Protest gegen Bayern 3: ein Entrüstungssturm nach Lehrbuch
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Radiomoderator Matthias Matuschik (Bayern 3) hat einen Rassismuseklat losgetreten. Er verunglimpfte in seiner Sendung die koreanische Pop-Band BTS.
© Quelle: Wikipedia/Thomas Springerimago images/ZUMA Press/RND Montage Behrens
München. Das Wort Shitstorm ist inzwischen so abgegriffen, dass man es eigentlich kaum noch schreiben möchte. Gestern aber war es mal wieder so weit. Auf Twitter, wo sonst, wurde der Ausschnitt einer Radioshow herumgereicht, in der der Bayern-3-Moderator Matthias Matuschik rassistische Tiraden über die südkoreanische Boyband BTS in den Äther pöbelte. Was folgte, war ein Entrüstungssturm nach Lehrbuch – und genau das ist ein Problem.
Aber zunächst zum Fall an sich: Matthias Matuschik ist einer der Stammmoderatoren bei Bayern 3 und ein polarisierender noch dazu. Die „Süddeutsche Zeitung“ bezeichnete Matuschik 2017 mal als „Rebell“, als einen der „ganz wenigen Radiomoderatoren in diesem Land, die sich was trauen“. In seiner Radioshow poltert und schreit der Moderator gern, häufig treffen seine Tiraden Musikerinnen und Musiker. Man kann das in gewisser Weise als Kunstform ansehen, Matuschik ist nebenbei auch Kabarettist.
Mindestens einmal allerdings schoss Matuschik in der Vergangenheit bereits über das Ziel hinaus. 2015 zum Beispiel, als er auf einer Veranstaltung die Schaffung von Raucherzonen mit antisemitischen Zwangsmaßnahmen („wie so ein Judenkarree“) gleichsetzte. Am Mittwoch traf der Zorn des Moderators schließlich die südkoreanische Boyband BTS. Die Gruppe gilt als bekanntester Vertreter des K-Pop-Genres und hat weltweit Millionen Fans.
Moderator vergleicht Band mit Virus
Eigentlich – so macht es zumindest den Anschein – ging es Matuschik in seiner Wutrede um Musikkritik. Die Boyband hatte nämlich kürzlich den Coldplay-Song „Fix you“ gecovert, was Matuschik als „Gotteslästerung“ und „Frevel“ bezeichnete. Die Band nannte er „kleine Pisser“ und endete seinen Rant mit dem Satz: „Dafür werdet ihr in Nordkorea Urlaub machen für die nächsten 20 Jahre.“
Jedoch ging Matuschik auch auf die Herkunft der Gruppe ein, nämlich Südkorea. Zu Beginn seiner Wutrede verglich er die Boyband mit einem „Scheißvirus, wogegen es hoffentlich bald ebenfalls eine Impfung“ gebe, und wütete weiter: „Nichts gegen Südkorea, man kann mir jetzt nicht Fremdenfeindlichkeit unterstellen, nur weil diese Boyband aus Südkorea ist … Ich habe ein Auto aus Südkorea. Ich habe die geilste Karre überhaupt.“
Diese Formulierungen sind auf allen Ebenen schwierig: Asiatisch aussehende Menschen sind seit der Corona-Pandemie häufig Rassismen ausgesetzt, nicht selten kam es in den vergangenen Monaten auch zu körperlichen Übergriffen. Menschen mit einem Virus zu vergleichen ist grundsätzlich niveaulos, auch als Kunstfigur – und in der aktuellen Situation hat all das noch mal eine deutlich härtere Schlagkraft. Matuschik selbst scheint das während seiner Tirade zumindest ansatzweise bemerkt zu haben, als er sich mit einer „Ich bin ja kein Rassist, aber ...“-Floskel zu retten versuchte – doch da war es längst zu spät.
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Hochgejazzt zum internationalen Thema
Man muss an dieser Stelle nicht diskutieren, ob Matuschiks Ausraster rassistisch war. Die Antwort ist eindeutig: Ja, das war er. Aber es lohnt sich dennoch die Frage aufzuwerfen, wie verhältnismäßig eigentlich der Proteststurm gegen ihn ist.
