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Youtuber zensieren Videos: Wie LGBT-feindlich ist der Youtube-Algorithmus?

Benachteiligt Youtube mit LGBT-Themen? Zumindest einige Indizien sprechen dafür.

Benachteiligt Youtube mit LGBT-Themen? Zumindest einige Indizien sprechen dafür.

Hannover. Der Vorwurf klingt erst einmal unglaublich: Benachteiligt der Youtube-Algorithmus Videos, die Wörter wie „schwul“, „Homophobie“ oder „homosexuell“ beinhalten? Und werden queere Inhalte dadurch systematisch auf der Plattform unterdrückt? Anlass für die Frage ist ein Video des Youtubers Rezo, das aktuell in den sozialen Netzwerken diskutiert wird.

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In dem Clip ist zu sehen, wie Rezo und sein Youtube-Kollege Julien Bam auf ein Tiktok-Video von Matti Karstedt reagieren, dem Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Brandenburg. Karstedt kritisiert in seinem Video CDU und CSU für ihren Umgang mit LGBTQIA-Themen. Rezo und Julien Bam zeigen den Clip in ihrem Video und urteilen: „Boah, Mic-Drop, Matti“ (Rezo) und „Krass, Mann“ (Julien Bam).

Doch irgendetwas ist anders in dem Zusammenschnitt: Das abgespielte Tiktok-Video hat in der Rezo-Version auffällig viele Lücken. Lücken, die im Original gar nicht existieren. Immer wieder wird bei ganzen Wörtern die Tonspur abrupt ausgeblendet – ganz offensichtlich haben Rezo oder sein Team bestimmte Wörter absichtlich zensiert. Auffällig ist auch, welche Wörter das sind: Homosexualität, homosexuell, schwul und Homophobie.

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Selbstzensur für Werbeeinnahmen

Auf Twitter hat die Selbstzensur des Rezo-Videos eine kleine Diskussion ausgelöst. Die Nutzerin @tatentschluss twitterte einen Ausschnitt und kommentierte: „Ja lol ey. Anscheinend darf man auf YouTube Wörter wie ‚Homosexuell‘ oder ‚Homphobie‘ nicht sagen, ohne Werbeeinbüßen zu erfahren – und @rezomusik ist das anscheinend auch wichtiger, als dagegenzuhalten und zensiert brav. Wow.“ Auch andere Nutzerinnen und Nutzer werfen dem Youtuber vor, sich eher dem Youtube-Algorithmus zu beugen, als in solchen Fällen einfach auf die Werbeeinnahmen zu verzichten.

Rezo selbst reagierte umgehend auf die Kritik. Sein Cutter sei schuld, deutete er auf Twitter an. Das Video habe er selbst nicht abgenommen, da es sich nur um den Zusammenschnitt eines Livestreams handele. Er werde die Kritik weitergeben.

Dass in diesen Zusammenschnitten jedoch Wörter zensiert würden, sei normal. „In fast jedem Video werden Worte gemutet, z. B. wird ‚Sexuell‘ generell oft entfernt egal ob ‚Heterosexuell‘ oder ‚Homosexuell‘. Dennoch hat der Cutter hier zu viel gemutet. Werde das feedbacken“, schreibt der Youtuber. Tatsächlich wurden im Rezo-Video nicht nur Wörter zensiert, die das Wort „sexuell“ beinhalten – sondern auch die Wörter „schwul“ und „Homophobie“.

Der LGBT-feindliche Algorithmus

Alternativen zur Selbstzensur sieht Rezo offenbar nicht: „Eine Möglichkeit wäre, solche Aufklärungen komplett rauszuschneiden. Damit wäre ich unangreifbar. Aber es ist mir wichtig, dass so was drin bleibt. Andere Möglichkeit wäre, nix zu muten. Dann wird das Video (und dieses Thema) aber weniger Leuten angezeigt. Dass Plattformen solche Themen in Reichweite einschränken, kritisiere ich seit Jahren öffentlich und intern scharf. Das muss sich ändern.“

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Rezo habe schon „unzählige Stunden mit YouTube um solche Fälle gestritten, Videos teils wochenlang bis zur Klärung nicht veröffentlicht oder 20 Versionen hochgeladen, bis es ohne Zensur klappt“, so der Youtuber.

Das, was hier unter einem weitestgehend unbeachteten Twitter-Thread diskutiert wird, ist in Wirklichkeit – sollte all das denn wirklich stimmen – ein handfester Skandal. Denn hinter der Diskussion steht eine weitaus größere Frage: Wertet der Youtube-Algorithmus tatsächlich Videos mit LGBT-Vokabular ab? Und damit auch unzählige queere Inhalte?

