„Enslaved“: Samuel L. Jackson berichtet in Dokumentarfilmreihe über versklavte Afrikaner
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3JP2QF2ZZSEE4GFQ2GOU6RK5MY.jpg)
In der Geschichtsserie „Enslaved“ geht Samuel L. Jackson dem Sklavenhandel auf den Grund – und damit der eigenen Herkunft.
© Quelle: AFP
Um der wahren Bedeutung vertrauter Worte auf den Grund zu gehen, lohnt sich zuweilen ein Blick auf ihre Wurzel. „Paradies“ zum Beispiel, bekannt aus dem ersten Buch Mose, stammt vom altiranischen pairi daēza ab und heißt gar nicht „Garten Eden“ oder ähnlich wild Wucherndes, sondern im Gegenteil „eingezäuntes Areal“. Wer beim Gedanken an paradiesische Ferien, sagen wir die Karibik, vor Augen hat, sollte also nicht in den Reisekatalog schauen, sondern die Dokumentarfilmreihe „Enslaved“.
Samuel L. Jackson, bekannt aus dem zweiten Film Tarantinos, führt uns darin in ein Paradies, das bezaubernder kaum aussehen könnte. Und sein schickes Motorboot durchpflügt das azurblaue Meer der Bahamas zum Auftakt ja auch, als würde er darin eine nette Urlaubsreportage für Sonnenklar.TV moderieren. Doch weit gefehlt. Tatsächlich begibt sich der Hauptdarsteller einer epischen Liste von mehr als 150 Filmen auf die Spur seiner Ahnen, denen sich das karibische Paradies einst als Hölle auf Erden zeigte.
Wie ein Großteil aller schwarzen Amerikaner ist auch der Schauspieler aus Tennessee Nachfahre versklavter Afrikaner. Und von denen – berichtet Samuel L. Jackson sechs quälend erhellende Folgen lang beim Amazon-Kanal History Play – wurden mindestens zwölf Millionen in 300 Jahren auf 45.000 Schiffen in eine Gegend verschleppt, die europäische Invasoren parallel dazu von ihren Ureinwohnern gesäubert haben. Es ist also ein doppelter Genozid, von dem uns der Hollywoodstar hier berichtet. Mehr noch: Es ist eine Anklage, wenngleich in genretypischer Unterhaltungsform.
Jackson schickt uns auf Zeitreise in die Abgründe unserer Zivilisation
Anno 2021 sind Dokumentationen nun mal keine didaktischen Erbauungsfilme der öffentlich-rechtlichen Monopolphase; im Sperrfeuer der Streamingdienste plustert ja sogar Arte sein Infotainment mit sinfonischem Bombast im Werbeblockstimme auf. Die Zeiten vom Understatement sprechender Bilder sind vorbei. Und so schickt uns der weltberühmte Presenter mit gewohnt finsterem Blick und (zumindest in der Synchronisation) theatralischer Stimme auf eine Zeitreise in die Abgründe unserer Zivilisation, die nicht eine, nicht zwei, sondern drei Dokumentationen enthält.
In der ersten begibt sich Regisseur Simcha Jacobovici, als Sohn Holocaustüberlebender höchstpersönlich mit Völkermorden vertraut, gemeinsam mit der norwegische Publizistin Afua Hirsch auf die Suche nach den Ursprüngen des Sklavenhandels in aller Welt. In der anderen begibt sich Samuel L. Jackson auf die Suche nach den Ursprüngen der eigenen Biografie in Gabun. Zwischendurch begeben sich die drei politisch aktiven Taucher Alannah Vellacott, Kramer Wimberley und Kinga Philipps auf die Suche nach den Wracks gesunkener Sklavenschiffe an der Westküste Mittel- bis Südamerikas.
Geschichte, Pathos und Abenteuer, Kapitalismus, Gefühle und Action – schon isoliert betrachtet sind alle Glieder dieser sechsteiligen Serie sehenswert; erst zur Kette aufgereiht allerdings bringt sie das ganze Ausmaß einer zivilisatorischen Ursünde adäquat zum Ausdruck und bedient zugleich moderne Sehgewohnheiten. Etwa, wenn Samuel L. Jackson nach Zentralafrika fährt, um sich durch einen Initiationsritus mit dem Stamm seiner Urahnen wieder zu vereinen, und die attraktiven Taucherinnen der NGO „Diving With a Purpose“ ein paar Seemeilen westwärts verrostete Fußfesseln vom Meeresgrund zu fischen.
Weil Jacobovici und Hirsch zugleich die ehemaligen Knotenpunkte des globalen Menschenhandels von Bristol über Libreville bis Rio erkunden und dabei in einem Londoner Gasthaus namens „Jamaika Coffee House“ erfahren, wie viel Englands Sucht nach süßem Kaffee im 17. Jahrhunderts mit der Entvölkerung afrikanischer Landstriche zu tun hat, werden die seltenen Momente der Effekthascherei sorgsam eingebettet ins Gesamtbild einer seriös ergreifenden Dokumentation.
RND/Jan Freitag