Ausgelöst wird dieser unmittelbar nach der Radiosendung von einer anonymen Twitter-Userin mit dem Namen leni, augenscheinlich ein großer BTS-Fan. Im mitgeschnittenen Video zeigt sich die Userin zunächst schockiert, später postet sie Webcambilder des Moderators, andere Nutzer beginnen, den Mann wegen seines Aussehens zu beleidigen. Es folgt eine öffentlich präsentierte E-Mail an einen BTS-Fanclub („Denkt ihr, dass ihr als Fanbase was machen könnt?“) und der Versuch, das ganze Thema in englischer Sprache auch noch mal international auszuschlachten.
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Der Plan funktioniert: Eine Twitter-Nutzerin mit dem Namen Belle übersetzt das gesamte Video in englische Sprache, Leni retweetet fleißig, zigtausende BTS-Fans liken und retweeten, das Thema erreicht die K-Pop-Blase. Belle twittert die Mailadresse des bayerischen Fernsehens, des BR-Radios und des Radiosenders Bayern 3, Leni stimmt mit ein. Man möge sich doch bitte direkt beim Sender beschweren.
Damit das alles einfacher geht, posten mehrere BTS-Fanaccounts ein Google-Dokument mit vorgefertigten Formulierungen. „Guten Tag, gestern Abend hat einer Ihrer Radiomoderatoren, Matthias Matuschik, in seinem Programm (‚Matuschke – der etwas andere Abend’) auf Bayern 3 äußerst kritische und rassistische Kommentare zur koreanischen Band BTS abgegeben“, heißt es darin etwa. Das Schreiben, das es auf Deutsch und Englisch gibt, endet mit der Forderung, „Maßnahmen und eine klare Stellungnahme gegen Rassismus zu ergreifen“. Den eigenen Namen muss man selbst einsetzen.
Moderator stellt Profil auf privat
Derweil ist Leni nicht mehr zu stoppen. Sie postet ein weiteres Video, in dem Bayern 3 BTS spielt und fordert den Sender auf, das zu unterlassen. „Die Tatsache, dass der Typ gerade wieder auf Sendung ist, als wäre nichts passiert – ich bin sprachlos“, twittert sie später auf Englisch. Auf Twitter ist zu dieser Zeit bereits ein Video des Ausschnitts mit englischen Untertiteln im Umlauf, BTS-Fanportale berichten über den Fall. Einige Twitter-Nutzer fordern eine sofortige Absetzung der Radiosendung, andere die Entlassung des Moderators.
Zwischenzeitlich trendet der Hashtag #Bayern3Racist auf Twitter, dadurch werden auch Menschen außerhalb der K-Pop-Blase auf das Thema aufmerksam. Auch sie erklären sich gegen Rassismus, Matuschik selbst schaltet sein eigenes Twitter-Profil derweil auf privat.
Columbia-Records, die Plattenfirma von BTS, twittert einen Post gegen Rassismus, vermutlich bezogen auf Gewalttaten gegen asiatisch aussehende Menschen in den USA. Die BTS-Fancommunity allerdings bringt den Post in Zusammenhang mit der rassistischen Tirade des BR-Moderators und kriegt sich schließlich gar nicht mehr ein.
Sender liefert halbgares Statement
Ein BTS-Fan namens Ena postet und retweetet im Minutentakt zur Thematik. Seit dem frühen Morgen sind auf dem Account an die hundert Tweets und Retweets zu ein und demselben Thema erschienen. Den Hashtag #Bayern3Racist solle man nicht mehr benutzen, rät die Nutzerin, weil es nicht möglich sei, nach 24 Stunden noch damit zu trenden. Stattdessen möge man bitte fortan den Hashtag #RacistBayern3 verwenden.
Manche posten derweil Bilder des Moderators, auf denen dick das Wort „Racist“ steht. Andere Fans nehmen Einfluss auf die Medien. Ein neutral formulierter Artikel des „Spiegel“ etwa wird zerrissen, weil er sich vermeintlich nicht genug gegen Rassismus positioniere und die Fans mit seinen Formulierungen angreife.
