Sprachforscher erklärt: Darum fällt es manchen Menschen so schwer, nicht mehr „Zigeunersoße“ zu sagen

Dr. Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin spricht über die Sendung „Die letzte Instanz“.

Dr. Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin spricht über die Sendung „Die letzte Instanz“.

In der Sendung „Die letzte Instanz“ mit Moderator Steffen Hallaschka diskutierten die Gäste Janine Kunze, Thomas Gottschalk, Micky Beisenherz und Jürgen Milski unter anderem darüber, ob man das Wort „Zigeunersoße“ sagen dürfe. Die Talkteilnehmer sahen kein großes Problem – zum Entsetzen des Publikums, das die Wiederholung der Folge am vergangenen Freitag sah. „Naiv“ und „empathielos“ sei die Diskussion gewesen.

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Wir sprachen mit dem Sprachwissenschaftler Dr. Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin über diskriminierende Sprache, alte Gewohnheiten und emotionale Diskussionen.

WDR-Moderator Steffen Hallaschka hat mit seinen Gästen in der Sendung „Die letzte Instanz“ diskutiert, ob man noch weiter Wörter wie „Zigeunersoße“ verwenden dürfe. Nach der Ausstrahlung gab es von Zuschauern massive Rassismusvorwürfe. Wie haben Sie die Sendung erlebt?

Ich habe schon lange keine hohen Erwartungen mehr an solche Talkformate, wo kontroverse Themen auf unterhaltsame Weise diskutiert werden sollen. Und gerade diese Runde habe ich als sehr typisch empfunden. Janine Kunze zeigte zum Beispiel zwar keine böse Absicht, aber eine ignorante Haltung mit Sätzen wie „Das stört doch niemanden“. Den Zentralrat der Sinti und Roma stört das. Doch muss man auch positiv hervorheben, dass sich Kunze nun ganz klar entschuldigt hat.

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Warum fällt es manchen Menschen so schwer, auf Wörter wie „Zigeunersoße“ zu verzichten?

Manchmal braucht es ein bisschen Zeit. Aber der Sprachgebrauch hat sich ja schon geändert. Man muss nur mal 50 Jahre zurückschauen: Da waren Wörter wie das N-Wort noch weit verbreitet, heute sind sie aus dem öffentlichen Sprachgebrauch fast völlig verschwunden.

Dass der Prozess dahin etwas länger dauert, liegt auch daran, dass manche im Alltag sich damit wenig auseinandersetzen, weil sie keine Diskriminierungserfahrungen machen oder niemanden kennen, der die gemacht hat. Für die ist das dann eine abstrakte Diskussion, die nur irgendwelche Eliten führen.

Gleichzeitig fehlt mir in öffentlichen Diskussionen die Ernsthaftigkeit. Das wird als Unterhaltung abgetan – und damit fehlt der differenzierte Umgang.

Manche Menschen haben aber tatsächlich das Gefühl, dass ihnen etwas genommen wird, wenn sie nicht mehr „Mohrenkopf“ oder „Zigeunersoße“ sagen dürfen.

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Ich wundere mich sehr darüber, dass sich diese Menschen so sehr mit Soßen und Schokoküssen identifizieren, dass sie nicht bereit sind, ihren Sprachgebrauch zu ändern. Die „Zigeunersoße“ wurde in den 1950er Jahren entwickelt, da steht keine lange Tradition hinter. Davor kamen wir gut ohne das Wort aus. Und jetzt auch.

Wenn der Zentralrat der Sinti und Roma sich wünscht, dass das Wort „Zigeuner“ nicht mehr verwendet wird, dann liegt das an der historischen Dimension und an den falschen Stereotypen, die mit diesem Wort in Verbindung gesetzt werden. Aber damit ist der Mord an Sinti und Roma im Holocaust begründet worden. Dadurch ist das Wort verbrannt und kann nicht mehr zur Benennung von Speisen herhalten.

„Man kann rassistisch handeln, ohne ein Rassist zu sein.“

Diese Menschen schieben also Gründe vor?

Auf jeden Fall. Wir erleben da einen großen Sprachkonservatismus. Das Sprachgefühl entwickelt sich in der Regel bis zu einem Alter von Mitte 30. Dann ist es erst einmal gefestigt.

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Wir beobachten zum Beispiel bei Leserkommentaren, dass die Frage, ob man ein Wort benutzen darf oder nicht, hochemotional diskutiert wird.

Ich sehe das tatsächlich vor allem bei öffentlichen Debatten – im privaten Bereich viel weniger.

Dass dann emotional diskutiert wird, liegt an zwei Dingen: Zum einen setzen Debatten in den Medien wie auch bei „Die letzte Instanz“ stark auf Konfrontation und auf ein Für und Wider. Andererseits fühlen sich viele schnell durch die Diskussion angegriffen. Das merkt man daran, dass die dann gleich verteidigend sagen: „Ich bin kein Rassist.“ Aber darum geht es ja gar nicht. Man kann rassistisch handeln, ohne ein Rassist zu sein.

„Alles, was ungewohnt ist, ist erst einmal umständlich.“

Wie lange dauert es, bis sich eine neue Sprachgewohnheit durchsetzt?

Ich glaube, dass wir beispielsweise beim Gendersternchen nicht mit jahrzehntelangen Irritationen rechnen müssen, sondern eher in Jahren rechnen können. Die Rechtschreibreform ist da ein gutes Beispiel: Es gibt zwar immer noch einzelne Menschen, die das ß nach den alten Regeln benutzen, aber die neue Rechtschreibung hat sich komplett durchgesetzt.

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Beim Gendersternchen gibt es die Meinung, dass es zu umständlich für den Alltag sei. Was sagen Sie dazu?

Alles, was ungewohnt ist, ist erst einmal umständlich. Wenn man beim Lesen über das Gendersternchen stolpert, ist das eigentlich eher ein Moment der Unsicherheit.

Wenn ich unsicher bin, wie ich Menschengruppen bezeichnen kann oder ob mein Sprachgebrauch angebracht ist – was kann ich dann machen?

Zum einen kann man schauen, wie sich die Betroffenen selbst geäußert haben. Auf den Seiten der Interessenverbände zum Beispiel. Das hat der Moderator Steffen Hallaschka in der Sendung ja sogar gemacht. Wenn man bei Interessenverbänden nichts findet, kann man bei Amnesty International schauen, bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder auch bei manchen Medienverbänden wie Neue deutsche Medienmacher*innen.

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Aber als Privatperson kann ich während einer Unterhaltung nicht noch einmal schnell googeln.

Mir ist es auch schon passiert, dass ich in einer Unterhaltung einen Begriff verwendet habe, der problematisch war, und wurde darauf hingewiesen. Man muss bereit sein, dann dazuzulernen, seine Unsicherheit zuzugeben. Dann kann man wirklich offen nachfragen und nicht nur so etwas sagen, wie: „Das stört dich doch nicht, wenn ich so etwas sage, oder?“ Man muss die Diversität im eigenen Umfeld wahrnehmen und sich dem stellen. Dann lernt man einen sensiblen Umgang mit Sprache ganz nebenbei.

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