie haben. Wir kennen Afghanistan gut und verfügen über ein tiefes und langjähriges Netzwerk lokaler Kontakte im ganzen Land sowie enge Beziehungen zu den internationalen Sicherheitskräften. All das hilft uns, unsere Teams vor Ort so sicher wie möglich zu halten.“
Am heutigen Dienstag hätten die Taliban noch einmal ausdrücklich erklärt, dass sie ausländischen Medien Schutz bieten, erklärt Evans. „Aber wir müssen immer noch äußerst wachsam und aufmerksam bleiben. Viele Afghanen sind bei Versprechungen der Taliban äußerst misstrauisch und die Lage bleibt sehr angespannt.“
Nicht nur die Taliban sind eine Gefahr
Dabei jedoch bleibt es nicht – denn eine Gefahr für Journalistinnen und Journalisten geht bei Weitem nicht nur von den Taliban aus: „In Momenten des Übergangs wie diesem gibt es immer Menschen, die die Situation ausnutzen wollen, und jedes Machtvakuum kann die Dinge gefährlich machen“, sagt Evans. „Wir wissen auch nicht, wer neben den Taliban in die Stadt eindringt. Es gibt zum Beispiel noch ISIS- und Al-Kaida-Elemente in Afghanistan. Seit internationale Sicherheitskräfte abgereist sind, ändert sich die Landschaft von Minute zu Minute. Aber die Taliban sind eindeutig bemüht, der internationalen Gemeinschaft zu versichern, dass sie die Kontrolle haben und die Ausländer im Land schützen werden.“
Reporterin Clarissa Ward hat sich inzwischen optisch der neuen Situation angepasst. War sie Tage zuvor noch mit einem einfachen Kopftuch auf der Straße unterwegs, das auch ihr Haar zeigte, zeigt sich Ward jetzt bedeckter – wenn auch ohne Gesichtsschleier. Sie wolle sich so unauffällig wie möglich kleiden, erklärt sie ihren Kolleginnen und Kollegen per Schalte ins CNN-Studio. Bislang habe man sie nicht angewiesen, das Gesicht oder die Hände zu verdecken.
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Dass es sich für ausländische Journalisten durchaus gefährlich in Afghanistan lebt, haben auch Fälle in der Vergangenheit gezeigt: Erst im vergangenen Monat war der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Reuters-Fotograf Danish Siddiqui aus Dänemark bei Zusammenstößen in der Nähe von Kandahar in Afghanistan getötet worden. Siddiqui war Cheffotograf der Nachrichtenagentur in Indien mit Sitz in Mumbai.
„Wir sind stolz auf die Arbeit“
Ward und ihr Team sind seit inzwischen zwei Wochen vor Ort in Afghanistan. Seit einigen Tagen bekommt die Reporterin zusätzlich Unterstützung vom Journalisten Nick Paton Walsh und seinem Team.
In den vergangenen 24 Stunden, so Evans, habe sich die bisweilen chaotische Situation vor Ort auch wieder etwas beruhigt. „Es hat sich eine unruhige Ruhe eingestellt und wir können wieder relativ normal arbeiten, aber wir nehmen nichts als selbstverständlich hin“, sagt er.
Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Warum tut man sich all das an? Für Tommy Evans ist die Sache klar: „Es ist unsere Pflicht als Journalisten, über diese lebenswichtige Geschichte zu berichten. Wir haben das Thema Afghanistan in der gesamten Geschichte von CNN behandelt, und es gab nie einen Zweifel, dass wir jetzt für dieses unglaublich bedeutende Kapitel nicht dort sein würden. Wir sind sehr stolz auf die Arbeit, die unsere Teams geleistet haben und weiterhin leisten.“