Jane Campion kann auch Western: „The Power of the Dog“ bei Netflix
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Ein Mann stemmt sich gegen den Wandel der Zeit: Phil Burbank (Benedict Cumberbatch) in Jane Campions neuem Film „The Power of the Dog“, der seit heute bei Netflix streambar ist.
© Quelle: imago images/ZUMA Press
Der Viehtrieb kommt auf die Stadt zu. Schon weit weg steht die Staubfahne der Herde wie die Klinge eines Kriegsgottes am Himmel. Mit den Hirten kommt viel Wirbel in die Stadt. Der Whisky wartet, die Huren warten auch. Nur der Zug, auf den die Tiere verladen werden sollen, hat Verspätung. So war das auch schon in den frühen Tagen der Stahlrösser. Wenn auf alles Verlass ist – die Eisenbahn lässt dich garantiert hängen.
Die Brüder Phil (Benedict Cumberbatch) und George (ein großartiger Jesse Plemons) sind die Herren der Ranch. Der schmutzige Phil, der Neumodisches wie Badewannen scheut, schwärmt in einem fort von „Bronco Henry“, dem Idol, das ihn und George einst alles über Rinder und das Cowboysein gelehrt hat. Und Gentleman George, der ein anderes Leben vor sich hatte, aber an den Hürden der Universität gescheitert ist, verliebt sich in Rose Gordon (Kirsten Dunst), eine hübsche, traurige Witwe aus der Stadt, die seinem unbeholfenen Trost nachgibt und einer charmanten Geste erliegt.
Bei Rose ist ihr Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee), ein Teenager, den man zu Beginn des Films sprechen hört: „Als mein Vater starb“, erklingt die zitternde Stimme aus dem Off, „wollte ich nichts mehr als das Glück meiner Mutter. Was wäre ich für ein Mann, wenn ich meine Mutter nicht retten würde.“ Eine Prophezeiung des Unheils.
Ein Drama aus einer alten Zeit, die im Sterben liegt
Das schmeckt nach Tragödie, nach einem Drama à la Ibsen vor einem Ranchhaussetting, wie man es ähnlich staubig und verloren in George Stevens‘ Texas-Epos „Giganten“ (1955) mit James Dean antraf. Jane Campions „The Power of the Dog“ ist denn auch in Akte gegliedert wie ein Theaterstück. Die Bühne ist in der Verfilmung des Romans von Thomas Savage die sterbende alte Welt der Cowboys. Die Autos mischen sich im Montana der Zwanzigerjahre unter die Pferde und Kutschen, immer mehr Zäune machen das freie Amerika eng und unbequem für die Viehzüchter.
Die ungleichen Brüder Burbank schlafen zu Hause immer noch in einem Zimmer wie in Kindertagen. Phil gibt den Ton an, George gibt nach. George aber, den sein Bruder nur „Fettkloß“ nennt, hat einen Fuß im neuen Jahrhundert, während der hartgesottene Phil im nächtlichen Blick zur Zimmerdecke das Verschwinden von etwas zu ahnen scheint und sich dagegen sträubt.
Campion-Fans werden die Szene mit dem Stutzflügel lieben
Er kann „die Selbstmörderwitwe“ mit ihrem „halbgaren Sohn“ nicht leiden, lässt seiner Wut in bissigen Bemerkungen Lauf, schlägt sein Pferd und macht seiner Schwägerin das Leben schwer. „Ich bin nicht dein Bruder“, ist der zornige Willkommensgruß des Ungeselligen, „du bist eine schäbige Intrigantin.“ In Georges Bemerkung, „wie schön es doch ist, nicht mehr allein zu sein“, spiegelt sich dagegen die viel zu lange erduldete Einsamkeit eines Menschen in einem ihm fremd gewordenen Leben.
Campion-Fans werden die Szene mit dem Stutzflügel von Mason & Hamlin lieben, das über den Hof geschleppt wird. Sie könne nur Melodien spielen, sagt Rose, doch haargenau das wolle er hören, sagt George, der ihr das Instrument schenkt. Ganz unaufdringlich streut die Australierin, deren Weltruhm 1993 mit dem Welterfolg „Das Piano“ begann, dieses Selbstzitat ein.
Kamerafrau Ari Wegner liefert grandiose Landschaftspanoramen
Dann spielt Rose einen holprigen Radetzkymarsch und Phil folgt der Melodie von oben mit seinem Banjo. Eine Herausforderung, aus der ein kleiner, wild plinkernder Banjoritt wird. Bei einem Dinner mit dem Gouverneur und den Burbank-Eltern verweigert sich Rose, eingedenk ihrer mangelnden Virtuosität, einer Nachtmusik. Der gesellschaftliche Aufstieg bleibt verwehrt, Rose flüchtet sich in den Alkohol, sie wird unmöglich.
John-Ford-Monumentalität steckt in den Landschaftspanoramen von Kamerafrau Ari Wegner („Zola“). Da sind die Liebenden klein mit ihrem Schnauferl inmitten des majestätischen Gebirges, über dem die Sonne ihre Lichtspiele mit den Wolken macht. Da zieht die Rinderherde über die Hügel und im Hintergrund stehen die Berge wie versteinerte Tsunamis, darüber ein schwefelgrauer Regenhimmel. Die Natur stellt ihre Ewigkeit aus gegen die Vergänglichkeit ihrer Bewohnerinnen und Bewohner.
Inmitten der durchweg beeindruckenden schauspielerischen Leistungen des Ensembles ist es vor allem der 25-jährige Kodi Smit-McPhee („Gallipolli“) als Roses gertenschlanker Sohn Peter, der in Erinnerung bleiben wird. Er ist geradezu zerbrechlich zart – ein Bastler, Künstler, ein feinsinniger, empathischer junger Mann, der Alben gestaltet und sich auf das Falten und Schneiden wunderschöner Papierblumen versteht, der aber – man täusche sich nicht – auch Hühner und Hasen schlachten kann.
Rancher Phil erkennt in Peter einen Schüler – und mehr
Anfangs ist Peter nur ein weiteres Opfer für Spott und Machosprüche des rüden Phil und seiner Leute, dann aber sieht der Rancher in dem Jungen mit den riesigen Augen und den weißen Tennisschuhen mehr, eine Art Schüler. Phil fühlt sich – auch körperlich – angezogen. Er will für Peter sein, was Bronco Henry für ihn selbst war. Was offenbar mehr war als Reiten, Schießen, Hüten, das Knüpfen von Seilen. Sein Rat: „Lass dich von deiner Mutter nicht zum Schwächling machen.“ Doch das ist Peter nicht. Genau – was folgt in Tragödien auf Unterschätzung?
Und so wartet auf diesem „Brokeback Mountain“ keine Erfüllung. Jane Campion hat einen Western gedreht. Es ist der Western des Jahres.
„The Power of the Dog“, 128 Minuten, Regie: Jane Campion, mit Benedict Cumberbatch, Kodi Smit-McPhee, Kirsten Dunst, Jesse Plemons (streambar bei Netflix)