Digitale Heldenverehrung: Bei den Fans lebt die “Lindenstraße” weiter
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Hans W. Geißendörfer, Produzent und Erfinder der ARD-Serie “Lindenstraße”, wirft auf dem WDR-Gelände einen letzten Blick auf die Straße.
© Quelle: Steven Mahner/WDR/dpa
Wahre Fans können von unbedingt zugetan bis überkritisch alles sein, aber eins sind sie sicher nie: teilnahmslos. Nichts geht wahren Fans mehr zu Herzen als das Ende ihrer Sehnsuchtsobjekte von Stars bis Sternchen, Film bis Fernsehen, Sport, Pop, Politik, gar Wirtschaft. Für Barbara und Oliver Brodt aus Filderstadt zerbrach deshalb eine Welt, als das Ziel all ihrer televisionären Leidenschaft am Sonntag nach 1758 Folgen in 34 Jahren vom Bildschirm verschwand: die “Lindenstraße”.
Die Trauer dieser beiden teilen allerdings nicht nur Tausende Homepage-User, sondern auch André Weber und Oliver Ley, Arne Ollig oder Gisela Mittelsten Scheid plus einer unübersichtlichen Zahl von Gruppen auf Facebook, Instagram, Whatsapp. Unter Namen wie “Mutter Beimer”, “Akropolis” oder “18Uhr40” verbringen auch deren Betreiber einen Großteil ihrer Freizeit damit, digitalen Content ihrer Herzensserie vom fiktionalen Münchner Mikrokosmos aus der Produktionsstätte Köln-Bocklemünd zu horten.
“Schwarzwaldklinik” hat auch noch Fanseiten
Wie die “Lindenstraße” selbst mag manche Homepage etwas bieder aussehen. Vieles wirkt, als würden sich die Administratoren nur hier mal ausnahmsweise mit dem Internet beschäftigen und generell eher linear fernsehen. Aber gut, Äußerlichkeiten tun echter Liebe keinen Abbruch. Im Gegenteil. Ob die Seiten nun also vom Netz gehen, bloß weil ihr Daseinsgrund Geschichte ist? Daran darf man zweifeln. Allerdings: Wenn die Fassaden der “Lindenstraße” im WDR-Fundus landen, schlimmer noch: auf dem Müllhaufen der Fernsehgeschichte, fallen neue Fotos von Setbesuchen – fester Bestandteil aller Fanseiten – logischerweise weg. Aber Domains, das lehrt ein Blick in die weite Welt digitaler Heldenverehrung, überleben jedes Format um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.
Bis heute existiert immer noch ein gut gepflegtes Anhängerportal der “Raumpatrouille Orion”, während sich Fans des “Denver Clans” unverdrossen auf Facebook versammeln. Dort sahen exakt 1556 Follower der “Schwarzwaldklinik” erst vorigen Freitag drei neue Beiträge zur alten Serie.
Es gibt also, in einem Wort, alles von allen für alle, die irgendwas mehr mögen als alle anderen. Dazu ist von François Werner zwar nichts überliefert. Aber seit der Hamburger vor fast 25 Jahren die bestsortierte Fanpage der deutschen Krimilandschaft online stellte, hat sich sein “Tatort-Fundus” vom ehrenamtlichen Liebhaberprojekt zur lückenlosen Datenbank entwickelt.
Die Homepage ist derart kenntnisreich, dass sogar die Verantwortlichen in den Funkhäusern regelmäßig aufs Glossar der fiktionalen Mordermittlung zugreifen. Dabei betreut der 47-jährige Fachjournalist für Medizinthemen die Seite mithilfe einer kleinen Zahl Mitstreiter eher nebenbei – auch wenn dies, wie er im Interview einmal eingeräumt hat, “eine Schweinearbeit” sei. Doch sie lohnt sich. Für alle.
“GZSZ”-Fanseite hat 40.000 Mitglieder
Jeder, wirklich jeder von mittlerweile 1139 Fällen seit 1970 wird dort mit einer Kurzzusammenfassung plus Produktionsnotizen bedacht. Es gibt Schauspielerinterviews, Drehortspiegel und Ermittlerporträts, Bildergalerien, einen “Polizeiruf”-Abzweig und, ganz wichtig, Programmhinweise auf Wiederholungen alter Fälle der nächsten Wochen. Dieser Aufwand ist ohne Werbebanner bei aller Liebe nicht mehr zu bewältigen. Auch in sozialen Netzwerken sind die Anforderungen an Fanseiten mittlerweile so hoch, dass der Altruismus früherer Tage unbezalbarer Luxus wäre.
Dass die größte aller Fanseiten der RTL-Soap “Gute Zeiten, schlechte Zeiten” fast 40.000 Facebook-Mitglieder hat, während kleinere tief im dreistelligen Bereich verharren, hat auch mit Professionalität zu tun. Und auch mit einer gewissen Macht: Fanportale digitaler Massenmedien nehmen spürbar Einfluss auf Besetzungslisten, Dramaturgie, gar Fortbestand ihrer Lieblingsserien. Am Ende konnten aber auch die 1359 “Fans gegen die Absetzung der Lindenstraße” ebenjene nicht verhindern. Arme Familie Brodt.