„Sommerhaus der Stars“: Der Tiefpunkt des Privatfernsehens
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„Bachelor“ Andrej Mangold (Mitte) im „Sommerhaus der Stars“.
© Quelle: TVNOW
Köln/Bocholt. Das Genre „Trash TV“ ist ja ohnehin ein ganz Spezielles. Von den einen wird es gehasst, von den anderen geliebt – und wer um private Fernsehsender grundsätzlich einen großen Bogen macht, der weiß vermutlich nicht einmal, dass es existiert.
Es lohnt sich aber dennoch, mal über das „Trash TV“ zu sprechen. Denn in diesem Jahr sind in diesem ganz speziellen Genre gleich mehrere Dinge vorgefallen, die man so nicht einfach stehen lassen sollte. Es geht um nicht weniger als die Frage: Wie weit darf das Privatfernsehen eigentlich gehen? Und die aktuelle Staffel „Das Sommerhaus der Stars“, die am Sonntag zu Ende ging, wirft diese Frage ganz sicherlich auf.
Selbst RTL distanziert sich
Für eingefleischte „Trash TV“-Verweigerer zunächst eine kurze Einordnung: „Das Sommerhaus der Stars“ funktioniert im Prinzip nicht anders als jedes andere Realityformat auch: Mittelmäßig bekannte „Prominente“ werden auf viel zu engem Wohnraum zusammengepfercht – und dann wartet man darauf, dass es knallt.
Das funktioniert in den meisten Fällen ziemlich zuverlässig und ist auch durchaus unterhaltsam. Und im „Sommerhaus“ ist der Knallfaktor noch mal eine ganze Spur größer. Die vermeintlichen „Stars“ ziehen hier nämlich mit ihrem Lebensgefährten oder ihrer Lebensgefährtin ein und kämpfen um 50.000 Euro. Das sorgt für weiteres Konfliktpotenzial.
Beim „Sommerhaus der Stars“ war dieses Konfliktpotenzial in diesem Jahr jedoch so hoch, dass sich sogar RTL-Unterhaltungschef Kai Sturm gezwungen sah, von der Sendung Abstand zu nehmen. In einem Interview mit dem Portal „Übermedien“ sagte Sturm in der vergangenen Woche, die „Aggressivität und das unangenehme negative Gefühl“ dieser Staffel, habe sogar RTL selbst „betroffen gemacht“. Und wenn RTL selbst etwas peinlich ist, dann soll das schon was heißen.
Ein Mobbingexzess wie auf dem Schulhof
Tatsächlich war das „Sommerhaus der Stars“ so ziemlich das Unangenehmste, was man in diesem Jahr im Fernsehen gucken konnte. Wenn nicht gar der Tiefpunkt des Privatfernsehens. Denn im Prinzip war das „Sommerhaus“ nichts anderes als ein großer Mobbingexzess auf dem Schulhof.
Anführer der Problemklasse war Andrej Mangold, ein 33 Jahre alter Basketballspieler aus Hannover, und vor allem: Der RTL-„Bachelor“ des Jahres 2019. Einer, der seine 335.000 Instagram-Follower mit Sixpackbildern, Bizepstrainings und Selbstoptimierungszitaten im Teal-und-Orange-Filter versorgt. Einer, der es wegen seiner unfassbaren Perfektion sogar auf das Cover der „Men’s Health“ schaffte. Ein unglaublicher Supertyp eben.
Ebenfalls im Sommerhaus: Mangolds nicht minder perfekte Lebensgefährtin Jennifer Lange. Sie lernte ihren „Bachelor“ Andrej in eben jener RTL-Show kennen. Seither gibt man sich auf Instagram als das unkaputtbare Superpaar. Und dieses Image ist vor allem eins: ziemlich lukrativ. Mangold und Lange wurden in den vergangenen Monaten gerade so zugeschüttet mit Werbedeals für Limonaden, Autos, Fitnessprodukte und sonstige Dinge, auf die perfekte heterosexuelle Superpaare halt so abfahren.
