„Watchmen“ – Eine Sternstunde des Serienfernsehens
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Am Tatort einer Lynchjustiz: Sister Night (Regina King) und Red Scare (Andrew Howard), Polizisten einer Spezialeinheit, müssen im rassistischen Oklahoma der Serie „Watchmen“ maskiert arbeiten.
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„Who watches the Watchmen?“ – Wer wacht über die Wächter? Das war der Slogan zur inzwischen legendären Heftchenserie „Watchmen“, die 1986 unseren Blick auf die Superhelden der Comics nachhaltig veränderte. Texter Alan Moore und Zeichner Dave Gibbons gingen davon aus, dass die verkleideten Kämpfer für Recht und Gesetz Charakterdefizite hatten wie jedermann, die sich langfristig negativ auf ihr Selbstverständnis und ihre Mission auswirkten. Die Mitglieder der „Wächter“ waren nicht ohne Fehl und Tadel wie Superman oder Spider-Man. Waren mal eitel, mal zynisch, mal kalt, mal brandgefährlich und erhaben über alle Kritik. Moralische Grauzone. Und moralische Finsternisse.
In dem Paralleluniversumsamerika von „Watchmen“, in dem sich der republikanische Populist Richard Nixon nach dem Sieg in Vietnam das Präsidentenamt quasi auf Lebenszeit gesichert hatte – die „Washington Post“-Reporter Woodward und Bernstein werden ermordet, statt Nixon über Watergate stürzen zu lassen –, machte sich Mitte der Achtzigerjahre ein Unbekannter daran, die von Politik und Gesellschaft in den Ruhestand gezwungenen Watchmen umzubringen. Und Rorschach, ein Detektiv à la Philip Marlowe mit unbeugsamem Rechtsverständnis, offen undemokratischer Gesinnung und einem zynischen Blick auf die Welt, begann – unter seiner eindrucksvollen Maske mit sich stets verändernden Rorschachmustern –, diesen Morden nachzuspüren.
Die Rassisten der 7th Cavalry tragen Rorschachmasken
In der Fernsehserie „Watchmen“, die 35 Jahre später spielt (eine Folge pro Woche ist ab Montag, 4. November, bei Sky zu sehen), ist längst Robert Redford liberaler Präsident (er wird in der Serie leider nicht von Redford selbst verkörpert). Der Gründer des Sundance-Filmfestivals will vom Weißen Haus aus endlich die Versöhnung mit der schwarzen Bevölkerung der USA erreichen, jahrhundertelanges Unrecht ausgleichen. Dieses Händereichen ruft die 7th Cavalry auf den Plan, die Erben des Ku-Klux-Klan, die ihr White-Supremacy-Unheil interessanterweise unter Rorschachmasken stiften.
Doch selbst Polizisten müssen im Oklahoma dieser Welt ihr Gesicht verhüllen, um keine tödlichen „Hausbesuche“ von den Rassisten zu bekommen. Früh in der ersten Folge erleben wir eine Straßenkontrolle, bei der ein zunehmend besorgter Streifenpolizist seine Waffe nicht rechtzeitig von der Zentrale aus der Verriegelung im Polizeiwagen freigeschaltet bekommt. Amerika ist Kriegsgebiet, da stirbt der Langsamere schon mal.
Ein gelynchter Weißer bringt die Ereignisse ins Rollen
So hat der Polizist Judd Craword (Don Johnson), Leiter einer Spezialeinheit mit verkleideten Kämpfern, die sich in der Tradition der „Watchmen“ Kampfnamen wie Sister Night (Oscarpreisträgerin Regina King), Looking Glass (Tim Blake Nelson) und Red Scare (Andrew Howard) gegeben haben, in der hassgeladenen Atmosphäre des Südens alle Hände voll zu tun. Am Ende der ersten Episode geschieht dann ein Lynchmord. Ein Weißer hängt an einem Baum außerhalb von Tulsa, darunter findet Sister Night einen alten, schwarzen Mann im Rollstuhl (Louis Gossett Jr.) mit einer Galgenschlinge auf dem Schoß. Dieser Will Reeves weiß von einem Geheimnis, hat selbst eines und muss flugs aus der Schusslinie der Cavalry gebracht werden. Da befinde sich ein Skelett im Wandschrank des Toten, flüstert der mutmaßliche Mörder der Polizistin zu. Und die findet tatsächlich etwas, das das Mordopfer in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt.
