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TV-Kritik

Münchner „Tatort: Game Over“: Killerspiele und Polizistenmorde

Von links: Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) zeigen dem Referee (Danny Rosness) ein Foto in der Arena.

Von links: Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) zeigen dem Referee (Danny Rosness) ein Foto in der Arena.

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Man sollte nicht erwarten, dass ein „Tatort“ junge Männer in den Arm nimmt, die zu Hause an der Videokonsole ballern. Und man kann sich konsequent darauf verlassen, dass er die Leute umso mehr verachtet, wenn sie auf Turnieren an den Monitoren um die Wette zocken, daddeln, schießen, um als Sieger damit Geld zu machen. Der „Tatort“ ist das Tribunal für öffentliche Anstandsregeln, durchbuchstabiert mit Mord und Totschlag, was die Sache unversöhnlich macht. Der Furor auf der Suche nach Moral wird dadurch nur befeuert. Gerade dann, wenn eine junge Frau ihr Leben bei der Arbeit lässt, während die jungen Männer ihres Alters immer weiterdaddeln, bis sich die Eltern gegenseitig an die Kehle gehen. Mutter: Du hast dem Jungen nie Grenzen gesetzt, jetzt ist er süchtig! Vater: Ach was, der Junge hat’s verdient, der hat sich alles hart erarbeitet, ist auch nicht schlechter, als wenn jemand pausenlos Klavier übt!

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So geht das zu in Münchens Stuben, wo die Leute fürchten, ihre Miete nicht mehr aufzutreiben – während draußen auf der Straße eine junge Polizistin aus dem Streifenwagen steigt, um das kaputte Rücklicht eines goldenen Mercedes zu monieren. Ihr Kollege bleibt im Auto. Da wird die junge Frau aus dem Mercedes angeschossen, ein Schuss geht in die Lunge. Sie verblutet. Weil das kein Game ist, sondern echtes Leben.

Der Münchner „Tatort“ überzeugt mit glänzendem Drehbuch

Das Drehbuch dieser Folge „Game Over“ vom „Tatort“ aus München ist glänzend geschrieben (Regie: Lancelot von Naso, Drehbuch: Stefan Holtz und Florian Iwersen), die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) müssen nur noch moderieren. Und ein bisschen flachsen. Tief erschütterbar wirken die beiden nicht, vielleicht: nicht mehr. Sie sind Profis, nun mit Auftritt in der 92. Folge. Das spricht nicht gegen ihre Anteilnahme, doch die bayerische Mentalität ist einerseits barock in ihrem ausgeschmückten Dialekt, andererseits so radikal pragmatisch, wie es dem Freistaat anzusehen ist – man braucht Ergebnisse und Effizienz, um sich die erste Reihe an den Seen und den Bergen leisten zu können.

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Der Wagen, aus dem die junge Polizistin angeschossen wurde, wird gefunden, „Zuhälterkutsche“, spotten die Kommissare. Kein Geld vom Straßenstrich liegt hier im Kofferraum, sondern die Leiche von Michael Hetsch. Er war Spieler, Gamer, Star der Szene, kam zu Geld, hat sich eine edle Wohnung angemietet, in der er nicht mit einer Freundin lebte, sondern mit der Schwester (Lea van Acken). Junge Männer, die mit Ballerspielen groß geworden sind, haben ja mit Freundinnen eher Schwierigkeiten. Liebe ist nur eine Sehnsucht, Zärtlichkeiten werden liquidiert am Bildschirm.

Ein Showdown mit der Kraft eines Ertrinkenden

Die Schwester weiß etwas von Freunden ihres toten Bruders, darunter waren Polizisten. Das deckt sich mit dem schwach gekritzelten „Ko“, das die sterbende Kollegin knapp vor ihrem Tod mit letzter Kraft geschrieben hat. Steht das für „Kollege“? Hat ein Kollege sie ermordet? Leitmayr und Batic tauchen tief in die Strukturen eines Onlineballerteams, die „Munich Sheriffs“, in dem vor allem Polizisten zocken. Die Kommissare schleusen Oskar (Yuri Völsch), einen talentierten Zocker, in die Gruppe, um Adressen rauszufinden. Oskar ist der junge Mann, dessen Eltern sich zu Hause überwerfen. Seine Mutter sperrt ihn, den minderjährigen Sohn, für die Teilnahme am Turnier. Er läuft ihr nach, geht in ihren Klassenraum, vor die Grundschulklasse, er bebt und zittert, Sucht und Wut in seinen Augen. Ein Showdown mit der Kraft eines Ertrinkenden.

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Nicht zuletzt an Kalli (Ferdinand Hofer) liegt es, dem Assistenten der zwei Kommissare, mental fast noch ein Kind, dessen Herz fürs Zocken schlägt, dass dieser Film nicht in das Kuriositätenkabinett abrutscht. Leitmayr und Batic sind zu alt für diesen Unsinn – Zocken, das kennen sie nicht mehr. Kalli aber ist ein Mann, der sich von den Gamern Autogramme holt. Und selbst unter die Räder kommt. Am Ende steuert diese Folge gar auf Bitcoins zu, die alten Kommissare steigen geistig aus. Dass die Geschichte trotzdem rund ist, liegt vor allem an dem Willen dieses Stückes, letztlich selbst den Zockern eine Seele zuzusprechen.

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