Die Antwort: Es gibt zumindest Indizien dafür.

Was Youtube selbst sagt

Befragt man Youtube selbst zum Thema, erhält man reichlich schwammige Antworten. Das Unternehmen verweist auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) auf seine „Richtlinien für werbefreundliche Inhalte“. Darin sind zahlreiche Punkte aufgeführt, die zur Einstufung eines Videos als „werbeunfreundlich“ führen können.

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Geschieht dies, wird bei einem Youtube-Video die Werbung ausgeblendet – der Youtuber oder die Youtuberin verdient ab diesem Moment kein Geld mehr damit. In der Youtube-Sprache nennt sich das auch „Demonetarisierung“.

Videos über Drogen, Gewalt sowie hasserfüllte Inhalte stehen zum Beispiel auf der No-Go-Liste. Aber auch Punkte wie „unangemessene Sprache“ oder „Inhalte für Erwachsene“ tauchen auf der Liste auf, wozu laut Youtube auch „sexualisierte Inhalte“ gehören. Wirklich präzise formuliert sind die Regeln nicht. Gehört ein Video über schwule Beziehungen oder ein LGBT-Aufklärungsvideo beispielsweise schon zu „Erwachseneninhalten“? Oder geht das noch durch?

Plattform hält sich bedeckt

Youtube sagt, man erlaube durchaus, LGBT+-Inhalte zu monetarisieren, solange sie diese Richtlinien befolgen. Der Youtube-Algorithmus oder die „Systeme“ wie Youtube es nennt, würden ständig evaluiert und angepasst, damit die Richtlinien „ohne jegliche Voreingenommenheit“ durchgesetzt werden könnten. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden umfangreich geschult.

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Was die Plattform trotz Nachfrage nicht beantwortet: Ob Videos mit Wörtern aus dem LGBT-Vokabular, wie etwa „schwul“, „Homosexualität“ oder „Homophobie“, vom Youtube-Algorithmus benachteiligt werden können.

Weitaus hilfreicher ist bei dieser Frage eine monatelange Untersuchung, die Youtuber im Jahr 2019 durchgeführt haben. Zu der Forschungsgruppe gehörten ein Datenforscher, der auf Youtube als Sealow bekannt ist, der Youtuber Andrew Platt, ein Mitglied des Kanals Nerd City und ein Youtuber namens Sybreed.

Zahlreiche Videos demonetarisiert

Das Ergebnis damals: Offenbar springt der Youtube-Algorithmus tatsächlich negativ auf Videos an, die Wörter aus dem Bereich LGBT beinhalten, etwa „gay“ oder „lesbian“ (schwul und lesbisch). Nach dem Testen von über 15.000 Wörtern kam die Gruppe in einem schriftlichen Bericht zu dem Schluss, dass Youtube automatisch Videos als werbeunfreundlich markiert, die bestimmte Schlüsselwörter in ihren Titeln enthielten – einschließlich einer breiten Palette von queerfreundlichen Vokabeln.

In einer weiterführenden Untersuchung, die ausschließlich mit queerem Vokabular durchgeführt wurde, fanden die Youtuber dann heraus, dass 33 Prozent der von ihnen getesteten Videos mit queeren Inhalten in den Titeln automatisch demonetisiert wurden. Der Clou: Ersetzten sie LGBT-Begriffe wie „gay“ oder „lesbian“ durch Begriffe wie „friend“ oder „happy“ („Freund“ und „glücklich“) wurden die Videos umgehend wieder monetarisiert, also: als werbefreundlich eingestuft und mit Werbeanzeigen versehen.

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„33 von 100 getesteten Videotiteln, die wir für die Monetarisierung für geeignet hielten, wurden demonetarisiert, obwohl sie nach allen Maßstäben vollkommen in Ordnung waren“, bemängelten die Youtuber. Unter den Videotiteln waren Überschriften wie „Gay and Lesbian Guide to Vienna – VIENNA/NOW“ (schwuler/lesbischer Reiseführer für Wien), „Top 10 Lesbian Couples in Hollywood Who Got Married“ (Top 10 lesbische Paar in Hollywood, die geheiratet haben), „Lesbian Princess“ (lesbische Prinzessin) oder „Lesbian daughters with mom“ (lesbische Töchter mit ihrer Mutter).