Alles, was in der ersten Staffel von „Watchmen“ geschieht, geht zurück auf das Jahr 1921, als in Tulsa, Oklahoma, die Weißen ein blutiges Schlachtfest mit 300 vornehmlich schwarzen Toten feierten. Nie gehört? Einfach mal „Tulsa 1921“ bei Wikipedia eintippen. Sie werden fassungslos sein. Die Wissenschaftler streiten heute nur noch darum, ob tatsächlich Doppeldecker das Schwarzenviertel Greenwood aus der Luft angegriffen haben. Aber bei allen nachfolgenden Rassenunruhen der Zwanzigerjahre sollen Schwarze sorgenvoll zum Himmel geblickt haben, um ihre Mitbürger rechtzeitig vor Flugzeugen mit Dynamit zu warnen. All das geschah, nachdem sich in Tulsa das Gerücht verbreitet hatte, ein schwarzer Junge habe eine weiße Frau vergewaltigt.
Die Serie „Watchmen“ verweist auf unsere Gegenwart
Natürlich verweist die Serie damit auch auf unsere Gegenwart. In der ein bescholtener Präsident nicht willens und in der Lage ist, sich mit Anstand gegen Faschisten und Rassisten zu stellen, ja im Verdacht steht, mit ihnen zu sympathisieren. In der dieser Donald Trump mit einem Vokabular der Feindseligkeit die Spaltung Amerikas (auch von Schwarz und Weiß) bewusst vorantreibt, als träume er tatsächlich von einem Zweiten Bürgerkrieg.
In der „Watchmen“-Realität ist die Präsidentschaft beliebig verlängerbar, ist aus der amerikanischen Demokratie eine Art Kaiserherrschaft geworden, die mit dem jeweiligen Amtsinhaber steht und fällt. Nixon war bäh, Redford scheint ein Guter zu sein. „Watchmen“ ist auch ein Zaunpfahlwink in unsere Wirklichkeit, die immer stärker erweiterten Befugnisse des Amts wieder deutlich einzuschränken: „Who watches the presidents?“
Landlord Ozymandias – Charaktere der Comicserie tauchen auf
Showrunner Damon Lindelof verknüpft seine Serie eng mit der Comicvorlage. Einige ihrer Helden tauchen auch hier auf: Der auf dem Mars zurückgezogen lebende Übermensch Dr. Manhattan wird immer mal wieder erwähnt und angefunkt. Der verschroben-durchgeknallte Menschheitsretter Adrian Veidt (Jeremy Irons) alias Ozymandias (der im Comic ein Dimensionentor öffnete und ein Millionen mordendes Tentakelmonster auf New York fallen ließ, was den Dritten Weltkrieg verhinderte und die einander bekämpfenden Supermächte USA und UdSSR einte) führt das Leben eines Landlords. Er reitet auf einem weißen Hengst über grüne Hügel, klont sich nach Gusto seine Bediensteten, um sie dann auf allerhand schrullig bis bizarre Arten wieder loszuwerden. Und Laurie Blake (Jean Smart), die in ruhmreicheren Zeiten die Wächterin Silk Spectre war, ist eine allem Mummenschanz gegenüber längst skeptisch eingestellte FBI-Beamtin, die nach Tulsa reist, um den Fall von offenbar schwarzer Selbstjustiz aufzuklären und die Sister Night schließlich Elementares über ihre Herkunft verrät.
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Was das „Game of Thrones“-Haus HBO hier geschaffen hat, ist großes Kino auf kleinem Schirm, so fesselnd wie „Chernobyl“, „Big Little Lies“, „Sopranos“, und „The Night Of“, die großen Serien dieses Senders, der es nach wie vor viel besser als Netflix und Amazon versteht, dauerhaft Klassikerqualität zu erzeugen. Vortrefflich besetzt, erzählt, gefilmt, mit einem beunruhigenden Soundtrack von Atticus Ross und Nine-Inch-Nails-Chef Trent Reznor bestückt, ist die bedächtige, achtsame, zuweilen in Szenen mit äußerster Gewalt explodierende Serie „Watchmen“ nicht nur ein Muss für alle Freunde des Fantastischen, sondern eine Sternstunde des Serienfernsehens überhaupt.
HBO macht Teenies froh und Erwachsene ebenso
Weiter gilt also das alte Poem aus den Tagen der Gefängnisserie „Oz“: „HBO macht Teenies froh / und Erwachsene ebenso / war nie anders, ist halt so / immer bringt’s die größte Show.“ Steht jetzt nur zu hoffen, dass Lindelof nicht wieder die kreative Luft ausgeht und es zu Handlungswirrungen kommt wie einst bei seiner Sci-Fi-Massenrobinsonade „Lost“. Bis zu Episode sechs hat „Watchmen“ jedenfalls die „Game of Thrones“-Klasse. Die Frage ist: „Who watches the Showrunner?“
„Watchmen“ ist ab 4. November immer montags um 20.15 Uhr auf Sky Atlantic HD zu sehen. Die neun Episoden umfassende Sci-Fi-Serie ist auch auf Sky Go, Sky Ticket in Deutschland und Sky X Sky X in Österreich sowie über Sky Q auf Abruf verfügbar.