Manipulation und Beleidigung
Doch wie das nun mal so ist mit Instagram: Es ist mehr Schein als Sein. Und das selbstoptimierte Influencerpaar entwickelte sich im Laufe der „Sommerhaus“-Staffel zur menschlich recht dürftig optimierten Manipulationsmaschine. Grund dafür war eine Person, die das Paar partout nicht in seinem Sommerhaus haben wollte: Eva Benetatou, ehemalige Konkurrentin von Jennifer Lange und Zweitplatzierte von Mangolds „Bachelor“-Staffel.
Was daraufhin passierte, war nichts anderes als Mobbing nach Lehrbuch: Mangold, schnell etabliert als unantastbarer Gruppenleader, schaffte es dank diverser kleiner Psychotricks, nahezu die gesamte Sommerhausbelegschaft zu manipulieren und gegen Benetatou aufzuhetzen. Und wer nicht nach der Pfeife des Bachelors tanzte, wie etwa Katzenberger-Mama Iris Klein, wurde folglich selbst auf die Abschussliste gesetzt.
Deutlich weniger subtil reagierten die manipulierten Mitinsassen auf Benetatou. Youtuberin Lisha überschüttete Eva mit den übelsten Beleidigungen, auch DSDS-Teilnehmerin Annemarie Eilfeld und deren Freund Tim Sandt teilten weit unter der Gürtellinie aus. Über mehrere Folgen ging das so, die Lage eskalierte zunehmend – bis am Ende die Gerechtigkeit siegte.
Benetatou durfte nach einem gewonnen Spiel ein Paar aus dem „Sommerhaus“ wählen – und entschied sich für die „Bachelors“ Mangold und Lange. Diese waren daraufhin nicht nur den Platz im Sommerhaus los – sondern auch ihre Influencerkarriere. Gleich mehrere Werbepartner, wie etwa der Safthersteller Granini und das Porschezentrum Landau distanzierten sich öffentlich von den Mobbingattacken des Bachelor-Paares. Seit Ende September haben Mangold und Lange nichts mehr auf Instagram gepostet, die Kommentarfunktionen wurden nach einem handfesten Shitstorm gegen die beiden eingeschränkt.
Mobbing auch bei „Promis unter Palmen“
Das Problematische an der ganzen Sache: Dieser Vorfall ist nicht der erste seiner Art. Erst im Frühjahr hatte die Sat.-1-Show „Promis unter Palmen“ mit einem ganz ähnlichen Mobbingexzess für Entsetzen gesorgt. Damals ging der selbsternannte „Lifecoach“ Bastian Yotta zusammen mit den Z-Promis Matthias Mangiapane und Carina Spack auf die Modeunternehmerin Claudia Obert los.
Ähnlich wie im Sommerhaus wurde die Protagonistin aufs Übelste beleidigt – bis sich schließlich die gesamte Gruppe ins Schlafzimmer der Villa begab, um Obert vollends fertig zu machen. Schlussendlich verließ Obert das Zimmer und schlief weinend im Wohnzimmer auf dem Boden ein. Nur einer der Kandidaten zeigte an diesem Abend Zivilcourage: Realityteilnehmer Tobias Wegener.
Auch hier nahm der Fall ein ganz ähnliches Ende: Obert wurde nach dem Finale eine Art Kultgast in diversen TV-Formaten, auch Wegeners Influencerkarriere profitierte. Von Yotta hingegen distanzierten sich gleich mehrere Sender. Und auch Werbepartner wollten nach dem Vorfall nichts mehr mit dem Lifestylecoach und seinen Mitakteuren zu tun haben.
Wie konnte das nur so eskalieren?
Wie es überhaupt zu derartigen Eskalationen vor der Kamera kommen konnte, bleibt nun, auch nach dem „Sommerhaus der Stars“, ein großes Rätsel. Die Antwort dürfte sich vermutlich in der Zusammensetzung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer finden, an der die ausrichtenden Sender natürlich eine Mitschuld haben.
Bei den vermeintlichen „Stars“ handelt es sich natürlich nicht um echte Prominente, die irgendeinen Ruf zu verlieren hätten. Tatsächlich ist das Teilnehmerfeld ein bunter Mix aus selbst hochgezüchteten Reality-TV-Teilnehmern (oftmals aus Kuppelformaten wie dem „Bachelor“), ehemaligen Zwölftplatzierten von „DSDS“, gescheiterten Existenzen und narzisstischen Instagram-Influencern, die alles für die große TV-Karriere tun würden. Und dann gibt es eben noch die etwas erfolgreicheren „Bachelors“, wie Mangold und Lange, die die TV-Plattform für sich selbst und ihre Imagepflege nutzen wollen – und dabei krachend scheitern. Eine explosive Mischung.