Youtube dementiert

In einem späteren Test allerdings seien einige der Videos wieder als werbefreundlich eingestuft worden. Die Youtuberinnen und Youtuber schließen daraus, dass der Algorithmus offenbar in der Zwischenzeit aktualisiert wurde.

Youtube selbst wehrte sich seinerzeit gegen die Vorwürfe. Auf Anfrage der Plattform Vox.com teilte ein Sprecher mit, die Website führe keine Liste mit queeren Wörtern. Zudem werde der Algorithmus ständig evaluiert und aktualisiert, um Fairness zu gewährleisten. Darüber hinaus teste die Website ihre Algorithmus-Updates mit einer Reihe von Kanälen mit queeren Inhalten, um sicherzustellen, dass ihre Demonetisierungs-Bots queere Inhalte nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.

„Manchmal machen unsere Systeme Fehler. Aus diesem Grund haben wir Youtuber ermutigt, Einspruch einzulegen. Erfolgreiche Einsprüche stellen sicher, dass unsere Systeme aktualisiert werden, um immer besser zu werden“, so der Youtube-Sprecher damals.

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Harmlose Inhalte sind „nicht jugendfrei“

Damit waren die Vorwürfe aber nicht vom Tisch. Seit Bekanntwerden der Youtuber-Recherchen beschäftigt der Fall auch die Gerichte. Mehrere Youtuberinnen und Youtuber hatten sich 2019 einer Sammelklage angeschlossen, in der Youtube wegen „Diskriminierung, betrügerischer Geschäftspraktiken und rechtswidriger Zurückhaltung der Rede“ verklagt wird. Es folgten weitere Fälle dieser Art. Anfang des Jahres 2021 beispielsweise reichte auch ein kalifornischer Richter eine Klage gegen Youtube ein, weil die Plattform aus seiner Sicht LGBT-Videomacherinnen und -macher diskriminiere.

Schon 2017 hatten mehrere Youtuberinnen und Youtuber auf die Herabstufung von LGBT-Inhalten auf der Plattform durch den Algorithmus hingewiesen. Damals ging es um den sogenannten „eingeschränkten Modus“, der bei Youtube aktiviert werden kann und nicht jugendfreie Inhalte für Minderjährige ausblendet.

Das Problem: Selbst völlig harmlose LGBT-Inhalte wurden seinerzeit als „nicht jugendfrei“ eingestuft und ausgeblendet, nur weil die Videos Wörter wie „gay“ oder „lesbian“ enthielten. Nach massiver Kritik änderte Youtube seinerzeit den Algorithmus und erklärte: „Wir stellen fest, dass einige Videos von unserem automatisierten System falsch gekennzeichnet wurden, und wir wissen, dass es sehr wichtig ist, das zu ändern. Wir arbeiten hart daran, einige Verbesserungen vorzunehmen.“

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LGBTQ-feindliche Werbeanzeigen

Ein Jahr später war das Problem aber offenbar immer noch nicht behoben. Queere Youtuberinnen und Youtuber wie Rowan Ellis, Tyler Oakley, Stevie Boebi und NeonFiona beklagten, dass ihre Inhalte versteckt, demonetarisiert oder mit einer Altersbeschränkung versehen würden. Chase Ross beispielsweise erklärte in einem Video, er müsse sich tagtäglich damit herumschlagen, dass seine Videos als nicht jugendfrei eingestuft würden – einige seiner Videos seien sogar komplett entfernt worden.

Laut Ross habe Youtube regelmäßig Videos mit dem Wort „Trans“ oder „Transgender“ im Titel demonetarisiert – und sogar Anti-LGBT-Anzeigen auf einigen Videos geschaltet, die sich gegen die LGBT-Community richten. Auch der Youtuber Hank Green wies auf das Problem hin. 2019 folgte dann die detaillierte Analyse der Youtuberinnen und Youtuber.

Seither allerdings scheint die Diskussion um LGBT-Diskriminierung auf der Plattform ein bisschen abgeebbt. Möglicherweise deshalb, weil Youtube tatsächlich in den vergangenen Jahren an seinem Algorithmus geschraubt und diesen verbessert hat. Ob das tatsächlich so ist, lässt die Plattform auf RND-Anfrage unbeantwortet.

Doch selbst wenn das Problem inzwischen behoben sein sollte – in den Köpfen vieler Youtuberinnen und Youtuber ist es weiterhin stark verankert. So sehr, dass sie offenbar lieber Selbstzensur betreiben, als sich mühsam mit Youtubes undurchsichtigem Algorithmus herumzuschlagen.

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