Schauspielerin Anna Schudt: „Keine Frau treibt gerne ab“
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Anna Schudt ist vielen aus dem Dortmund-„Tatort“ bekannt.
© Quelle: Henning Kaiser/dpa
„Ein Hauch von Amerika“ spielt Anfang der 50er, als hunderttausend US-Soldaten in der pfälzischen Provinz stationiert sind. Was reizt Sie an solchen historisch-fiktionalen Stoffen?
Das bewirkt im Gegensatz etwa zum Lesen eines Sachbuchs, dass man emotional mitgeht. In dieser Reihe ist sehr viel aufgegriffen, wie etwa Antisemitismus, Rassismus und die Liebe zwischen einem weißen Mädchen und einem schwarzen US-Soldaten. Das kann man miterleben, was einem sehr viel leichter fällt, als wenn man trockene Fakten liest. Ich glaube, dass Geschichte einem sehr viel näherkommt, wenn man einen emotionalen Zugang bekommt. Das ist unsere schöne Aufgabe, dass wir das manchmal vermitteln können.
Hier sieht man ganz besonders, dass damals andere moralische Normen galten. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zu heute mit Blick auf das Frauenbild?
Da gibt es eklatant-riesige Unterschiede. Die ganze Frauenbewegung hat versucht, diese Art von patriarchaler Unterwerfung aufzuweichen und den Frauen ihre Rechte zu geben. Nur deswegen gibt es das. Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Das Frauenbild in der Serie ist diametral zu dem, was die heutigen jungen Frauen gerne leben möchten.
Gleichzeitig wird dieser modernere, weniger konservative Aspekt durch die Figuren Erika und Marie im Film angedeutet …
Ich glaube nicht, dass die beiden schon moderne Frauenfiguren darstellen, aber sie sehnen sich danach. Sie wollen unbedingt das Gegenteil machen von dem, was die Elterngeneration vorgelebt hat. Sie wollen den Krieg nicht, sie wollen leben, tanzen, lieben, sich amüsieren und sich nicht nur Sorgen machen und trauern. Das ist ein Bild dafür, was sich da gegenübersteht. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass sie in keiner Weise da sind, wo unsere jungen Frauen in Deutschland heute sein dürfen. Die haben noch ganz andere Zwänge. Man sieht auch, wie eine junge Frau in ein Frauenheim abgeschoben wird, weil sie gern feiert und mit Männern flirtet.
Ebendiese junge Frau muss später abtreiben lassen. Die größte Sorge der von Ihnen gespielten Mutter ist, dass jemand davon erfahren könnte. Auch heute, 70 Jahre später, sind Abtreibungen für manche noch ein Tabuthema. Warum ist das wohl so?
Abtreibungen sind ein hoch moralisches Thema, an dem sich die Geister scheiden und wo es auf der einen Seite ein sehr konservativ-christliches Bild davon gibt, was Leben ist, woher es kommt und wie es zu schützen ist. Für einige steht das Leben des ungeborenen Kindes über dem der Mutter. Es gibt eine tiefgreifende Angst davor, dass Frauen „einfach so“ abtreiben. Das macht mich so sauer. Keine Frau treibt gerne ab. Es gibt keine Frauen, die leichtfertig nicht verhüten, jeden Monat die Pille danach nehmen oder sich einfach das Baby wegmachen lassen. Jede Frau muss über ihren Körper selbst bestimmen dürfen.
Dafür, dass es immer noch Menschen gibt, die denken, dass Frauen leichtfertig abtreiben oder die Pille danach nehmen, spricht auch, dass, als die Pille danach rezeptfrei wurde, die Sorge groß war, dass mehr Frauen sie nehmen würden.
Absolut. Das ist eine Unverschämtheit. Ich finde es sehr tragisch, dass man in diesem Diskurs Frauen immer noch so betrachtet und ihnen das komplette Recht abspricht, ihre eigenen weitreichenden Entscheidungen zu treffen.
Großes Thema ist in der Serie auch der Rassismus gegen Schwarze sowie Antisemitismus. Was kann die Serie zu den aktuellen Debatten beitragen?
Serien oder Filme können immer viel beitragen. Wenn wir die Vergangenheit nicht kennen, können wir die Gegenwart nicht ändern. Wenn wir nur ansatzweise jemanden erreichen mit der Serie, der sich darüber Gedanken macht, hat es einen Sinn. Gerade die junge Generation denkt, dass das alles sehr lange her ist – ist es aber nicht. Es ist wichtig, dass das immer wieder erzählt wird und in den Köpfen ist. Dass es so dargestellt wird, wie es war. Wenn man den Rest der Welt anschaut, ist dieses Thema alles andere als tiefgehend bearbeitet.
Hat die Auseinandersetzung für die Serie damit Ihren Blick auf Rassismus auch verändert?
Nein, das ist mir alles sehr bewusst gewesen und ein Thema, über das ich viel nachdenke und das sehr präsent in meinem Leben ist. Der alltägliche und strukturelle Rassismus ist verankert in unserer Gesellschaft, und das muss man um jeden Preis auflösen. Das ist unsere Aufgabe – und die der neuen Generation.
Zu der gehören auch Ihre Kinder. Sprechen Sie mit denen auch darüber?
Na klar! Wenn man bedenkt, dass das Wort „schwul“ oder „behindert“ in der Schule x-mal am Tag als Schimpfwort benutzt wird, muss man mit seinen Kindern darüber sprechen. Das sind alles Dinge, die ins Bewusstsein müssen. Wir sperren Andersartigkeit immer noch und immer wieder aus. Darüber muss man sprechen.