Nicht besser macht die Sache schließlich ein Statement des Senders Bayern 3. Dieser stellt sich hinter seinen Moderator, lässt die Rassismusthematik jedoch weitestgehend unerwähnt. Die Meinung des Moderators hätten „nicht im Zusammenhang“ mit der Herkunft der Band gestanden, heißt es in der Stellungnahme – und das, obwohl Matuschik sie ja explizit genannt hatte. Des Weiteren wird auf das Antirassismusengagement des Moderators verwiesen, etwa in der Flüchtlingshilfe. Matuschik selbst räumt später ein, seine Bemerkung sei „komplett daneben“ gewesen.
Ein Shitstorm nach Lehrbuch
Der Shitstorm gegen Bayern 3 zeigt, wie professionell und routiniert Entrüstungsstürme inzwischen ablaufen – und wie wenig sie am Ende bringen. Irgendjemand filmt was ab, irgendeine Twitter-Blase will Köpfe rollen sehen, weil’s Spaß macht – irgendjemand entschuldigt sich und macht die Sache damit nur noch schlimmer. Medien steigen darauf ein, noch mehr Menschen empören sich, irgendjemand entschuldigt sich noch mal. Morgen schreibt dann irgendjemand einen langen Debattenbeitrag über die vermeintliche Problematik der Cancel Culture, und übermorgen wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben.
In den vergangenen Wochen ist das nach genau diesem Schema mehr als einmal passiert. Und man kann sich schon die Frage stellen: Dient das wirklich der Sache?
Der Grundgedanke ist ja eigentlich ein guter: Ein Moderator wird dafür kritisiert, weil er sich rassistisch äußert. Der Fall ist schon deshalb interessant und böte viele Diskussionspunkte, weil Matuschik sich selbst gar nicht als rassistisch begreift, sich augenscheinlich sogar gegen Rassismus einsetzt. All das zeigt, wie tief Rassismen in unserer Sprache stecken, wie tief sie in uns selbst stecken, wie verbreitet sie strukturell sind, wie häufig sie unterbewusst zum Vorschein kommen, ohne dass wir das eigentlich wollen. Darüber hätte man sprechen können, auch Matuschik selbst hätte das tun können, beispielsweise in seiner eigenen Sendung.
Ein Proteststurm als Entertainmentereignis
Stattdessen folgt der ewig gleiche Teufelskreis. Eine Gruppe, die ernsthaft überhaupt nicht an dem Thema interessiert zu sein scheint, verschickt vorformulierte E-Mail-Templates, stachelt Medien an, fordert größtmögliche Konsequenzen, wie unverhältnismäßig sie auch sein mögen. Der angegriffene Sender schaltet erwartungsgemäß und reflexartig auf stur oder reagiert panisch und kündigt halbherzig irgendeine interne Diskussion oder einen „Themenschwerpunkt“ an.
Die Plattform Twitter wird am 21. März 15 Jahre alt, und die Dynamik der Entrüstungsstürme hat sich in dieser Zeit praktisch nicht verändert. Sie kommen immer wieder, sie kommen immer wieder gleich – und am Ende führen sie zu nichts. Im besten Fall hat nun Matthias Matuschik etwas über rassistische Sprache gelernt, im schlechtesten Fall aber haben drei Tage lang zwei bis drei verschiedene Gruppen aneinander vorbeigeredet, oder besser gesagt: aneinander vorbeigeschrien.
Der Hashtag #Bayern3Racist hat inzwischen übrigens 1,4 Millionen Tweets, das dürften um ein Vielfaches mehr sein als der Moderator jemals Hörer haben dürfte. Inzwischen berichten selbst internationale Boulevardmedien über einen Mann, von dem sie zuvor noch nie etwas gehört haben. Ein Shitstorm als Entertainmentereignis, bei dem alle im Kreis stehen und anfeuern – bei dem es aber schon lange nicht mehr um die Sache geht. Es ist ermüdend.