ZDF-Miniserie „Ku’damm 63“ – Kleider machen Geschichte
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Es war einmal in den Tagen, als die Beatles "She Loves You" sangen": In der neuen Staffel der "Ku'damm"-Serie tragen die Schauspielerinnen Claudia Michelsen (l-r), Maria Ehrich, Sonja Gerhardt und Emilia Schüle Garderobe von anno 1963.
© Quelle: M. Schreitel/B. Laewen/T. Wiemer
Was für ein Auftritt! Pelzmuff, Pumps und Trenchcoat, Nylons, Fedora und Leopardenlook – selbst wenn die Tanzschulsippe Schöllack vom verkohlten Weihnachtsmenü zur Currywurstbude abbiegt, sitzen Garderobe und Haar beinahe noch perfekter als Rockertolle und offenes Hemd des rebellischen Freddy, der sich nur drei Schnitte „Ku’damm 63“ weiter mit hochgeschlagenem Mantelkragen die Filterlose anzündet. Alles also exakt wie im wahrhaftigen Wirtschaftswunder-Berlin?
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Damit auch im dritten Teil der ZDF-Saga „glaubwürdig und authentisch Charaktere entstehen“, reicht es Maria Schicker nicht, bloß den Stil der Zeit zu kopieren. Die Kostümbildnerin muss zudem „Publikumserwartungen und Sehgewohnheiten berücksichtigen“. Seit 1979 stattet die Thüringerin Filmfiguren aus. Nach ihrer Ausbürgerung hat sie „Hitler“ eingekleidet und „Honigfrauen“, „Usedom-Krimis“ oder „Cold Cases“, RTL-Serien und US-Blockbuster.
Maria Schicker: „Klischees geben uns wichtige Leitplanken“
Stets galt es dabei, zwischen Anspruch und Realität früherer Epochen die ästhetische Balance zu halten. Aber eins weiß sie nach 72 Werken in 42 Jahren genau: „Klischees geben uns wichtige Leitplanken, um Menschen zu verstehen.“
Und die neuen Folgen vom „Ku’damm“ bebildern nicht bloß Klischees, sie sind im Grunde selber welche. Wenngleich ansehnliche. Nachdem sich die Töchter der sittenstrengen Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) 2018 in ein fahles Happy End geschleppt hatten, startet der neue Dreiteiler im alten Chaos fragiler Träume und Herzen, das die Gegenwart unterhaltsam durch unsere Vergangenheit erklärt.
Eva (Emilia Schüle) versucht sich mit dem Schweigegeld ihres übergriffigen Mannes Jürgen (Heino Ferch) als Galeristin zu etablieren. Helga (Maria Ehrich), feilt an der Fassade einer biederen Ehe mit dem schwulen Wolfang (August Wittgenstein). Nur Komponistin Nicki (Sonja Gerhardt) kriegt ehelichen Support, würde sich Joachim (Sabin Tambrea) nach einer Fehlgeburt nicht von ihr entfremden. Und dann rennt Mutti beim Ausflug zur Imbissbude auch noch vor den Bus, was das Durcheinander früh beschleunigt.
Nebenbei finden auch die Auschwitzprozesse statt
Interimstanzlehrerin Helga nämlich engagiert einen Tangolehrer aus Argentinien, in den sie sich flugs verknallt, während auch der Alltag ihrer Schwestern abrupte Haken schlägt. Die eine schreibt den deutschen Beitrag zum Grand Prix und wird von der Interpretin (Helen Schneider) betrogen. Die andere lehnt sich gegen tradierte Geschlechterrollen auf und wird von der eigenen Mutter geprellt. Im Korsett reaktionärer Strukturen zeigen sie nach Drehbüchern von Marc Terjung (Regie: Sabine Bernardi) also sehr variables Beharrungsvermögen.
Wenn nebenbei Auschwitzprozesse vorkommen und Mauertote, John F. Kennedy ein Berliner ist und Homosexualität strafbar, wenn Zeitgeschichte wie üblich durchs Fiktionale rauscht, ohne dramaturgisches Accessoire zu sein, bleibt aber dennoch etwas anderes zentral für die Reihe: Optik, Oldtimer, Stil und Kulissen – im deutschen Historytainment frisst Form am Ende eben doch gern ihre Funktion.
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Deshalb trägt die elitäre Eva Twiggy-Style zum Bob und ihr Gatte Fellkragen; deshalb trägt die eigensinnige Nicki Capri-Hose zum Haarreif und ihr Gatte Rollkragen; deshalb trägt die züchtige Helga Kostüme zum Kompotthut und ihr Gatte Mausgrau. Als klassenbewusste Tanzlehrerin sei Caterina Schöllack halt auf Äußerlichkeiten bedacht, erklärt Kostümbildnerin Schicker den Fokus aufs Kleidsame. „So wurden auch ihre Töchter erzogen.“ Und so stehe es im Drehbuch, „aus dem ich Bilder in Farbe, Form und Bewegung kreiere“. Bei den „Ku’damm“-Folgen heißt das: alles so schön bunt hier, aber alles auch irgendwie authentisch. Fürs klischeeversessene Geschichtsfernsehen made in Germany könnte es schlimmer kommen.
„Ku‘damm 63″, ZDF-Mediathek, drei Episoden, Regie: Sabine Bernardi, mit Claudia Michelsen, Maria Ehrich, Sonja Gerhardt, Emilia Schüle (bereits streambar, dritte Episode am 24. März um 20.15 Uhr im ZDF)