Wer nur wenige Minuten einer „Sommerhaus“-Folge beobachtet, der wird schnell feststellen, worum es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor allem geht: um sich selbst. Hier wird mit Instagram-Followerzahlen geprahlt und sich sogar daran gemessen. Hier wird jedes noch so belanglose Ereignis auf sich selbst projiziert und zum großen Konfliktthema hochgejazzt. Die „Bachelors“ Mangold und Lange beispielsweise waren felsenfest der Ansicht, dass die Teilnahme Benetatous einzig und allein ihrer Provokation diene.
Die ausrichtenden Sender RTL und Sat.1 dürften das beim Casting der Protagonisten bewusst mit eingerechnet haben. Aber, so viel muss man ihnen lassen: Mit einer solchen Eskalation dürften vermutlich auch sie nicht gerechnet haben.
Darf man so was ausstrahlen?
Bleibt also noch eine Frage zu klären. Wenn sich eine solche Eskalation nicht verhindert lässt – darf man sie denn dann senden?
Nun, es kommt wahrscheinlich darauf an, wie man es macht. Im Falle von „Promis unter Palmen“ bei Sat.1 beispielsweise wurde der Mobbingexzess als großer Spaß mit dramatischer Musik inszeniert. Die Verantwortung für die eigene Sendung wurde an diesem fragwürdigen Abend im April an den Teilnehmer Tobias Wegener abgegeben, der das Mobbing seiner Mitinsassen verurteilte.
Beim „Sommerhaus der Stars“ war das ein bisschen anders. Hier wurde das Verhalten von Bachelor Mangold auch im Off-Text der Sendung süffisant eingeordnet und bewertet. Und: Er ging, im Gegensatz zu Yotta, am Ende nicht als Sieger aus dem Haus. Eine nicht ganz unwichtige Botschaft.
Es wäre wohl auch falsch gewesen, die Szenen nicht zu zeigen. Wäre das passiert, wären Mangold und Lange auch heute noch die erfolgreichen Fitnessinfluencer mit Limowerbedeal. Das wäre nach der Sommerhausaktion schlichtweg nicht gerechtfertigt. Selbst wenn das „Sommerhaus“ nur eine Trash-TV-Show ist: Sie kann auch moralische Werte aufzeigen, wie in diesem Fall. Mobbingopfer Eva Benetatou geht, ähnlich wie Claudia Obert, als klare Siegerin aus der Show hervor – am Ende gewinnt eben doch die Menschlichkeit.
Klare Arbeitsverweigerung seitens RTL
Zur Einordnung des ganzen Desasters hätte letztendlich die große „Aussprache-Show“ am Sonntagabend, direkt nach dem „Sommerhaus“-Finale, dienen können. Doch diese grenzte fast an Arbeitsverweigerung seitens RTL. Das Bachelor-Paar Mangold und Lange übte sich in altbekannter Täter-Opfer-Umkehr, während Moderatorin Angela Finger-Erben sie unwidersprochen gewähren ließ. Man hätte auch einen Psychologen oder einen Anti-Mobbing-Coach mit ins Studio setzen können. Aber das war es RTL offenbar nicht wert.
Die passenden Worte fand ausgerechnet Mobbingopfer Eva Benetatou zum Ende der Sendung: „Das, was da drin mit mir gemacht wurde, spiegelt einen Teil unserer Gesellschaft wider. Es gibt Menschen, die vielleicht nicht so stark sind wie wir, die sich sogar selbst was antun in so einer Situation. Ich wünsche das keinem Menschen. Das Sommerhaus sollte vielleicht dem ein oder anderen Mal die Augen öffnen, was eigentlich damit angerichtet werden kann.“
Moderatorin Finger-Erben hatte nach Benetatous Rede nur noch einen Kommentar parat: „Ja, das ist natürlich kein Zuckerschlecken.“ Chance vertan, RTL. Auf allen Ebenen.